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Nirgends im Deutschen Reiche war der Hexen- und Teufels- glanbe thätiger als in Würzburg. Er ist es, der die finstersten Schatten in die Geschichte der Stadt zeichnet, finsterer als die Greuel des Bauernkrieges und der Schwedenzeit. Die Hexenprozesse stiegen ins Maßlose unter der Herrschaft des Bischofs Philipp Adolf, in den Jahren 1622 bis 1631. Bis zum letztgenannten Jahre waren im Bisthum Würzburg neunhundert Menschen wegen Zauberei hingerichtet worden; die meisten starben eines qualvollen Todes auf dem Scheiterhaufen. Und wenn auch der Hexenglaube später etwas in Abnahme kam: noch über ein Jahrhundert lang forderte er seine unschuldigen Opfer; denn erst im Jahre 1749 wurde zu Würzburg die letzte Hexe verbrannt. Es war die unglückliche Maria Renata Singer von Mossau, Nonne im Kloster zu Unterzell. Die Sage läßt sie noch in den ehemaligen Klosterräumen geistern. Aber auch im Zwinger an der Stadtmauer zu Würzbnrg steht ein „Hexenthurm", in welchem Hexen eingekerkert und gefoltert wurden und heute noch nächtlicher Weile geisterhaftes Aechzen und Stöhnen vernehmen lassen. Jene Mauer mit ihren alten Thürmen ist auf unserem Doppelbilde zu finden.
So geistert die Sage durch Würzburgs Gassen. Und selbst die vom Lichte der Wissenschaft durchflammten Hallen der Universität läßt sie nicht im Frieden; denn an der östlichen Mauer des Universitätsgebäudes wandelt um Mitternacht der „ewige Student" spazieren. Zu Lebzeiten war er der tollste Zecher, Nachtschwärmer und Raufbold der Hochschule und ward dafür von seinem eigenen Vater verwünscht, bis zum jüngsten Tage den Carcer zu hüten. So lange er aber geistert, so lange, heißt es, solle die Hochschule blühen und gedeihen.
Nun — im Würzburger Hofkeller liegen Weine, die so alt und so edel sind, daß, wer von ihnen einen reichlichen Trunk thnt, unbeschadet um Mitternacht durch alle Gassen Würzburgs wandern und mit all den alten Gespenstern anbinden kann, ohne daß ihm Leides geschieht.
Aber wenden wir uns von diesen spukhaften Gestalten wieder der beglaubigten Wirklichkeit zu!
Der Name unserer guten Stadt kommt geschichtlich nachweisbar zuerst im Jahre 704 vor; damals hieß er „Wirziaburg", wie auch die Geschichtsforschung heutzutage noch „Wirzburg" schreibt. Damals saßen auf der Höhe des jetzigen Marienberges in ihrer Burg die fränkischen Herzöge. Der heilige Kilian war es, welcher gegen das Ende des 7. Jahrhunderts in den ost- fränkischen Landen zuerst das Christenthum verkündete und in Würzbnrg den Märtyrertod fand. Nach seinem Tode fielen die Ostfranken wieder in ihr altes Heidenthum zurück, und erst um die Mitte des 8. Jahrhunderts gelang es dem heiligen Bonifacius, das Volk gründlicher zu christianisiren. Bischofssitze wurden alsbald in Franken gegründet, unter ihnen Würzbnrg, wo an der sagenhaften Todesstätte des heiligen Kilian die Salvatorkirche erbaut ward, um, nachdem sie 854 vom Blitzstrahl zerstört worden war, als die jetzige Neumünsterkirche wieder zu erstehen. Die jugendliche Bischofsstadt, die sich rasch an beiden Ufern des Mainstroms ausdehnte, hatte wiederholt in ihrer Nachbarschaft das Brandroth aufflammen sehen, das von den räuberischen Zügen der Ungarn herrührte; bis hart an die Thore der Stadt drangen die übermüthigen Zerstörer. Das veranlaßte die Bischöfe, ihre Stadt stark zu befestigen. Im Schutze ihrer Mauern wuchs dieselbe nun rasch. Im 11. Jahrhundert zeichnete sie sich durch die edle Treue aus, mit welcher sie gegen Papst und Bischof zu dem unglücklichen Kaiser Heinrich IV. stand. Wiederholt kämpften damals der Kaiser und seine Gegner um die Stadt. In der Hohenstaufenzeit sah Würzbnrg hochwichtige Staatsaktionen in seinen Mauern sich vollziehen; hier hielten König Konrad und Friedrich Barbarossa ihre Reichstage ab; hier feierte letzterer seine Vermählung mit Beatrix von Burgund; hier wurden Konzilien abgehalten, Päpste gewühlt und bestätigt. Bei einem jener Reichstage (1168) wurde von Friedrich Barbarossa dem Bischöfe Herold der Besitz der fränkischen Herzogswürde bestätigt. Zu Würzburg auch war's, wo Heinrich der Löwe vom Kaiser seiner Herrschermacht und seines Landes entsetzt ward.
