Heft 
(1906) 10
Seite
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Abfallprodukte die Landwirtschaft. Der Zusammenhang ist hier folgender: Wir gingen davon aus, daß alle Pflanzen Stickstoff enthalten; so war es auch mit jenen der Fall, die vor Millionen von Jahren wuchsen und uns jetzt in Form von Steinkohle zur Verfügung stehen. Ist auch die Steinkohle ein sehr stark verändertes Holz, so enthält sie doch von ihrem Ursprung her immer noch stickstoffhaltige Verbindungen. Wird sie nun für die Zwecke der Gasbereitung in den Leuchtgas­anstalten oder zum Zweck der Verkokung für die Eisenindustrie stark geglüht, so entweicht der größte Teil ihres Stickstoffes in Form einer sehr einfachen chemischen Verbindung, die den NamenAmmoniak" führt. Das Ammoniak vereinigt sich beim Zusammenkommen mit Schwefelsäure mit dieser Säure zu schwefelsaurem Ammoniak, und da sich gezeigt hat, daß es gerade in dieser Verbindung den Pflanzen sehr willkommen ist, wird es in dieser Form der Landwirtschaft geliefert.

Zu erwähnen hätten wir schließlich noch den Guano. Er besteht aus dem Kot von Seevögeln, die sich nament­lich an den regenlosen Küsten von Südamerika zu sehr großen Massen angehäuft haben. Doch sind die vorhandenen

Vorräte heute schon so gut wie vollständig aufgebraucht, und deshalb spielt er keine Rolle mehr. Aus den voran­gehenden Mitteilungen ist uns aber klar, daß daraus gegen­wärtig der Landwirtschaft kein Schaden mehr erwächst, denn uian kann ihr ja auch ohne ihn beliebige Mengen künstlicher Pflanzennährmittel zur Verfügung stellen.

Haben wir bisher angenommen, daß die künstlichen Dünge­mittel nur zur Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit dienen sollen, so ergibt sich aus unserem jetzigen Wissen weiter, daß wir mit ihrer Hilfe nicht nur dieses vermögen, sondern die Frucht­

barkeit des Bodens auch bedeutend steigern können. Wenn zum Beispiel Ackerböden arm an Phosphorsäure sind und man ihnen nun reichlich von dieser zuführt, so werden die Ernten von jetzt ab weit besser werden, und ganz entsprechend steht es um das Kali und den Stickstoff. Ja, das geht so weit, daß man heutzutage reine Sandflächen, die bis zur Erkenntnis der vorliegenden Verhältnisse völlig ertraglos waren, nicht nur theoretisch in Äcker zu verwandeln vermag, sondern auch durch Zu­führung der künstlichen Düngemittel praktisch in diese verwandelt.

An dem Ausbau großer Gebiete der Wissenschaft hat meist eine bedeutende Anzahl Gelehrter in langen Zeiträumen ge­arbeitet, bis schließlich ein genialer Geist alle diese Arbeiten zu einem Ganzen zusammenfaßte, welches das Weiterarbeiten alsdann von einem höheren Gesichtspunkt aus ermöglicht. Das ungeheure Gebiet jedoch, mit dem wir es hier zu tun haben, von dem das stolze Wort gilt, daß es erst den Menschen zum Herrn der Erde gemacht hat, hat sich um das Jahr 1850 herum im Kopfe eines Einzelnen zu voller Klarheit entfaltet. Dieser große Mann ist Liebig gewesen, dessen hundertsten Geburtstages auch dieGartenlaube" im Mai 1903 entsprechend gedacht hat. Mehr als jener kurze Nachruf es vermochte, werden uns die vorangehenden Mitteilungen über den Wert der allein auf seinen Ideen fußenden künstlichen Pflanzennührmittel aufklären, und wir werden anerkennen müssen, daß mit der industriellen Durchführung der Ideen Liebigs ein neuer Abschnitt in der Geschichte der Menschheit begonnen hat. Jetzt erst ist die Gefahr beseitigt, daß die Kulturvölker durch den Ackerbau, der ohne künstliche Dünge­mittel nur langsamer Raubbau ist, sich selbst den Boden ab­graben auf dem sie fußen.

Der Damenfeind.

