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und kleinen malerischen Jnselchen, die berühmten St. Antonsfälle. Als ich sie im vergangenen Jahre wieder besuchte, waren sie völlig verschwunden. An Stelle der von Urwäldern und Felsen umrahmten schäumenden Wassermassen legt sich heute ein trockener Holzdamm quer über den Riesenstrom. Sein ganzes Wasser wird durch ein Labyrinth von Kanälen geleitet, um Mühlen und Fabriken und Sägewerke zu treiben. Rings um ihre Ufer steht heute auf dem einstigen Urwaldboden die Viertelmillionenstadt Minneapolis.
Im Jahre 1880 gewahrte ich bei meiner Ankunft in Pittsburg zur Nachtzeit einen riesigen Feuerschein, der die ganze Umgebung blutrot erleuchtete. Bon meinem Hotel den Monongahelastrom abwärts blickend, sah ich, daß der Schein von einer sechs Meter hohen, der Erde entspringenden Flamme herstammt'e. Es war Erdgas, das unverwendet verbrannte. Seitdem ist eine Reihe von Gesellschaften zur Verwertung dieses Gases entstanden mit einer Kapitalsanlage von 160 Millionen Mark. Das Gas, 1500 Bohrlöchern entspringend, wird durch ein Röhrennetz von 5000 Kilometern Länge durch die ganze Stadt geleitet, speist 40000 Haushaltungen und zahlreiche Industriebetriebe. Die Gasmenge erreicht in den
Wintermonaten täglich 200 Millionen Kubikfuß, eine tägliche Ersparnis von 11000 Tonnen Kohle!
Der Mangel an Arbeitskräften hat auch den Niagara in den Dienst der Industrie treten lassen, diesen gewaltigsten aller Kraftspender. Die halbe Million Kubikmeter Wasser, die in jeder Minute 50 Meter tief in den Niagaraschlund hinabstürzt, könnte sieben Millionen Pferdekräfte erzeugen, also beinahe so viel, wie das ganze industrielle Deutschland in seinen Betrieben heute anwendet. Im vergangenen Jahre besuchte ich die in der letzten Zeit dort entstandenen oder noch im Bau begriffenen Turbinenanlagen, die größten der Erde, die vorläufig eine halbe Million Pferdekräfte für die ringsum entstandenen Industriebetriebe erzeugen!
Man kann aus diesen wenigen Beispielen erkennen, wie die Amerikaner, mit der mächtigen Entwicklung ihres Landes gleichen Schritt haltend, auch alle sich darbietenden natürlichen Kraftquellen auszunutzen verstehen, die sich in ihrem Kontinent in so unvergleichlicher Fülle darbieten. Forscht man aber nach dem Grund dieser Entwicklung, so kommt man in erster Linie immer wieder auf die große Völkerwanderung von Europa nach Amerika zurück, wie ich in dem folgenden und letzten Aufsatz dartun will.
MM
vr. Eduard Grisebach f.
Hduard Hriseöach. (Mit dem nebenstehenden Bildnis.) Am 22. März ist in Charlottenburg, wo er seit einer Reihe von Jahren lebte, Konsul Eduard Grisebach, der weit bekannte Dichter des „Neuen
Tannhäusers", im Alter von 61 Jahren gestorben. Er hat mit manchem anderen das Los geteilt, durch ein einziges Werk, gleichsam über Nacht, zu einer „Berühmtheit" zu werden und nach diesem einen großen Schlager dann nichts Größeres mehr zu schaffen. Jedenfalls werden sich unsere älteren Leser noch der Begeisterung entsinnen, mit der im Jahre 1869 Grisebachs erstes Buch, der „Neue Tannhäuser" im Publikum ausgenommen wurde. Weltschmerz und glühende Sinnlichkeit vereinigen sich in den elegant fließenden Strophen des Buches, das schnell nacheinander an 25
Auslagen erlebte — sür ein Gedichtbuch damals ein fast unerhörter Erfolg! Grisebach war ein schwärmerischer Verehrer Schopenhauers, des Modephilosophen jener Zeit, und die Weltverachtung im Sinne Schopenhauers behauptet sich aus jeder Seite des Werkes, so sehr es sonst auch von Sinnenfreude und von bacchantischem Genießen spricht. Ein zweites Werk: „Tannhäuser in Rom" war farbloser, und späterhin hat Grisebach nichts Eignes mehr herausgegeben. Wohl aber ist er als Literarkritiker von Bedeutung — seine Ausgaben von Werken deutscher Dichter, wie Bürger, Kleist, Hoffmann und die Biographie Schopenhauers usw., sind in den weitesten Kreisen hochgeschätzt. Eduard Grisebach, der 1845 geborene Sohn des berühmten Botanikers gleichen Namens, zeichnete sich durch seinsinnigen Verstand und gediegenste Bildung aus, und diese Vorzüge waren es, die seine stark sinnliche Lyrik vor jeder Unschönheit der Form und vor jeder Taktlosigkeit des Inhalts bewahrten.
Wrchaek Heorg Gonrad. (Mit dem obenstehenden Bildnis.) Der bekannte Romanschriftsteller, Lyriker und Essayist, der Führer
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Der Bismarck-Turm bei Chemnitz.
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Michael Georg Conrad.
der süddeutschen „Modernen" und frühere Reichstagsabgeordnete Michael Georg Conrad, feiert am 5. April seinen 60. Geburtstag. Es will einem nicht recht in den Kopf, daß dieser jugendlich starke, feurig empfindende Mann, der so oft für eine gute Sache das Wort geführt, so oft die Massen hingerissen hat durch die Gewalt der Rede, schon an der Schwelle des Alters steht, daß die blondmähnige Reckengestalt mit den blauen, blitzenden Augen eigentlich schon ins „reifere Register" gehört! Michael Georg Conrad ist eine Kampfnatur! Allem Schwachen, Kranken, Müden abgeneigt, ein Feind alles Überlebten und Morschen, hat er der „Tradition" manch liebes Mal den Krieg erklärt, um für das Neue und Freie einzutreten. Eine tiefe, innige Heimatliebe geht durch all seine Werke, sie atmen Erd- geruch, sind Bekenntnisse
eines weichen und zarten Herzens. Zu Gnodstadt in Franken geboren und ursprünglich zum Lehrer bestimmt, sattelte M. G. Conrad schon frühzeitig um und widmete sich ganz der schriftstellerischen Tätigkeit. 1885 gründete er die Zeitschrift „Die Gesellschaft", die ganz der modernen Richtung diente und das 'Hauptorgan des süddeutschen Realismus gewesen ist. Zahlreiche politisch-pädagogische Schriften und Literatur- und Volksstüdien bekundeten seine freie Gesinnung, eine ganze Reihe von Romanen und Novellen erwiesen seine künstlerische Bedeutung. Wir nennen von seinen Werken nur die Romane: „Die klugen Jungfrauen", „Was die Isar rauscht" — ein Münchener Roman, der 1898 schon die dritte Auflage erlebte — „Die Beichte des Narren" und „Majestät" — die Geschichte des unglücklichen Bayernkönigs Ludwig 1l. Auch als Lyriker ist M. G. Conrad hervorgetreten mit seinem Gedichtbuchs „Salve Regina".
Der Msmarck-Turrn öei GHerrmrh. (Zu der nebenstehenden Abbildung.) Auf der Borna-Röhrsdorfer Höhe bei Chemnitz ist ein Bismarckturm errichtet worden, ein neues Glied in der Kette der Türme und Feuersäulen, die zu Ehren des Altreichskanzlers,