Heft 
(1906) 26
Seite
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Na nu nu nu-nu rnei' Hundche! Cha, was war denn das! Ei ei ei-ei!" Und dann zu Georg befremdet, verwundert:Cha! Js noch was?"

Georg fühlte sich befangen und wollte noch ein paar Worte sagen:Nur bedanken Hab' ich mich noch wollen, Herr

Gutkind..."

Der aber nickte hastig.Soo . . .? Nu 's is kuud ..."

Und damit war das Neujahrsgespräch beendigt.

Wenige Tage darauf machte Georg seinen ersten Besuch bei Frau von Hellstem.

Etwas Feierliches, Erwartendes war in ihm, als er durch die winterliche Salomonstraße schritt, deren Baumreihen im glitzernden Schmuck des Reifs lagen und die in der gepflegten Reinlichkeit vornehmer Villenstraßen ruhte.

Ein schmiedeeisernes Gitter schloß den Garten, in dem Frau von Hellsteins Haus gelegen war, gegen die Straße ab.

Georg drückte auf die Klinke die Tür war geschlossen.

Zögernd stand er einen Augenblick. Dann bemerkte er unter dem Messingschild mit dem NamenFranz von Hell­stem" den Knopf des Läutwerks und zog die Klingel. .

Ganz von fern klang der Ton der Glocke heraus, und wieder war es still, und Georg wartete und sah gespannt durch das Gitter in den verschneiten Garten, ob denn niemand vom Hause käme, um zu öffnen. Aber da rührte sich nichts. Das zierliche, mit allerlei Pergolen und Loggien, mit Friesen und bunten Malereien im Stil römischer Villen herausgeputzte Haus lag ruhig und versonnen träumend in, dem weißen Bett des Gartens.

Da plötzlich gab es knapp vor Georg einen leisen Knack, und wie von Zauberhänden berührt sprang ^ie Gittertür auf und ließ Georg ein und schnappte, da er sie schließen wollte, von selber wieder ins Schloß.

Erst als Georg dann tiefer in den Garten zum Eingang des Hauses schritt, sah er den alten Diener dort, der noch die Zugkette in Händen hielt, mit der das Wunder sich voll­zogen hatte.

Mit einer gewissen herablassenden Höflichkeit und einem brunnentiefen Seufzer führte er dann Georg in ein weites, dielenartiges Vorzimmer und nahm ihm die Überkleider ab.

Ist Frau von Hellstem zu Hause?"

Nu allemal. . . Sie sin' doch ooch e chunger Musiker?" Und ohne Georgs Einwurf abzuwarten:Nu cha, die chung' Herren von's Gonservatorichum! Das gommt äben alles ze uns 's is' wahrhaftich so . . . Der reene Daubenschlach! Nu, kehn Se'mal rin da in den Salong und wen soll'ch also melden?"

Georg war mehr verblüfft als gekränkt durch diesen selt­samen, in brummender Gutmütigkeit vorgebrachten Empfang. Mein Name ist Bang," sagte er.Von Herrn Gutkind die Gnädige Frau wird schon wissen..."

Von Herrn Kutgind? Ei cha freilich soo soo? Von Herrn Kutgind." Und der Diener stelzte davon und ließ Georg in dem kleinen heimeligen Salon allein, an dessen Wänden alte Stahlstiche und Lithographien in goldenen Rahmen hingen, in dem aus zierlichen Servanten Porzellanfigürchen und allerlei zerbrechliche Kleinkunst aus vergangenen Tagen sahen, und darin die ein wenig verblichenen seidenen Polstermöbel von so stiller und friedlicher Behaglichkeit sprachen.

Eine Doppeltür in ein zweites großes Zimmer stand offen.

Georg sah einen schwarzen Flügel in diesem Raum und einen kunstvoll geschnitzten Notenständer daneben. Über dem Flügel hing an der Wand das lebensgroße Bildnis eines schönen dunkeläugigen Mannes in wallendem Künstlergelock. Nach der Kleidung mochte das Bild aus den fünfziger oder sechziger Jahren stammen. Der Abgebildete stand in helden­hafter Stellung da, eine Art weiten blauen Mantel malerisch um die Schultern geschlagen, eine Papierrolle lässig in der einen niederhängenden Hand. Ein dürrer Lorbeerkranz mit breiter Bandschleife war an dem Bilderrahmen befestigt.

Georg hielt eben seinen Blick auf dieses Bild geheftet, als die Tür hinter ihm geöffnet wurde und Frau von Hellstein eintrat.