^ Im folgenden Jahrhundert ward es wieder stiller in der Stadt. Bald aber, um die Mitte des 13. Jahrhunderts, brachen böse Wirren aus. Die Würzburger Bürgerschaft empörte sich gegen die Gewalt ihrer Bischöfe, und anderthalb Jahrhunderte hindurch gab es nun Aufstände, Fehden, Schlachten und Friedens
schlüsse zwischen dem Bürgerthnm einerseits, den mit der Ritterschaft verbündeten Bischöfen andererseits. Schwer litt das städtische Leben unter diesen Reibungen und Kämpfen, welche erst ein Ende fanden, als im Jahre 1400 in der Schlacht bei Bergtheim die Widerstandskraft der Stadtbürger für immer gebrochen war. Kirchenbann und Reichsacht lagen während dieser trüben Zeit manchmal auf der Stadt, deren Leiden in einzelnen Jahren noch durch verheerende Hochfluthen des Mainstroms vermehrt wurden.
Noch andere Wirren traten hinzu. Denn in dem Zeiträume von 1261 bis 1391 erlebte Würzbnrg fünf große Judenverfolgungen. Dergleichen kam auch später noch vor. Einer kurzen Zeit der Ruhe folgten im 16. Jahrhundert neue Bedrängnisse. Die Bürgerschaft verband sich mit den aufständischen Bauern gegen den Bischof und dieser mußte fliehen. Aber die Bauern wurden durch das Heer des Schwäbischen Bundes geschlagen; daraufhin mußte auch die Stadt Würzburg sich an den Feldhauptmann Georg Truchseß ergeben.
Die Blüthezeit Würzburgs begann, als der gelehrte und staatsklnge Domdechant Julius Echter von Mespelbrunn, noch nicht dreißig Jahre alt, den Würzburger Bischofssitz bestieg (1573). Dieser Fürst, welchen die Geschichte der deutschen Wissenschaft und der von ihm geleiteten Stadt mit gleichem Stolze nennen, ist ein leuchtendes Beispiel dafür, was ein einzelner Mann vermag, wenn ihm Weisheit und Stärke des Charakters gegeben sind. Daß er mit eiserner Hand die Reformation im Bannkreise seiner Herrschaft unterdrückte, begreift sich aus seiner Stellung als katholischer Reichsfürst. Daß er aber die verworrenen Finanzen des Hvchstifts ordnete, den Volksuuterricht durch Gründung zahlreicher Schicken in Würzbnrg und auf dem Lande hob, daß er die heute so blühende Würzburger Universität ins Leben rief und der leidenden Menschheit eine der segensreichsten Anstalten, sein großes Juliusspital, widmete, das verleiht seinem Andenken unvergänglichen Ruhm. Das Juliusspital, welches nicht bloß für Kranke, sondern auch für Arme, für Waisen und für Obdachlose eine Zufluchtsstätte zu werden bestimmt war, erscheint für die damalige Zeit als das glänzendste Vorbild einer lediglich den menschlichen Leiden gewidmeten Hilfs- und Rettungsanstalt.
Schwere Zeiten kamen mit dem Dreißigjährigen Kriege. Im Jahre 1631 nahm Gustav Adolf die Stadt nach geringem Widerstande. Die Feste Marienberg ward erstürmt, unermeßliche Beute von den Schweden gemacht. Heute noch stehen in der Bibliothek zu Stockholm die Bücher aus der großartigen Würzburger Bibliothek. Drei Jahre lang ward hierauf das Bisthum ausgepreßt, uud gebraud- schatzt. Danu blieb es verschont, bis im Jahre 1647 die Schweden zum zweiten Male erschienen, eine harte Kriegssteuer zu fordern.
Lange litten die Stadt uud das ganze Bisthum unter den Nachwehen des schweren Krieges. Zwar blieb die Stadt wenigstens fortan von Kriegslasten frei; aber eine Blüthezeit wie unter Bischof Julius erlebte sie erst wieder unter Bischof Franz Ludwig von Erthal (1779 bis 1795), welcher zu den edelster: Wohlthätern, zu den rechtlichsten und weisesten Fürsten gehört, die jemals einen deutschen Herrschersitz inuehatten. Mit ihm endet eigentlich die bischöfliche Zeit Würzburgs. Es folgten noch einige wilde Jahre, während welcher französische und österreichische Waffen durch Würzburg erklirrten; das Herzogthum kam erst vorübergehend, endlich 1814 durch den Wiener Kongreß dauernd an das Königreich Bayern.
Nun ist Würzburg bayerische Provinzialhauptstadt. Die Zeiten der bischöflichen Herrschaft sind vergangen, wenn auch nicht vergessen. Die Sonne des 19. Jahrhunderts scheint in die alten Gaffen, in die stillen Höfe der Domherrenpaläste, tanzt glitzernd auf den Wellen des Mainstroms und wärmt an den Gehängen des Stroms die edlen Trauben, aus welchen Steinweiu und Leistenwein gekeltert wird. Und in dieser Sonne rührt sich ein junges Geschlecht. Ein gewerbfleißiges Bürgerthum arbeitet in den Werkstätten und Kaufläden, elegante Damen spazieren zwischen den neuen Prachtbauten der Ludwigstraße; flotte Lieutenants tummeln ihre Rosse auf den Exerzierplätzen, und vor dem ehrwürdigen Universitütsbau wimmelcks von Studenten. Denn die Universität , die Vlnan ckniia, erfreut sich großen Ansehens, ganz besonders die medizinische Fakultät, der zwei Fünftheile von den 1600 Musensöhnen angehören. Bei aller: ernster: Geschicken, welche die Stadt durchlebte, ist heute der Zug des Anmuthiger: der vorherrschende; und man braucht nicht gerade ein geborener Würzburger zu sein, um Würzburg neidlos eine der schönsten und liebenswerthester: Städte des deutschen Vaterlandes zu nennen.