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Breiten seit Jahrhunderten ansässige Mensch arm und elend erscheinen, in Wahrheit ist er weder das eine noch- das andere. Auch der Ostjake gewinnt sich seine Bedürfnisse; auch er umgiebt sein Dasein mit ihn beglückenden Reizen, denn seine Heimath schenkt ihm mehr, als er zum Leben bedarf.
Es mag sein, daß der Stamm der Ostjaken, der zu der finnischen Völkerfamilie gehört, in früheren Zeiten zahlreicher gewesen ist als gegenwärtig; ein Volk nach unseren Begriffen aber hat er wohl nie gebildet. In einzelnen Theilen des von ihm besiedelten oder wenigstens von ihm durchwanderten Gebietes soll die Einwohnerzahl stetig abnehmen, in anderen dagegen in geringem Grade sich vermehren; von erheblichem Belang scheint aber weder die Zu- noch die Abnahme zu sein. Man rechnet hoch, wenn man den Gesammtbestand auf fünfzigtausend Köpfe anschlägt.
Alle am Jrtisch und oberen, beziehungsweise mittleren Ob hausenden Ostjaken wohnen in feststehenden, sehr einfachen, den russischen ähnlichen Blockhäusern, und nur hie und da trifft man zwischen diesen bereits eine höhere Gesittungsstufe anzeigenden unbeweglichen Wohnungen auch einmal auf ein Birkenrindenzelt, „Tschum" genannt, wogegen dieses am unteren Ob unbedingt vorherrscht und, wie erklärlich, die alleinige Behausung des wandernden Renthierhirten ist. Fast, wenn auch nicht vollständig im Einklänge damit steht, daß die in feststehenden Dörfern lebenden Ostjaken der russisch-katholischen Kirche angehören, wogegeil die im Tschum hausenden ihrem uralten Glauben noch gegenwärtig treu sind. Mit der Annahme des Blockhauses und des Christenthums geht ebenso Hand in Hand, daß die im mittleren Ob- und unteren Jrtischgebiete ansässigen Ostjaken nicht allein ihre Kleidung bis zu einem gewissen Grade mit der des benachbarten russischen Fischers vertauscht, sondern im Umgänge mit diesem auch viel von seinen Sitten und Gewohnheiten angenommen, von den ihrigen dagegen verloren, zum Theil auch die Reinheit ihres Stammes eingebüßt und eigentlich nichts weiter behalten haben als die unveräußerlichen Merkmale des Stammes, die Sprache, sowie vielleicht noch die dem ganzen Volke gemeinsame Geschicklichkeit, Anstelligkeit und —- harmlose Gutmüthigkeit. Ich beschränke meine Mittheilungen im wesentlichen auf diejenigen Ostjaken, welche ihren alten Glauben, ihre alten Sitten bis heute festgehalten haben.
Von einem oftjakischen Stammesgepräge ist schwer zu reden, dasselbe zu beschreiben, noch schwieriger. Die Leute sind hinsichtlich ihrer Gesichtsbildnng, der Färbung ihrer Haut, ihres Haares und ihrer Augen ungemein verschieden; ihre Rassenangehörigkeit, also ihr Mongolenthum, ist keineswegs immer so leicht wahrzunehmen, und wenn man wirklich einmal glaubt, bestimmte, durchschnittlich gültige Merkmale sestgestellt zu haben, wird man durch eine Anzahl anderer Angehöriger des Stammes belehrt, daß denselben keinesfalls eine unbedingte Gültigkeit zugesprochen werden darf.
Die Ostjaken sind mittelgroß, durchschnittlich schlank gebaut, ihre Hände, Füße und Glieder überhaupt verhältnißmäßig. Ihre Gesichtsbildnng steht gewissermaßen zwischen der anderer Mongolen und der der nordamerikanischen Indianer in der Mitte; diebraunen Augen sind klein, nicht auffallend, aber stets merklich schief geschlitzt, die Backenknochen nicht wesentlich vorgedrängt, die unteren Theile des Gesichtes gegen das stets schmale und spitzige Kinn zu aber so zusammengedrückt, daß das ganze Gesicht winkelig erscheint und, da auch die Lippen scharf geschnitten sind, bei vielen, zumal bei Kindern oder Frauen, zu einem wahren Katzengesichte wird, obgleich die Nase im ganzen wenig abgeplattet ist. Das reiche, schlichte, aber nicht straffe Haar ist gewöhnlich schwarz oder tiefbraun, seltener lichtbraun und noch seltener blond gefärbt, der Bart schwach, jedoch nur infolge der Gewohnheit junger Stutzer, denselben sich auszurupfen, die Augenbrauen sind stark, oft buschig. Die Hautfärbung endlich steht an Weiße der eines viel an frischer Luft, Wind und Wetter sich bewegenden Europäers kaum nach, und der gelbliche Schein, welchen sie in der Regel zeigt, kann sich fast gänzlich verwischen.
Ueber die Sprache der Ostjaken vermag ich kein Urtheil zu fällen, kann daher nur sagen, daß sie in zwei, auch dem Ohre des Fremden deutlich erkennbare Mundarten zerfällt, von denen die am mittleren Ob herrschende sehr wohllautend, wenn auch etwas gedehnt und singend klingt, wogegen die am unteren Ob gebräuchliche, wohl infolge der hier allgemein üblichen Gewohn
heit aller Ostjaken, sich mit Vorliebe des weicheren Samojedisch zu bedienen, in rascherem Flusse, obwohl noch immer mit deutlicher Abgrenzung der Silben, gesprochen wird.
