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und erhalten als große Stadtgemeinden und selbst manche Staaten. Als er endlich nach unermüdlicher aufopferungsvoller Tätigkeit im September vorigen Jahres einem Herzleiden erlag, trauerten Tausende und Abertausende Geretteter um ihren Helfer und Wohltäter, beklagte England den Verlust seines erfolgreichsten Kinderfreundes und feierte die gesamte Welt das Andenken eines der größten Philanthropen aller Zeiten.
Fünfundzwanzig Knaben konnte das erste Heim Unterkunft bieten. Als sein Gründer die Augen zu ewigem Schlummer schloß, betrug aber die Zahl von Or. Varnaräo Lomes mehr als neunzig! Nicht nur in London befinden sich die Lvor-opon-äoors, sondern auch in Liverpool, Bristol, Newcastle und anderen Städten. Nicht nur während der Nacht wird den Heimatlosen Obdach gewährt, auch am Tage werden sie geschützt, mit voller Fürsorge werden sie verpflegt, unterrichtet und ausgebildet, bis sie erwerbsfähig geworden sind und den Kampf ums Dasein aufnehmen können, aber auch dann noch bewacht Barnardos Schöpfung ihre ersten Schritte, sorgt noch für sie mit Rat und Tat.
Nur einige der neunzig Anstalten seien hier kurz erwähnt, um einen Einblick in das großartige menschenfreundliche Werk zu gewähren!
In Hawkhorst (Kent) steht inmitten schöner Gartenanlagen das Lablo's Oastlo oder Kleinkinderheim. Es gibt hier wohl einige Säuglinge, aber die Mehrzahl der Pfleglinge besteht aus Knaben im Alter von drei bis fünf Jahren und einer Anzahl älterer Mädchen, die den Pflegerinnen Hilfe leisten. Hier verbringen die kleinen Verlassenen in gesunder Luft das kindliche Spielalter, um dann anderen Heimen zugeführt zu werden. Mit zwei Pfleglingen wurde vor Jahren dieses Heim eröffnet, heute bietet es hundert Pfleglingen den nötigen Schutz.
Berühmt ist ferner das Mädchenheim, das im Jahre 1873 in Ilford bei London gegründet wurde. Aus kleinen Anfängen ist hier eine eigenartige Kolonie entstanden. Im Grün der Gärten liegen gegen sechzig kleine Landhäuser zerstreut; in ihnen wohnen die „Mütter" mit ihren Pfleglingen, Mädchen im schulpflichtigen Alter; ihre Zahl beträgt gegenwärtig mehr als zwölfhundert. Die Jlforder Kolonie besitzt ihre eigene Schule, in der von geprüften Lehrerinnen Unterricht erteilt wird. Die „Mütter" sorgen dagegen dafür, daß ihre Schützlinge in häuslichen Arbeiten sich ausbilden. Es wird hier gekocht, gewaschen, geplättet, genäht nicht nur für die eigene Kolonie, sondern auch für andere Heime Barnardos. Die Mädchen werden hauptsächlich zu Dienstmädchen, Plätterinnen, Näherinnen und dergleichen ausgebildet.
Das Knabenheim ist eine weitere Abteilung der humanen Schöpfung. Das größte liegt im Osten Londons in Stepney
Causeway und bietet etwa vierhundert Knaben Unterkunft und Ausbildung. Es ist mit Werkstätten reichlich versorgt, so daß in ihm vierzehn Berufe erlernt werden können.
Natürlich sorgen die Anstalten dafür, daß die von ihnen ausgebildeten Zöglinge bei passenden rechtlichen Dienstherren die erste Anstellung erhalten. Im Mutterlande ist der Arbeitsmarkt oft überfüllt, aber in den Kolonien sind gut geschulte und moralisch gefestigte Kräfte hoch willkommen. Die armen Verlassenen, die zumeist durch keine Familienbande an ihre Heimat gefesselt werden, gehen gern in ferne Lande. In Anbetracht dieser Tatsachen hat Or. Barnardo eine Auswanderung seiner Zöglinge organisiert; er schickt sie zumeist nach Kanada, wo Zweiganstalten sich des Loses der Ausgewanderten annehmen.
Auch dem reiferen Alter schenkte der große Philanthrop seine Aufmerksamkeit. So gründete er Arbeitsheime, in die junge verwahrloste Leute im Alter von 17 bis 20 Jahren eintreten können. Von anderen Schöpfungen Barnardos mögen noch die Schuhputzer- und Lumpensammlerbrigade in London, eine Rettungsstätte für sittlich gefährdete Mädchen, ein Kinderhospital, ein Heim für Genesende, einige „Kaffeepaläste" und eine Anstalt für taubstumme Kinder erwähnt werden.
Heute treten täglich zehn schutzbedürftige Kinder durch die „stets offene Tür" in die rettenden Heime Dr. Barnardos ein. Im Laufe der Jahre hat ihre Gesamtzahl rund 60000 betragen. Vater Var- nardo hatte reiche Freude an diesen Adoptivkindern erlebt; denn es mißrieten laut der Jahresberichte nur zwei vom Hundert; alle übrigen find zu braven rechtschaffenen Leuten geworden, die im arbeitsamen Leben der Welt Nutzen bringen und ihre Freude finden.
Für den Fortbestand dieser ausgedehnten Schöpfungen ist gesorgt. Sie sind zu einem Verein, der „Mtional Inoorporateä ^.s- soeiation kor ILo Hoolamation ok Oostituto 4^ait' OLilärou" um- gebildet, dessen Vorsitz der Herzog von Argyll führt.