(2. Fortsetzung.) Erzählung von Gertrud

as Hochzeitsmahl war zu Ende ein Göttermahl, bei den: Nektar und Ambrosia gereicht und eine himmlische Musik von Engeln in schwarzen Röcken denn Menschen hätten auf irdischen Instrumenten so überirdische Melodien und Harmonien nicht zu erzeugen vermocht ausgeführt wurde. Und neben Arnold Schmidt hatte ein Engel in einem weißen Kleide gesessen, ohne Flügel freilich, aber doch so unzweifelhaft ein Wesen aus höheren Sphären, daß Arnold Schmidt den Ge­danken an eine staubgeborene, fehlerbehaftete Menschentochter als eure bare Ausgeburt des Wahnwitzes von sich gewiesen hätte.

Die Polonäse hatten sie noch zusammen getanzt. Aber schon beim Walzer hatte er bekennen müssen:Ich kann nicht tanzen." Und dann waren andere gekommen, Glücklichere, Menschen, die eine gute Kinderstube, eine tadellose gesellschaft liche Erziehung gehabt hatten, und hatten ihm sein Kleinod entführt. Und nun saß er in einer Ecke des Saales in der Nähe der Musik, die jetzt ganz ordinäre Weisen zusammen­kratzte und zusammenhämmerte, halbverborgen hinter einem Lebensbaum, und dachte dachte halb ein seliger, halb ein todwunder Mensch.

Seit er sich seinen ersten Korb geholt vor beinah zwanzig Jahren und sich bis über die Nasenspitze in Weiberhaß gehüllt hatte; seit er Schopenhauer- und Nietzsche­jünger geworden und Ludowike Schmälzlein als einzige Repräsentantin des Ewig-Weiblichen in seiner Nähe geduldet seit dieser Zeit war ihm heut zum erstenmal der wahre Begriff desWeibes" aufgegangen.

Er hatte es ja beim ersten Blick gewußt, und jedes Wort, jedes Lächeln hatte es ihm bestätigt: sie ist es, die einzige Eine, auf die du gewartet, für die du dein ganzes Herz auf­gespart hast um die du so lange zum Sonderling, zum Weibverächter geworden warst!

Franke-Schievelbein.

Sie hatte das Wunder vollbracht, ihn sich selber zu schenken. Unter dem Wesenszauber dieser schönen und klugen Frau hatte er alles zu sagen vermocht, was sonst wie mit sieben Siegeln verschlossen in den tiefsten Tiefen seiner Seele geruht hatte. Für die feinsten, zartesten, flüchtigsten Gedankenbilder hatte er, der Schwerfällige, spielend den Ausdruck gefunden. Reich wie ein König hatte er verschwendet von den Schätzen seines Geistes, die er selber kaum gekannt und dafür köstlichere Schätze eingeheimst.

Über alles sprachen sie; alles, was er in seinen einsamen Abendstunden gesonnen, gelesen, aufgespeichert hatte nur für sich, wie er meinte das lauschte sie ihm mit ihren ver­stehenden, denkenden Augen ab, das wußte sie, hatte sie selber ge­dacht. Und ein Wort war's oft, eine hingeworfene Bemerkung, die ihm zeigte, welch eine wundervolle Harmonie zwischen ihnen herrschte. Bor allem war's die Kunst, seine Kunst, für die sie ein unbegreifliches ja bei einer Frau geradezu unerhörtes Verständnis verriet. Sie hatte eine Sachkenntnis und eine Beherrschung der Fachausdrücke, daß er manchmal, wie er nicht verhehlen konnte ganzbaff" dasaß.

Aber mein gnädiges Fräulein, woher haben Sie das nur?" rief er außer sich.Woher kennen Sie alle meine Arbeiten?"

Dann Zuckte sie die weißen Schultern, lächelte geheimnis­voll, sagte ein ganz klein wenig mit Evaverschlagenheit: Ja, das möchten Sie wohl wissen, Herr Schmidt!"

Und wenn er dann beteuerte, daß er nichts auf der Welt so glühend wünsche als das, so meinte sie gelassen freund­lich:Aber was ist dabei? Das weiß doch jeder gebildete Mensch. Und ,Arnold SchmidÜ ist doch kein Unbekannter."

Und nun saß er da, wieder allein, einsamer als je, und sah sie durch den Saal schweben allen gehörend, für alle