Heft 
(1890) 47
Seite
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unerschüttert. Die paar Hundert Kolonisten von Economy, die noch vorhanden waren, zumeist Greise und Greisinnen, wollten in dem Glauben sterben, in dem sie gelebt hatten, und nichts an ihrem gewohnten und für sie wie geheiligten Dasein verändert wissen.

Rapp hatte vor seinem Tode auch für alles, was seinen Staat weiter erhalten sollte, gesorgt. Sein Nachfolger als erster Vorsteher war der ihm treu gesinnte Romelins Bäcker und nach diesem Jakob Henrici, auf deren Namen auch immer das Ge­meindevermögen eingetragen wurde. Es wird neuerdings bis auf zwölf Millionen Dollars geschützt, ohne daß freilich das streng bewahrte Geheimniß darüber früher enthüllt werden wird, als bis die kommende Auflösung der Gemeinde, das Aussterben ihrer heute nur noch in sehr kleiner Zahl bestehenden letzten Mitgliedschaft die Erbschaftsregelung erheischt, für welche ja eine ansehnliche Menge württembergischer Familien ihre Ansprüche schon

vorbereitet hat. Das wird das Ende der Rappschen Schöpfung sein, welche dann die Dauer fast eines Jahrhunderts gehabt hat.

Aber die Reichthümer, welche durch die gemeinsame Arbeit vieler und durch die Enthaltung der einzelnen von jeglichem Luxus, ja selbst von den Freuden der Familie, gewonnen waren, blieben im Grunde ungenossen. Die Anziehungskraft dieses kom­munistischen Stätchens erstarb denn auch mit denen, die seine Urheber waren und sich zu seiner Ermöglichung einer fast knechti­schen Lebensweise unterworfen hatten. Sie kannten keine Armuth und Noth, aber sie waren arme Reiche. Der Kulturmensch er­strebt das materielle Wohlsein für sich und seine Familie, jedoch in möglichster individueller Freiheit, deren sich wohl einzelne aus persönlicher Liebhaberei oder aus religiöser Schwärmerei ent- schlagen mögen, welche aber die Gesellschaft im großen als erste Bedingung irdischen Glücks niemals aufzugeben bereit sein wird.

Großes Hleinmachen.

Humoreske von Kcrrrs Mvnol'b.

Alle Rechte Vorbehalten.

^ in Freund von mir, der sich ob mit oder ohne Grund, bleibe dahingestellt! für einen

Pechvogel erster Güte zu hal­ten geneigt ist, erzählte mir einmal, er arbeite im Hinblick auf eben dieses Pech ein neues philosophisches System aus, die Philosophie des Selbst­verständlichen" mit dem Motto natürlich!"

An Beispielen zu dieser

Philosophie fehlt es nun freilich nicht, und jeder wird schon Zeiten im besten Fall Tage gehabt haben, wo ihm alles quer ging, und wo von dem erfreulichen Augenblick an, als die gefüllte Kaffeetasse beim ersten Frühstück zutraulich in den Schoß ihres Besitzers hüpfte, bis zu dem nicht minder angenehmen Augen­blick, wo derselbe Besitzer abends beim Schlafengehen mit dem Bett einbrach, er den ganzen Tag über geneigt war, alles Widerwärtige für selbstverständlich zu erachten und bei jedem

neuen Mißgeschick höhnisch zu sagen:natürlich!"

Ein solcher Tag pflegt mit Vorliebe dann anzubrechen, wenn große, wirthschaftliche Veranstaltungen und außergewöhnliche Vorkommnisse es gerade besonders wünschenswerth machen, daß sich alles glatt abwickelt.

Nie kocht die Köchin schlechter, als wenn der verwöhnte Freund des Hausherrn den bekanntenLöffel Suppe" mitißt nie sind die Kinder ungezogener, als wenn sich die einflußreiche Pathe einstellt, und nie ist mangelhafter Staub gewischt, als wenn die Anverwandte mit dem Falkenblick für derartige kleine Angehörigkeiten ihr Haupt zur Thür hereinsteckt natürlich!

Ein solcher fataler Tag drohte allem Anschein nach dem Hause des pensiouirten -Oberstlieutenants Sölten anzubrechen. Dasgroße Reinmachen", schon bei normalem Verlauf ein ab­gesagter Feind des häuslichen Friedens, war auf diesen Freitag angesetzt, der schon alsFreitag an sich" in abergläubischen Ge- müthern ein unangenehmes Vorgefühl erregte.

Der Hausherr hatte von dem Augenblick an, als seine Augen sich dem Licht des Tages öffneten, bereits jene Laune an den Tag gelegt, deren Wirkung auf die Umgebung sich am besten durch die Worte kennzeichnen läßt:

Und des Donners Wolken hangen schwer herab auf Ilion."