Mit einer Jahreseinnahme von 2800 Mark hatte der junge Barnardo vor vierzig Jahren sein Rettungswerk begonnen; an seinem Lebensende betrug das Jahresbudget seiner „Unternehmungen" mehr als drei Millionen Mark. Einen geringen Teil nur konnten die Kinder durch ihre Arbeit verdienen, das Meiste mußte Barnardo durch wohltätige Spenden zu sammeln suchen. Groß waren auch zeitweilig die Geldsorgen des „kinderreichsten Vaters"; daß aber schließlich das große Werk erhalten werden konnte, ist ein trostreiches Zeichen für den Geist unseres Zeitalters, das nicht nur in wissenschaftlichen Fortschritten und industriellen Schöpfungen groß ist, sondern auch ein Ohr hat für die Apostel der Nächstenliebe, ein warmes Herz für die Armen und Hilflosen. W. Kagenau.
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Der neue Hhef des GeneraLslaös der Armee, Generalleutnant von Moltke. (Zu dem Bildnis S. 75.) Auf den bedeutungsvollsten und schönsten Posten der Armee, an dem einst Moltkes unvergeßliche Gestalt gestanden hat, ist nach dem Rücktritt des Generalobersten Grafen von Schlüssen der Generalleutnant von Moltke berufen worden, ein Neffe des großen Feldmarschalls und ein Träger des in die Geschichte eingegrabenen Namens Helmut von Moltke. Die Wahl kam nicht überraschend, denn der Kaiser selbst hatte, als er ihn zum Generalquartiermeister ernannte, Moltke als den „kommenden Mann" bezeichnet. Am 23. Mai 1848 zu Gerstorff in Mecklenburg geboren, besuchte Helmut Johannes Ludwig von Moltke das Realgymnasium zu Rendsburg und trat am 1. April 1869 als Fahnenjunker beim Schleswig-Holsteinfchen Füsilierregiment Nr. 86 ein. 1870 zum Leutnant befördert, zog er ins Feld, wo er mit dem Eisernen Kreuz zweiter Klasse ausgezeichnet wurde. Das Jahr 1881 brachte ihm die Ernennung zum Hauptmann, das folgende sah ihn als zweiten Adjutanten seines Onkels, dessen persönlicher Adjutant er wurde, als der greise Feldmarschall zum Präses der Landesverteidigungskommission ernannt wurde. 1888 wurde Moltke Major und am 28. April 1891 — nach dem Tode des Generalfeldmarschalls — diensttuender Flügeladjutant des Kaisers. 1895 wurde er Oberst, 1896 Kommandeur des Kaiser-Alexander-Garde-Grenadierregiments Nr. 1, 1899 Generalmajor und Kommandeur der 1. Garde-Jnfanterie- brigade und 1902 unter Beförderung zum Generalleutnant Generaladjutant und Kommandeur der 1. Gardedivision. Am 18. Februar 1904 erfolgte dann seine Ernennung zum Generalquartiermeister. General von'Moltke ist mit Elise, Gräfin von Moltke-Hvoitfeldt, vermählt, und dieser Ehe sind drei Söhne und eine Tochter entsprossen. Es ist bekannt, daß der große Moltke mit Vorliebe in dieser Kinderstube weilte, und daß das Haus seines Neffen ihm seit der Gattin Tod die Heimat bedeutete.
Der „Panther" als Keimatsöote in Brasilien. (Zu dem
Bilde auf S. 75.) Am 17. November 1905 lief der deutsche Kreuzer
„Panther" in den Hafen von Jtajahy ein, und während er sich bis zum 27. in beschaulicher Ruhe auf den Wellen schaukelte, unternahmen Kommandant und Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften einen mehrtägigen Ausflug nach der deutschesten aller deutschen Kolonnen in Brasilien, nach dem unweit gelegenen B lumen au. Eine Kommission hatte sich unter Anführung des Herrn Konsuls Blohm auf dem Dampfer „Blumenau" in den Hafen von Jtajahy begeben und nahm dort die Festgäste — im ganzen 55 — in Empfang. Seit langem hatten die Blumenauer Kolonisten den Tag herbeigesehnt, wo sie deutschen Seeleuten den Willkommensgruß entbieten könnten, und so gestaltete sich die Einfahrt des Festdampfers zu einem wahren Triumphzug. Kammerpräsident Marganda brachte ein Hoch auf den „Panther" und den Deutschen Kaiser aus, das jubelndes, tausendstimmiges Echo fand, der Kommandant, Korvettenkapitän Graf Saurma-Jelrsch, hielt vor dein deutschen Konsulat, wo die alten Soldaten Aufstellung genommen hatten, eine markige Ansprache. Festlichkeiten aller Art füllten in buntem Wechsel die schnell vorüberfliegenden Festtage aus, und das Gedächtnis dieser Feierstunden, in denen die alte deutsche Heimat der junger: Kolonie übers Meer hinüber die Hand reichte, wird jeden: Teilnehmer- teuer sein. Daß ein desertierender Matrose des „Panther" beinahe einen ernsten deutsch-brasilianischen Zwischenfall verursacht hätte, ist unseren Lesern bekannt.
Generalfeld marsch all Graf v. Kasseler. (Mit dem Bildnis auf S. 76.) Am 19. Januar begeht Graf von Haeseler seinen 70. Geburtstag; im Ruhestand — so weit ein so ganz auf Arbeit und Pflichterfüllung gestelltes Leben „Ruhe" zuläßt! Graf v. Haeseler ist durch und durch Soldat, er hat seinem Beruf nicht nur die von jedem preußischen Offizier verlangte Pflichttreue und Hingebung entgegengebracht, sondern mit all seinen Gedanken und Interessen, mit aller Liebe und Begeisterungsfähigkeit seines Herzens in diesem Bern: gewurzelt. Im Jahre 1836 zu Potsdam geboren, kan: er au: 26. April 1853 als Leutnant in das 3. Husarenregiment. Der Feldzug