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Fahrzeugen von weitem. Die Hände als Sprachrohr an den Mund legend, schrie er den herangleitenden Kahn an:
„Halloh! Janfredrik Holm! Büst du dat?"
„Jo!" schallte es zurück.
„En staat'sches (stattliches) Schipp, de -Lowisell Dat was en goten Koop (Kauf)."
„Jo."
Krischan hob eine der Ketten am Pflock. „Schall ik ehr fastmaken?"
„Wenn wi torüggkümmt."
„Ook recht. Gote Fahrt denn!"
Den Kiel tief ins Wasser eingesenkt, glitt die „Luise" unter ihrer Last vorüber. Brün nahm die Mütze ab, wendete sich um, winkte lachend zurück. „Wir kommen gans bald wieder zu dich, Krischan Pott. Kannst dich da auf verlassen." Seine Augen sahen dabei über den Wirt weg sehnsüchtig zurück in die im Mittagsglast verdämmernde Ferne, wo Schmalenbeek lag.
Es war Nachmittag, als sie das Segel refften, den Mast niederlegten und sich mit dem Ruder unter der Brücke durch in den Torfhafen von Bremen schoben. Kaum fanden sie Platz zum Anlegen.
Auf dem großen, länglichen Wasserviereck herrschte ein Ameisengewimmel. Boote kamen und gingen. Am Ufer standen die hochbepackten Torfwagen. Sonnverbrannte Weiber wühlten zwischen den schwarzen Torfen, schleppten geschäftig in Kiepen und Körben immer neue Lasten herzu, oder balgten sich mit gellem Gekreisch um den Abfall, die Brocken, die ihr Teil waren. Vor den winzigen Holzschuppen höher hinauf am Ufer, den Aufbewahrungsräumen für ihre Schaufeln und Körbe, saßen die Bauern, die ausgeladen hatten, bedächtig vespernd, während eben Angekommene, an die Umzäunung gelehnt, in ihrer knorrigen Art einsilbig und zurückhaltend unterhandelten mit den Ankäufern, den Zwischenhändlern, die zungengewandt feilschten, mit weiten Armbewegungen sich wehrten um jeden Pfennig, indessen ihr Knecht, drei Schritte entfernt, den Gaul schon am Zaum hielt, um, sobald der Zuschlag erfolgte, den Wagen durch den Schmutz der un- gepflasterten Straße zur Ausladestelle zu leiten.
Janfredriks Boot wurde erwartet. Der Zuschlag war schon in der vorigen Woche erfolgt. Da nahm die Löschung wenig Zeit in Anspruch.
Als das Schiff leer war, gingen Janfredrik und Brün über den Straßendamm zu Peter Petersen, dem Wirt einer der kleinen Kneipen, aus denen die Hafenstraße besteht, tranken einen Korn, wuschen sich Hände und Gesicht. Dann trieb Janfredrik, daß sie zum Notar kämen.
Aber Brün war nachdenklich. Er seufzte einigemal, und sein Kindergesicht schaute nicht so froh wie sonst.
Gleichwohl, als der Notar die beiden Testamente las, das Brüns, das im Fall er kinderlos stürbe, seine Schwester und ihre Nachkommen enterbte zugunsten seines Partners Janfredrik Holm, und das Janfredriks, das dessen Hinterlassenschaft Brün zusprach mit Ausschluß seines leiblichen Bruders, des Hoferben, und fragte, ob das so richtig und der Ausdruck von beider Meinung sei, antwortete Brün einfach: „Ja" und unterschrieb.
Dann, als sie wieder auf der Straße standen, hellte seine Miene sich völlig auf. Er lachte pfiffig.
„Weißt, mit die Testamenters, das is, wie wenn der Landrat Vorsteher Ehlers ein von sein Verordnungen auf den Hals schickt. Ich mein', da braucht gar nix nachzukommen. Ich bin ein jungen un gesunden Kerl un du auch, Janfredrik. Warum sollen wir denn sterben ohne eigene Kinders? Was? Nichwahr? Ich mag gar nix hören von Sterben un Testamenters. Ich mein', das Leben soll nu erst recht schön werden."
Er fing an zu pfeifen, wiegte sich in den Hüften, und da gerade ein junges, hübsches Mädchen des Weges kam, lachte er es an, daß die kleine Dame ihm mit entrüstetem Gesicht in
großem Bogen auswich. Er aber wendete sich zu Janfredrik: „Wie is, Janfredrik? Fahren wir denn nu gleich nach Haus?"