Während die christlichen Ostjaken, wie bereits bemerkt, die Tracht der Russen nachahmen und die Frauen nur dadurch von denen der russischen Fischer abweichen, daß sie ihre Kleider an vielen Stellen mit bunten Glasperlen verzieren, verwenden die heidnischen Stammesangehörigen unseres Völkchens ausschließlich die Decke und die Haut des Renthieres zu ihrer Kleidung und gebrauchen Felle anderer Thiere nur ausnahmsweise zum besonderen Schmucke der Renthier- oder, wie die Russen sagen, der Hirschpelze. Die Kleidung besteht aus einem bis über die Kniee herabreichenden, eng anliegenden Pelze mit anhängender oder doch dazu gehöriger Kapuze und angenähten Fausthandschuhen, Lederhosen, welche bis unter das Knie herabreichen, und Lederstrümpfen, welche oberhalb des Kniees befestigt werden. Der Pelz ist bei Frauen mit Säumen, welche aus verschiedenfarbigen, kleinen, viereckigen, kurzhaarigen Pelzstückchen mühsam zusammengesetzt werden, unten auch regelmäßig mit einem breiten Besätze aus Hundepelz, bei Männern mindestens mit letzterem verziert, auch stets mit der Kapuze versehen; die Lederstrümpfe bestehen aus sehr vielen verschiedenfarbigen, geschmackvoll zusammengesetzteil Streifen aus dem Felle der Läufe des Renthieres und einem plumpen Schuh. Ein breiter, meist mit metallenen Knöpfen besetzter Ledergurt, an welchem das Messer hängt, schnürt den Pelz des Mannes zusammen; ein buntes, mit langen Fransen besetztes Kopftuch, welches im Sommer anstatt der Kapuze getragen wird, fällt über den Pelz der Frau herab.
Um sich zu schmücken, steckt die Ostjakin soviele einfache Messing-, im allergünstigsten Falle Silberringe an alle Handfinger, als die inneren Glieder derselben zu tragen vermögen, hängt sich außerdem eine mehr oder minder reiche Kette aus Glasperlen um den Hals und sehr schwere, aus Glasperlen, Drahtwindnngen und Metallknöpfen zusammengesetzte quastenartige Ohrgehänge an die Ohren und flicht endlich ihre Haare in zwei tief herabfallende, aus Wollenschnüren strickartig gedrehte Zopfhülsen ein. Letzteres thut auch der ostjakische Stutzer, wogegen der vernünftige Mann für gewöhnlich sein Haar lang, aber lose trägt.
Einfacher noch als die Kleidung, aber ebenso zweckmäßig wie sie ist die Wohnung des Ostjaken, der Tschum, die kegelförmige, mit Birkenrinde umkleidete, bewegliche Hütte des Fischers wie des Wanderhirten. Zwanzig bis dreißig dünne, geglättete, oben und unten zugespitzte, vier bis sechs Meter lange Stangen, voll denen zwei gegen das obere Ende hin mittels eines kurzen Strickes vereinigt werden und allen übrigen als Stützpunkt dienen, bilden, im Kreise aufgestellt, das Gerüst, fünf bis acht nach dem Mantel des Kegels geschnittene, aus kleinen Stücken vorher gekochter und dadurch geschmeidig gemachter Birkenrinde zusammengesetzte Tafeln die äußere Umkleidnng, eine vom Winde abgekehrte, mit einer anderen Rindentafel verschließbare Oeffnung die Thür der Hütte, deren Kegelspitze stets unbedeckt bleibt, um dem Rauche freien Abzug zu gestatten. Von der Thür an in gerader Richtung zur entgegengesetzten Seite des Tschums verläuft ein Gang, in dessen Mitte das Feuer angezündet wird; über ihm befindet sich, aus zwei wagerecht angebundenen Stangen hergestellt, ein Trockengerüst, an welchem auch der Kochkessel aufgehängt wird. Rechts und links von dem Gange decken Bretter oder wenigstens Matten den Boden und dienen als Laufstege sowie als Abschluß der Lagerstätten, deren Kopfende gegen die Wand sich richtet. Aus Riedgrasbündeln gefertigte Matten, langhaarige, weiche Renthier- felle und mit Renthierhaaren oder getrocknetem Wassermoose gestopfte Kissen stellen die Lagerstätten, Pelze die Decken her; ein Mückenzelt, unter welches im Sommer die ganze Familie kriecht, schützt die Schlafenden wirksamer als das am Eingänge des Tschums beständig brennende, mit Weidenreisern unterhaltene Schmanchfeuer gegen die geflügelten Quälgeister. Ein Koch-, ein Thee- und ein Trinkkesfel, Mulden, Ledersäcke zur Aufbewahrung des Mehles und Hartgebackenen Schwarzbrotes, kleine verschließbare Truhen zur Unterbringung der werthvollsten Habseligkeiten, insbesondere auch des Theegeschirrs, ein Beil, ein Bohrer, Lederschaber, ein muldenartiges Nähkästchen, Bogen, Armbrust oder Gewehr, Schneeschuhe, sowie verschiedene Fangwerkzeuge vollenden den Hausrath; die Stelle des in den Hütten der christlichen Ostjaken selten fehlenden Heiligenbildes vertritt ein Hausgötze.