Etwas Beschwichtigendes, Beruhigendes lag einen Augen­blick lang in den Augen und der Bewegung der kleinen alten Dame, als Georg sich rasch umwendete. Es war, als täte es ihr leid, ihn, während er das Bild betrachtete, gestört zu haben.

Dann aber ging sie auf ihn zu und streckte ihm die Hand entgegen.Nun, seien Sie mir willkommen, Herr Bang. Mein alter Freund, Herr Gutkind, hat mir von Ihnen erzählt, und ich freue Mich, Sie hier zu haben ..."

Sie setzte sich auf einen der verblichenen Polsterstühle, und Georg, dem, während sie sprach, so wohl geworden war wie noch niemals, seit er nun fern den Seinen war, nahm ihr gegenüber Platz.

Gnädige Frau," sagte er nur,es ist so gut von Ihnen, daß Sie mir erlaubt haben, zu kommen ..." Er stockte, aber sie mußte doch fühlen, wie sehr ihm das vom Herzen kam, denn sie lächelte ihm so gütig zu, daß ihr altes, Zitteriges Gesichtchen ganz strahlend wurde.Sie sind Wiener? Ich höre es an Ihrer Sprache!"

Und da Georg nickte, fuhr sie fort:Oh, Wien ist so

schön! Ich war auch einmal dort mit meinem Franz. Wann war das? Warten Sie! Ja wie sein,Bergmann von Falun' im Wiener Opernhaus zum erstenmal gegeben worden ist. Im Jahre zweiundsechzig. Mein Gott wie doch die Zeit vergeht! Fünf Jahre später habe ich ihn verloren..."

Ihr Blick ging durch die offene Tür nach dem Gemälde über dem Flügel und blieb dort haften.

Nach einer Weile schüttelte sie den Kopf und blickte Georg wieder an.Sehen Sie, das hat mich gefreut, daß ich Sie vorhin vor dem Bild getroffen habe das nehme ich als gutes Vorzeichen für Ihren Eintritt in mein Haus. Denn, wenn er auch seit so viel Jahren heimgegangen ist, mein Franz ist doch der Hausherr hier geblieben . . . Verstehen Sie das?" Um ihre Augen lag ein leises, zitterndes, verträumtes Lächeln. Ich bin eine alte Frau," sagte sie dannman muß mich nehmen, wie ich bin, aber wir zwei, das fühle ich, wir werden uns vertragen." Sie strich sich mit beiden Händen leise über die weißen Scheitel und nickte ihm zu.

Und Georg hatte wieder das Gefühl von wärmender Geborgenheit. Nichts Fremdes schied ihn von der feinen alten Dame, er hätte mit ihr sprechen können, als wäre sie ihm vertraut seit langer Zeit.

Sie sind hier ganz allein in Leipzig?" fragte sie.

Ja, Gnädige Frau die Mutter ist in Wien. Sonst habe ich keine Verwandten."

Die Mutter ..." Sie sah ihm wieder mit diesem leise zitternden Lächeln in die Augen.Wie Sie das sagen. Ich glaube. Sie müssen ein guter Sohn sein ..."

Georg fühlte sein Erröten und hielt dem Blick der alten Dame dennoch stand. Ganz feierlich war ihm zumute.Die Mutter ist so gut, Gnädige Frau . . . mein Vater ist gestor­ben, wie ich noch kaum denken habe können, ich Hab' immer nur sie gehabt ..."

Sie müssen mir mehr von ihr erzählen ..."

Und Georg sprach von seiner Mutter und von zu Hause. Jede Befangenheit fiel ab von ihm, das Herz wurde ihm ganz leicht im Reden zu dieser feinen alten Frau, die in dem matten grauen Kleid auf dem verblichenen Seidenstuhl saß und zuhörte. Ganz still saß sie, nur die mageren, welken Finger rührten sich manchmal leise, und die Augen lebten.

Als er schwieg, sagte sie nur:Ich möchte Ihre Mutter kennen sie muß eine ausgezeichnete Frau sein!"

Georg war glücklich über dieses Wort.

Als er sich erhob, um sich zu empfehlen, schüttelte Frau von Hellstem nur lächelnd den Kopf.

Nein, lieber Herr Bang, gar so eilig dürfen Sie's nicht haben! Wollen Sie denn meine ,Raben' nicht kennenlernen? Wer die sind? Nun sehen Sie, was Sie noch alles bei mir lernen müssen! Sie bleiben zu Tisch oder haben Sie Besseres vor? Was? ,Nicht stören?' Mein lieber Herr