Janfredrik, in dem die Sehnsucht nicht weniger heftig brannte als in Brün, nickte. „Wie hefft hier nix mihr to dohn."
Sie bogen vom Markt in eine enge Straße des alten Bremen. Ein Lädchen war da, das seine Auslagen: Blumenkohl, Spickaal, Eier, Äpfel, Zwiebeln, Büschel Petersilie weit auf den Bürgersteig hinausstreckte. Vor diesem Lädchen ballte sich ein Knäuel Menschen zusammen. Zornige Weiberstimmen schallten aus seinem Innern und wiesen den Kindern und Burschen, die von allen Seiten herbeiliefen, den Weg.
„Gah to!" sagte Janfredrik und runzelte die Stirn. Er liebte Menschenansammlungen nicht.
Aber Brün stand stocksteif. Als die lebendige Mauer sich auf eine Sekunde auseinanderschob, hatte er gemeint, ein Profil zu erkennen, zottiges Haar wehte drum- Er wollte wissen.
Janfredrik war schon fünf Schritte voraus. Da faßte eine kleine Hand Brüns Arm.
Ein etwa elfjähriges Mädchen stand vor ihm. Aus ihrem hageren, blassen Gesicht schauten die Augen ihn an, die durch all' seine Kindheitserinnerungen leuchteten.
„Onkel Brün! Lieber Onkel Brün! Hilf uns doch!"
Brün schaute nicht mehr auf Janfredrik. Er hielt die Kinderhand fest. Mit kräftigen Ellbogen teilte er den Menschenknäuel, drang ins Innere.
Auf der obersten der zwei Stufen, die zum Laden führten, stand die Verkäuferin, hatte seine Schwester an der Schulter gepackt und schrie auf sie ein. Und seine Schwester, eine Stufe tiefer stehend, hatte die Frau auch bei der Schulter gepackt, fuhr ihr mit der geballten Faust unter der Nase herum und schrie zu ihr hinauf.
An die Wand aber drückte sich ein etwa neunjähriger Bube. Stumpfe Verstocktheit und Angst zugleich sprachen aus seiner Gebärde, aus den dunkeln, gierigen Augen. Aus seiner zerrissenen Jacke guckte der Kopf eines dicken Spickaals hervor, und seine kleine fettbeschmierte Faust war bemüht, zugleich die Beute Zu verstecken und festzuhalten.
Ekel, Wut, Scham brannten in Brün. Doch er fühlte den Druck der Kinderhand in seiner. Er drang vorwärts.
„Was gibt's hier? — Du hältst den Mund!" herrschte er Margret an, die schreiend sich zu ihm umwendete. „Sie, Frau, sagen Sie, worüber beklagen Sie sich?"
Da hörte er denn in Bruchstücken, unterbrochen von Schimpfreden, was seine böse Ahnung schon erraten hatte. Der Knirps da, der Schandbengel, hatte aus ihren Auslagen den Spickaal gestohlen. Seine Mutter hatte zwar die Frechheit, das zu leugnen. Aber sie kannte ihren Aal. Sie kannte auch die Familie. Der Vater saß im Zuchthaus. Die Mutter würde dahin kommen samt dem jungen Taugenichts!
Brün fuhr in seinen Ledergürtel, zog einen langen Geldbeutel heraus, in dem die Hälfte vom Erlös der Torfladung steckte. Seine Hand zitterte dabei.
„Das is woll ein Irrtum, Frau. Die da is mein Swester, un wir Lorensens stehlen nich." Er rüttelte Margret, die Miene machte, zu reden. „Halt den Mund! — Wir Lorensens stehlen nich. Wenn der Jung' Sie den Aal genommen hat, Frau, denn so is das geschehen, weil sein Mutter ihm kaufen wollt! Un wenn die in ihr Wut — sie is was hitzig — dem Bezahlen vergessen hat, denn werd ich das jetzt gleich machen. Sagen Sie, was er kostet."
Die Frau nannte eine hohe Summe. Sie konnte nicht wissen, ob die Gesellschaft ihr nicht noch mehr genommen hätte. Gesten: hätten Eier in der Auslage gefehlt.
Brün bezahlte auch die Eier. Dann packte er Margret und riß sie aus dem Menschenschwarm, all ihre Widerworte mit einen: barschen: „Halt den Mund! Halt bloß den Mund!" abschneidend.
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