Heft 
(1906) 03
Seite
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Das Piratenschiff.

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Gemälde von V. I. Gribble.

Schnell verließ er den Saal, es war ihm aber nicht möglich, sein Zimmer aufzusuchen, er nahm seinen Hut und trat durch eine Hintertür des Hotels ins Freie. Eilig, um nicht bemerkt zu werden, stieg er über den abendfeuchten Rasen im Walde empor, bis er nach wenigen Augenblicken eine Bank fand, auf der er sich schweratmend niederfallen ließ. Er stützte den fiebernden Kopf in die Hand, bemüht, seine Gedanken zu sammeln und sich aus dumpfer Angst loszureißen.

Unter ihm, nur einen Steinwurf von ihm entfernt, lag die schwerfällige, breite Masse des Hotels. Viele Fenster waren hell erleuchtet, und feine Lichtbrücken spannten sich von den Lampen aus zu ihm hin.

Die Musik war bald verstummt. Unaufhörliches dumpfes Rauschen lief nun über die Kronen der Lärchen hin, als käme dort oben im Winde ein Wesen der Nacht nicht zur Ruhe, als müßte es immerzu erzählen. Wovon? Vielleicht von dem Werden und Vergehen der Berge, die wie schwarze von märchen­haften Riesen errichtete Mauern das dunkele Tal umwallten, vielleicht auch von dem unendlich sich erneuernden Leben der tausend Moose, Gräser, Sträucher und Bäume, die der wandernde Wind auf seinem Wege streift. In das Rauschen des Waldes mischte sich ebenso ruhelos das lebhafte Dröhnen eines fernen Baches, der tief eingeschnitten das grüne Gletscherwasser ent­führte und seit Jahrtausenden in unermüdlicher Arbeit Stein auf Stein davonschleppte, fortrollte und weiterstieß. Unter­bauers Blicke ruhten beständig auf dem ausgedehnten dunkeln

Gebäude, und ebenso wenig konnten sich seine Gedanken davon losreißen. Er hatte das Gefühl, als läge ein schwerer Block, den keine Kraft herabwälzen könne, auf seinem innersten Sein. Eine lähmende Last band ihm alle Tatkraft.

Die Gewißheit ist wohl ein ehernes, scharfes Geschoß, doch es tötet uns rasch. Die Ungewißheit aber ist ein schleichen­des Gift, das langsam mordet. Darum sehnte sich Unterbauer danach, Gewißheit zu haben. Er überdachte noch einmal, wie alles in diesen Wochen entstanden war und sich entwickelt hatte, und je mehr er in selbstquälerischer Arbeit solchen Ideen nachhing, um so mehr wuchs in ihn: ein Gefühl von Bitterkeit und Trotz.

Wie oft hatte er nicht früher mit Ellen in wortloser Ergriffen­heit auf den Bergen gestanden, ganz versunken in den eigen­artigen Zauber ihrer großen Macht und seiner erwachenden Liebe. Es schien ihm heute, als habe des Freundes leicht­lebige Art jener Mädchenseele den stillen Ernst und die reine Tiefe genommen, die er in ihr in vergangener Zeit gefunden zu haben meinte, ihm war's, als wäre im Verkehr mit Steinhof allmählich etwas Fremdes, Oberflächliches in Ellens Wesen ge­kommen, so daß sie beide sich nicht mehr so finden konnten wie ehedem. Hatte er nicht recht? War Ellen damals nicht ganz anders, ernster und größer gewesen? Damals, da noch keiner zwischen sie getreten war!

Warum mußte ihn das treffen?

Unterbauer ballte in zornigem Schmerze die Faust gegen den Freund, der dies Mädchenherz ihm entfremdete, das er zu