Reste davon erlebt. Wenn wir lesen (heute schon mit Erstaunen lesen, denn diese Geschichte gehört längst zu tempi ua88ati), daß die ersten Besiedler und Besucher des Kaplandes wandernde Herden einer Antilope, des Springbocks, sahen, die nach Millionen von Köpfen zählten; wenn man sich an gewisse Mäusejahre bei uns erinnert und an Stelle jeder Maus etwa die Megamys, ein Nagetier Südamerikas in jener Tertiärzeit, das die Größe eines Rhinozeros besaß, gesetzt denkt: so dämmern Ahnungen, was damals möglich war. In den Ebenen Südamerikas, im nordamerikanischen Felsengebirge, am Fuße des himmelragenden (erst in der Mitte der Tertiärzeit selber entstandenen) Himalaja, auf dem klassischen Boden von Hellas bei Marathon, im Gips des heiligen Montmartreberges in Paris, im Wüstensand Ägyptens — überall liegen Katakomben, Gräberfelder von Säugetierschwärmen — bald elefantengroße Megatherien und nashorngroße Gürteltiere, bald Vorfahren unserer Rüsseltiere, bald Antilopen, echte Giraffen und vorweltliche Okapi-Tiere, bald völlig verschollene „Schreckhörner" mit sechs Hörnern und zwei großen Hauern zugleich, bald Ahnenformen unserer Pferde. Was heute noch in letzten Resten Südafrika und Indien bevölkert, schwärmte damals über ganz Europa und kreuzte auf der Landbrücke herüber und hinüber nach dem tierwimmelnden Nordamerika. Mastodonelefanten und Urpferde begegneten, nach Südamerika hinab vordringend, dort einer ganz isolierten Sondertierwelt zum Teil riesenhafter Faultiere und Gürteltiere, die vielleicht einem rätselhaften, damals warmen Südpolarlande entstammten. In Australien hielt sich zäh abgeschlossen ein Trupp allerältester Schnabeltiere und
Beuteltiere; diese Beuteltiere bildeten aber selber zu guter Letzt dort noch Kolossalformen: das Beutelmäuschen der Sekundärzeit brachte es, wie fortgerissen von den „Mutationslaunen" dieser Stunde, dort auch noch zum Diprotodon, das die Maße eines Elefanten besaß. In Schwaben und der Schweiz hausten im Paradiesbusch menschenähnliche Affen wie heute auf Borneo. Im Ozean räuberte das Zeuglodon, ein Waltier von Seeschlangengestalt mit mächtigem Gebiß. Dabei sehen wir in den erhaltenen Resten durchweg nur die „Großen", deren Gebein sich eben zäh bewahren konnte; die Legion der Kleinen und Kleinsten wird unfaßbar gewesen sein.
Das war das Paradies. Kein Unschuldsreich des Friedens, denn wir haben die schauerlichen Zähne der Machairoduskatzen, die vielleicht sogar in die Panzer der Riesengürteltiere ein- schnitten wie Messer in eine Pappschachtel. Aber doch mit einer solchen Fülle glücklichster Gaben Himmels und der Erden, mit ewigem Sommer bis zum Pol, mit Wandermöglichkeiten von Kontinent zu Kontinent auf breitem grünen Plan, mit einer solchen Überfülle der Nahrung für die überall dominierenden Pflanzenfresser in der beispiellosen paradiesischen Üppigkeit des Pflanzenwuchses selbst, und dabei mit solcher jungen Entwicklungskraft des Formspielens in all dem Säugetiervolk, daß eine ähnliche Lage nie wieder gekommen ist, die so ganz einem Paradiesbild in den Schranken der Möglichkeit und ohne zu tolle Friedensutopie entsprochen hätte. Selbst für diese Friedensfrage ist aber noch ein Wörtchen zu sagen, und das betrifft wieder gerade den Menschen in diesem „Paradiese".
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Georg Bangs Liebe.
(12. Fortsetzung.) Roman von Aarl Rosner.
er Neujahrstag brachte für Georg eine Überraschung.
