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hatte ihn schon hundertmal gelockt. Welch ein Spaß, sie dem Alten abzuknöpfen! Und es ginge so leicht; ein sanfter
Druck von unten gegen die Westentasche und mit der anderen Hand den Karabinerhaken aus dem Knopfloch — das ist ein Moment!
Der Gehilfe verzog sein Gesicht zu einer weinerlichen
Grimasse, weil er sonst unweigerlich hätte lachen müssen, bei dem Gedanken an den Lärm, den die Schwiegermutter schlagen würde, wenn ihr Mann plötzlich seine Uhr nicht mehr
hätte. . .
„Wirste denn ooch jut zu ihr sein, Albert?" fragte der Barbier nochmals, sich in seiner Rührung das letzte Glas Wein aus der Flasche eingießend.
„Aber, Papa! ..."
„Jib mir de Hand druff!"
Albert reichte ihm die Rechte, und in überströmendem Gefühl zog ihn der Alte an seine Brust und klopfte ihm
zärtlich den Rücken. . .
Nachher sprachen die beiden Männer vom Geschäft, das vorläufig noch in Ladewigs Besitz bleiben, aber von dem Schwiegersohn geleitet werden sollte. Und bald darauf traten die Damen herein. . .
Albert ging rasch auf seine Trude zu, küßte sie innig und sagte:
„Der Wagen is schon unten, Liebling!"
Sie lief lachend ans Fenster.
Indem rief die Schwiegermutter:
„Aber, Mann, du hast ja vergessen, deine Uhr anzumachen!"
„Was? ... Du bist woll nich recht, Frau! ... Ick Hab' doch eben noch nachjesehn!" ... er griff an seine Weste. „Nee, wahrhaftig! ... na nu brat' ma aber eena
'n Storch! ... Albert, sag' mal, Hab' ich se denn nich eben noch umjehatt . . .?"
Der junge Mann zuckte die Achseln.
„Ich weiß nich, Papa ..."
„Na sowas! ..." Der alte Herr suchte immer noch . . „Das ist doch aber ja nich möglich!"
„Wirst se eben nich umjebund'n Ham," meinte seine Frau.
„Aber ja, wenn 'k dir doch sage! ... ick weeß' janz jenau!"
„Na, ich kann ja mal nachsehn, Papa," sagte die stets gefällige Trude.
„Ach nein, du mit deiner Schleppe!" meinte ihr Bräutigam und war auch schon aus der Tür. Zurückkehrend hielt er Uhr und Kette triumphierend in die Höhe.
„Na siehste, Papa! . . . haste se richtig vergessen..."
„Wenn ick nich die Augen überall hätte. . ." meinte die Schwiegermutter, und ihr Mann sagte:
„Ja, Mutter, du bist 'ne Perle! . . . Wenn wa dir nich Hütten, denn wüßten wa wirklich nich, wat wa anfang' sollten!"
Aber die Augen der Frau hatten inzwischen die des Schwiegersohnes getroffen, und der Instinkt der Mutter, die im Begriff war, ihr Kind diesem Manne zu geben, ahnte unbekannte und rätselhafte Gefahren. .
Das Brautpaar ging stolz und glücklich durch den Hausflur auf die Straße, wo zu beiden Seiten des mit Blumen bestreuten Läufers die Nachbarn und Passanten Kopf an Kopf standen. Dann hob der schlanke, junge Barbier seine reizende Braut hinein in die blaulackierte, versilberte Equipage mit' den beiden Apfelschimmeln, und gleich darauf fuhr der andere Wagen vor, in dem die Vrauteltern davonrollten.
(Schluß folgt.)
Deutsche Opfer -es Larvschen Aktrenschrrnn-els.
von s.