Ein Mann, der nichts mehr zu thun hat, ist ja leicht ge­neigt, sich Beschäftigung zu suchen, und wenn er einmal gar nichts anderes zu besorgen vorfindet, so wettert er eben auf Frau und Kinder nur der gesunden Bewegung halber!

Mehrere Tage war der Gebieter des Hauses sehr nutzbringend untergebracht gewesen, und alle hatten die Wiege der kleinsten Tochter des Hauses gesegnet, da man diesem Möbel den erwähnten angenehmen Umstand verdankte. Diese Wiege erfreute sich nämlich eines hohen Gitters aus Eisenstäben, die soweit auseinander standen, daß ein mäßig veleibtes Kind beständig von der Sucht ergriffen werden mußte, zwischen diesen Stäben durchzukriechen;

immer wieder mußte die jugendliche Weltbürgerin von irgend einem gerade unbeschäftigten Angehörigen zurückgestopft werden, erheischte also eine fortwährende Aufsicht.

Der Vater hatte sich nun vor zwei Tagen ein netzartiges Drahtgeflecht meterweise aus der Eisenhandlung geholt und das Bettgitter äußerst kunstgerecht durchflochten, eine Leistung, die, wie er mit Stolz ausrechnete, dem Familienvermögen mindestens fünf Mark erhalten hatte.

Daß dieser dilettantische Eingriff in die Jnnungsrechte des Handwerkes einen kleinen Fehler hatte, indem an den beiden sich treffenden Enden des Drahtgeflechts lauter kleine Dornen und Enden heraussprießten und sich jeder, der einmal ohne besondere Aufmerksamkeit an dem Bettchen vorbeiging, handgroße Löcher in die Kleider riß daß daher die Ersparnis; auf der einen Seite eine Mehrausgabe von mindestens zwanzig Mark auf der andern bedingte, hielt der Vater für eine Erfindung weiblicher Bosheit und glaubte es einfach nicht.

An dem erwähnten Morgen nun hatte die Hausfrau sich gleich nach dem Aufstehen liebevoll über die Wiege der Kleinsten gebeugt, und beim Zurücktreten - ritz ratz riß sie sich ein rechtwinkliges Dreieck von so mathematischer Genauigkeit in den Morgenrock, wie es ihr Sohn, der Tertianer, in seiner Geometrie fast noch nie so schön und regelrecht gezeichnet hatte.

Stürmisch erwartete die gereizte Mutter ihren noch schlafen­den Gatten und verlangte von ihm, als er noch kaum die Augen offen hatte, Mitgefühl und Reue über diesen neuesten Erfolg seiner Bastelleidenschaft. Ein lebhaftes Wortgefecht eröffnete den Morgen, und verstimmt begab man sich zum Frühstück.

Die größeren Kinder des Hauses waren bereits versammelt. Liesbeth, ein bildhübsches Backfischchen von fünfzehn Jahren, deren tiefblaue Augen unter dichten, schwarzen Wimpern sehr schelmisch hervorsahen, schien durch die ersichtliche üble Laune ihrer elter­lichen Vorgesetzten nicht besonders beunruhigt zu sein. Sie wußte, daß sie bei solchen Anlässen als der Liebling des Vaters immer am besten wegkam, und hatte außerdem ein so glückliches Tempe­rament, daß sie jeweilige Schelte schnell und sorglos abschüttelte und wieder so lustig war wie vorher. Das kleinste Kind schlief noch ahnungslos in der neuumflochtenen Wiege, die den ersten Grund zu der düstern Stimmung des Morgens gegeben hatte, und schon glaubte der Hausherr, daß das Frühstück wider Er­warten ohne besonderen Aerger vorübergehen werde.

Denn auch die beiden Jungens der Familie verhielten sich heute ziemlich ruhig. Der dicke Franz war vermöge seines grenzenlosen Phlegmas, das ihm den wenig schmeichelhaften KosenamenPfund Wurst" eingetragen hatte, nie sehr lärmend und, wenn er etwas zu essen und zu trinken hatte, so ausschließlich mit Leib und Seele dabei beschäftigt, daß er für Extravaganzen keine freie Minute fand.

Der dreizehnjährige Ernst fühlte daher die schwerwiegende moralische Verpflichtung, den täglichen Bedarf an Dummheiten für den Bruder mit zu besorgen, und kam dieser Empfindung aufs gewissenhafteste nach. Immer trug er das Bewußtsein irgend einer verborgenen Schaudthat im Busen, die jeden Augen­blickherauskommen" konnte!