Heft 
(1906) 14
Seite
302
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Ballade von Ewald Gerhard Seeliger (Hamburg).

Bergties unter der Erde versteckt Schlief sie Jahrmillionen,

Bis sie menschlicher Fürwitz geweckt Mit Bohrstahl und Sprengpatronen,

Bis ihr wühlte der Haue Erz Tief in den Leib die Stollen,

Bis ihr bebte das schlummernde Herz Unter der Schüsse Nöllen.

Der Schmerz durchzuckte ihr Mark und Bein, Und dehnend reckt sie die Ninge;

Nur leise zittert der lastende Stein,

Nicht löst er die kerkernde Zwinge,

Er zwängt und drängt und schließt sich fest Um die aufbäumenden Glieder,

Und ächzendes Klammern fesselt und preßt Sie wieder zur Ohnmacht nieder.

Da hebt sie die Lider in knirschender Qual, Blutdüster die Augen glühen:

Die wölben sich, wachsen, bis flackernd und fahl Wutgierige Flammen entsprühen.

So lauert sie keuchend in Pein und Krampf, Die Feinde zu zerschmettern.

Und ihre Blicke sind stickender Dampf Und schleichen mit schlagenden Wettern.

Die Zündschnur glimmt! Schon zischt sie Rauch! Zurück um die bergende Ecke!

Ein Krachen zerreißt den schwarzen Schlauch,

Und frei wird wieder die Strecke.

Die Picken pochen, der Stempel stöhnt.

Fernher grollen die Minen,

Die Meißel klirrren, der Wagen dröhnt Ratternd über die Schienen.

Es brennt, Vater Leon, ich weiß es lang!'"

Jean, hüte deine Zunge!"

Es brennt lichterloh im dritten Gang!""

Bist du des Teufels, Junge?""

Und morgen fahr ich nicht wieder ein.

Schon lange Hab ichs gerochen;

Es schlägt uns alle kurz und klein,

Wenn es die Mauer durchbrochen!"

Den Alten packt ein lähmender Barm,

Er runzelt die greise Braue,

Und starrt wirrsinnig den Jungen an.

Dann schwingt er mit Macht die Laue.

Es brannte schon oft! Auf die Arbeit geschaut! Gib deinen Fingern ihr Futter!

Du hast daheim eine junge Braut Und eine kranke Mutter!""

Die Förderschalen sanken zum Grund,

Vierzigmal stießen sie in den Schlund!

Vierzigmal tauchten sie aus dem Grab Fünfzehnhundert fuhren hinab.

Fünfzehnhundert, gerüstet zur Schlacht,

Schluckte der schwarze, gähnende Schacht.

Das Lämpchen glimmt, ein hastiges Wort,

Und jeder eilt an seinen Ort.

Das Flämmchen zuckt in der nervigen Faust, Donnernd und dröhnend das Lied erbraust:

Wir schaffen in harter, finstrer Schicht Für euch da droben, ihr Brüder im Licht.

Wir fronen und pflügen ein felsiges Feld,

Wir Sklaven der Arbeit, wir Herren der Welt!"

Und ruckend entreißt die Schale den Raub Dem brandigen Brodem, dem stickenden Staub.

Horch, Vater Leon, die Lampe knallt!"

Klirrend wuchtet die Haue am Spalt.

Halts Maul, sonst lockt noch dein böses Geschrei Den schlimmen Alten vom Berge herbei.

Er schiebt in den Weg uns sein schiefriges Bett Und schreibt uns Nullen ans schwarze Brett."

Die schwarze Schlange lauert und lechzt.

Die Augen sprühen, die Mauer ächzt.

Ihr Rachen sperrt sich lodernd und weit. Knisternd zerfrißt er Stempel und Scheit

Ihr Atem haucht Glut, ihr Feuerzahn bleckt, Lüstern die flammende Zunge leckt.