'nter Anführung des Rechtsgelehrten Daniel Pastorius fuhr am 6. Oktober 1683 ein Häuflein Deutscher, zumeist aus Krefeldern und Frankfurtern bestehend, in den Delawarestrom hinein. Es waren dies die ersten deutschen Ansiedler, die in „der neuerdings erfundenen Provinz Pennsylvania an denen Endgrenzen Americae in der Westwelt gelegen" den Boden Nordamerikas betraten. Hier gründeten sie die Niederlassung Germantown, die bald zur fröhlichen Blüte gelangte. In ihrem von Pastorius geschaffenen Wappen prangte ein Kleeblatt; auf dem einen Blatte war eine Weinrebe, auf dem zweiten ein Flachsrocken und auf dem dritten eine Weberspule abgebildet; „Vinum, lüunm et Dextrinum" lautete die Inschrift darüber, Zum Zeichen, daß im Wein- und Flachsbau und in der Weberei die Ansiedler reiche Ouellen neuen Wohlstandes fanden.
Seit jener Zeit verließen immer neue Scharen Deutscher die alte Heimat, in der Hoffnung, daß sie in der „Neuen Welt" ein besseres Fortkommen finden würden, aber nicht allen winkte das gleiche Glück wie den Gründern von Germantown. Die Geschichte der Auswanderung zeigt auch trübe Kapitel, und gleich in ihren Anfängen weiß sie von Tausenden Unglücklicher zu berichten, die durch falsche Vorspiegelungen verlockt, in der Fremde verdarben oder unsägliches Elend erleiden mußten.
Zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts erschienen in Deutschland Flugschriften, in denen neue Kolonisationsgebiete gepriesen wurden, vor allem aber das „herrliche Land Louisiana an dem großen Flusse Mississippi", das damals eine französische Kolonie war.
Man berichtete, wie „durch den großen Aventurier Christo- phum Columbum eine große Menge derer Europäer außerhalb Europam nach Americam getrieben werden" und wie gut es
Tenner.
ihnen dort gehe. Louisiana wurde vor allem herausgestrichen, „ungemein angenehm" sei dort der Boden und vier Ernten bringe er im Jahre! „Man kann sich den Überfluß des Landes nicht groß genug einbilden." Ein unermeßlicher Reichtum an Wild, das jeder schießen darf — das Wichtigste aber seien die Gold- und Silberminen. Das war eine arge Flunkerei, denn jene Minen harren noch bis heute ihres Entdeckers, aber Tausende ließen sich durch die schönen Worte verführen und segelten nach diesem Gelobten Lande hinaus, um traurig zugrunde zu gehen.
Angeregt waren jene Flugschriften von dem größten Gründer jener Zeit, der damals an der Seine auf der Höhe seiner ephemeren Größe stand und die Welt weit über Frankreichs Grenzen zu blenden verstand. John Law hieß der Mann. Ein Schotte von Geburt, kam er in jungen Jahren nach London und Amsterdam, wo er den Betrieb der Bankgeschäfte näher kennenlernte; er befaßte sich auch mit Mathematik und studierte praktisch das Glücksspiel. Indem er mit diesen Kenntnissen verschiedene europäische Länder bereiste, gewann er sich ein Vermögen von etwa 2 Millionen Livres oder Franken. Dabei aber verfolgte er hochgehende volkswirtschaftliche Pläne, wollte neue großartige Kreditanstalten und überseeische Handelsgesellschaften gründen. Damit trat er an verschiedene Höfe Europas heran, fand aber erst in Frankreich nach dem Tode Ludwigs XIV. einen günstigen Boden. Dem Regenten Philipp von Orleans schien er der geeignete Mann, Ordnung in den verfahrenen Finanzen des Landes zu schaffen. Im Jahre 1717 erhielt Law die Erlaubnis, eine Privatbank auf Aktien Zu gründen, die bald darauf in eine Staatsbank umgewandelt wurde. Sofort begann er in großen Mengen Banknoten herauszugeben, für die genügende Deckung nicht vorhanden war. Ferner gründete er