Herr Felix Gutkind pflegte an diesem Tage stets gegen Mittag auf eine Stunde in das Geschäft zu kommen und dort in dem Privatkontor die Neujahrswünsche seiner Angestellten anzunehmen. Mann für Mann traten die dann in festtägiger Kleidung bei ihm ein, und immer wieder spielte sich dann mit kleinen Variationen der gleiche Dialog ab:
,,'n Morchen, Herr Kudgind!"
,,'n Morchen..." Herr Gutkind, der am Schreibtisch stand, sah den Eingetretenen mit vorgelegtem Kopf und hochgezogenen Braunen unter der Brille vor verwundert an, als wäre es ihm unerfindlich, was der wohl von ihm wollen könnte. Und Männe, der alte Dachshund, hustete und kläffte.
„Ich wollte mer nur erlauben, Herr Kudgind..."
„Ruhich, Männe — ruhich, mei' Hundche ... so is' brav . . . Cha?"
„. . . ich wollte mer nur erlauben, dem Herrn Kudgind e recht klickliches Neues Char ze winschen..."
„Soo . . .?" Herr Gutkind nickte gedankenschwer mit dem Kopfe. Die Eröffnung schien ihn sehr zu beschäftigen. „So . . ?" „Cha. . ."
„Nu, 's kuud..." Herrn Gutkinds Augen senkten sich wieder auf die Skripturen auf der Schreibtischplatte. Sie nahmen da versonnen die Durchsicht einer Zahlenreihe oder die Lektüre irgend eines Schriftstückes wieder auf — und wenn der Gratulant jetzt nicht den Mut fand, sich mit einem mehr oder weniger deutlichen „ . . . nu', kuten Morchen..." Zu empfehlen, dann konnte er unter Umständen recht lange den Anblick seines in Arbeit versunkenen Chefs genießen.
Aber bei dem Gratulationsgange Georg Bangs hatte sich an dieses übliche, seit Jahrzehnten von Herrn Felix Gutkind in der Hauptsache unverändert angewendete Neujahrsrituale noch ein ganz besonderer Appendix angegliedert, ein Anhang, der Georg wieder zeigte, daß in dem häßlichen wortkargen
Mann doch nicht alles verknöcherte Formel war, daß er bei all seiner Verschlossenheit sich doch manchmal mit fremden Schicksalen befassen mochte.
Georg hatte seine Wünsche glücklich angebracht, und Herr Felix Gutkind hatte sein tiefsinniges „Nu, 's is kuud . . ." gemurmelt. Da aber, als er schon die Augen senken wollte, sah er noch einmal auf.
„Sach emal, Cheorch — mit wen: de verkehrst denn eichendlich .. .? Ich meine so außer dem Geschäfte..."
„Mit niemand, Herr Gutkind..."
„Nich mit irchend so e Chung' aus der Handelsschule? Hast de geen' Gameraden kefunden?"
„Nein."
„Soo..." Herr Gutkind sog mehrmals an der kurzen Stummelpfeife und blies die blauen Rauchwolken von sich. Seine Augen flitzten dabei prüfend über die Gläser weg zu Georg hin. Dann schien er entschlossen zu sein.
„Nu cha, also Heere, was 'ch der sache: Gennst de die Salomonstraße?"
„Ja, Herr Gutkind."
„Nu, da gehst de am nächsten Sonntachvormittach hin, un stachst nach der Villa Hellstein. De Frau von Hellstein, das's ne sehr feinkepildete alte Dame, in deren Haus eine kanze Reihe von chung' Leiten verkehren — chunge Musiker haubtsächlich. . . Cha — un' an die Dame werd ich dich empfehlen — verstanden?"
„Ja, Herr Gutkind."
Herr Gutkind zog die Brauen zusammen. Er sah vor sich hin und schien über etwas nachzudenken. Eine Weile war es ganz still — da bemerkte Georg, daß der Bleistift in der Hand seines Chefs addierend eine Zahlenreihe auf und niederlief. Die Audienz war also wohl beendigt.
Erst als Männe, der Dachshund, plötzlich einen Erstickungsanfall markierte, sah Herr Gutkind auf.