abzwingen soll. Die Last des Rächeramts fällt von ihm ab. Er wird für Augenblicke frei und freudig. Er spielt mit den eigenen schönen Worten, er redet sich in edlen Eifer, er ist für eine kurze glückliche Spanne Zeit der eifrige Protektor der Friedenskünste, der feingeistige, heitere Prinz, in dessen Brust eine Welt voll Schönheit der Erfüllung wartet, der Jüngling, von dem Fortinbras — an des Erstochenen Leiche — sagen kann: „. . . er hätte — wär' er hin auf gelangt, unfehlbar sich höchst königlich bewährt!" ... So aber hat nur ein einziger Hamlet von allen, die ich sah, diese Szene gespielt: Joseph Kainz.
Kainz ist heute vielleicht der volkstümlichste Schauspieler deutscher Zunge. Er hat sich durchgesetzt gegen ein Publikum, das ihn zunächst nicht ernst nahm, das später immer wieder mit Enttäuschung kämpfte und aufs neue erobert sein wollte. Aber was mehr ist: er hat sich durchgesetzt gegen sich selbst. Der Körper des Schau-
Jn-
spielers ist sein strument. Die Auffassung macht es nicht allein, nicht der Intellekt und alles schöne Organ. Kainz ist aber heute nicht mehr- jung, er nähert sich den Fünfzigern und darf's doch noch wagen, die Jugend zu spielen.
Und als er jung war, ging ihm die beim ersten Anblick gewinnende Frische der gesunden, kräftigen Erscheinung ab. Sein Romeo entsprach niemals, bildhaft gesehen, dem Ideal des edlen Veronesers, der Capulets liebliche Tochter beim ersten Begegnen gewinnt und ihrem ängst lichen Herzchen die bangen Worte erpreßt: „. . . Ist er vermählt —
So sei das Grab zum Brautbett mir erwählt!" Sein Prinz von Homburg zeigte in der äußeren Erscheinung nicht die bestechende Liebenswürdigkeit des verträumten, jungen Reiterführers, die oft kleinere Provinzschauspieler aufzuzeigen haben. Sein Ferdinand ist nicht der vielleicht jugendliche Held, der sich nur in der kleidsamen Uniform des Majors zu zeigen braucht, um alle Backfischherzen die Rolle der Luise Millerin, mindestens einen Akt lang, fürs eigene Leben ersehnen zu lassen. Seine Figur ist kaum mittelgroß, überschlank, zart, unbedeutend. Manche der größten Helden haben freilich in ihrer Leiblichkeit vielleicht nicht anders ausgesehen. Aber wie wir eine eigene „Bühnenmoral" haben und auf dem Theater sehr streng über Eharaktere zu urteilen geneigt sind, die wir im Leben passieren ließen, so verlangen wir auch von der Körperlichkeit unserer Lieblingshelden ein Besonderes; und daß ein Max Piccolomini, der so treuherzig zu schwärmen, so heroisch Zu sterben versteht, kein wunderhübsch gewachsener Kerl sein soll, will uns zunächst ebensowenig in den Kopf, wie daß ein Prinz Heinz, der in der Schenke zu Eastcheap mit dem dicken Sir John zecht und tollt, nicht schon durch eine königlich schlanke Figur unter den vom Leben zerbeulten und verbogenen Kneipkumpanen hervorragen sollte. Kainz ragt nichH hervor. Neben die anderen Spieler gestellt, reglos und
ohne zu reden, würde sein Romeo, sein Orest und sein Tempelherr kaum irgend etwas bedeuten. Aber: es ist der Geist, der sich den Körper baut. Die lebendige Leidenschaft, die in den Flammen lodernder Rede aus diesem scheinbar so unansehnlichen Instrumente zuckt, verändert diesen dürftigen Leib, gibt ihm in der Bewegung, im königlichen Anstand, in der ritterlichen Geste, in der scheinbar so einfachen und doch so schweren Kunst des Schreckens, des Beherrschet seiner Umgebung durch Blick und Wink eine Größe, an die redlicher Talente ehrliches Mühen nie heranreicht. Und wie der Zuschauer, der Kainz zum erstenmal sieht, enttäuscht ist von der in nichts auffälligen Figur, so kämpft der Hörer bei seinen ersten Worten stets mit einem leisen, unbehaglichen Befremden. Keine Rolle von Bedeutung — dazu sind die echten Dramatiker zu klug und zu vorsichtig — erklimmt in einer ersten Szene gleich einen Höhepunkt, von dem sich ja dann schwer der notwendige aufsteigende
Weg zu anderen Gip feln finden ließe. Kainz aber ist ein viel zu ehrlicher Künstler, um gleich sein erstes Heraustreten — auch wo er's als gefeierter Gast nach Vir- Luosenart wagen könnte — zu einer alles überstrahlenden Bedeutsamkeit aufzuputzen. Er setzt leicht und schlichtem. Oft so leicht und schlicht, daß es ihm als Nonchalance gedeutet wird. Er tut das nicht etwa, um seine rhetorischen Mittel schlau zu schonen, denn die Kraft, die in diesem schmächtigen Brustkorb sitzt, ist durch eine bewunderns-
Äarnlet. ' . werte Disziplin schier
unerschöpflich, wo ihr die Klugheit endlich die Zügel schießen läßt. Er mäßigt sich nur, um die Stellen, die er für die wertvollsten, an poetischen Schönheiten reichsten seiner Rolle hält, im Sinne der Dichtung gebührend hervorzuheben. Die i Kunst der Steigerung, die nur dem disziplinierten, geistig hochstehenden Künstler eignet, hat er zu einer seltenen Vollendung erhoben. „Denn mitten in dem Strom, Sturm und, wie ich sagen mag, Wirbelwind eurer Leidenschaft müßt ihr euch eure Mäßigung zu eigen machen, die ihr Geschmeidigkeit gibt. O es ärgert mich in der Seele, wenn solch ein handfester, haarbuschiger Geselle eine Leidenschaft in Fetzen, in rechte
Lumpen zerreißt, um den Gründlingen im Parterre in die
Ohren zu donnern, die meistens von nichts wissen als unaus- legbaren, stummen Pantomimen und Lärm." So spricht durch Hamlets Mund der Schauspieler Shakespeare, der seinen Kollegen belehren will; spricht der Dichter Shakespeare, der so oft von Kulissenreißern zwar ein kindliches Publikum in die Ekstase gepeitscht, den Schöpfer des Dramas aber um sein Bestes und Feinstes betrogen sah. Auch das vollendetste Theaterstück kann seinen Figuren nicht lauter Goldkörner der Weisheit, lauter Funken einer großen Leidenschaft geben, um damit zu
spielen. Ein solches Stück hörte auf, die Wahrheit vorzu
täuschen, denn es schickte Gestalten von unmöglichen Menschen an die Rampe, von überirdischen Wesen, die mit der Alltäglichkeit