Heft 
(1906) 28
Seite
587
Einzelbild herunterladen

587

stand er auf dem Bahnsteig wie ein Bild von Stein und stierte dem kommenden Zug entgegen.

Mit Verlaub, Holm," sagte der Gendarm,wollen Sie nicht lieber die rote Schleife von Ihrem Hut herunternehmen?"

Hab' ich den: noch?" Janfredrik nahm den Hut ab, riß das Band los.Ja, der muß weg."

Er konnte sich aber nicht entschließen, die Schleife auf den Boden zu werfen. Er schob sie in die Tasche.

Dann kam der Zug. Janfredrik saß stumm. Nur ab und zu seufzte er. Daß man so lange still sitzen mußte, so langsam die Wagenreihe dahinkroch! Solange er sein Schick­sal durch Taten modeln darf, so lange ist der Mensch stark. In der Untätigkeit kriechen die feindlichen Dinge, das Tote, Unabänderliche an ihn heran, wälzen sich wie eine Eisenplatte ihm auf die Brust, brechen ihm den Willen. Mit jeder

Räderdrehung der Lokomotive wuchs in ihm das Grausen vor dem Anblick Brüns. Ein Zittern war in seinen Gliedern, ein Flimmern vor seinen Augen. Würde es wirklich ge­schehen, daß er ruhig vor dem Ermordeten stand? Würde der sich nicht regen, den Finger gegen ihn heben die gebrochenen Augen zu ihm Hinrollen? Und wenn er's nicht tat, sehen würde Janfredrik dies alles doch. Nein, es war ganz unmög­lich, daß er vor den Toten trat! Er wollte ihn nicht sehen! Dabei fühlte er, er würde ihn ganz gewiß sehen.

Bremen. Sie traten ins Polizeibureau. Janfredrik beantwortete mechanisch die an ihn gestellten Fragen. Es war ihm dabei, als ob ein anderer in ihm antwortete, nicht er selbst, und er wartete mit einer seltsamen Neugier, was der andere sagen werde. Der war sehr vorsichtig, sehr wortkarg, stellte seine Rede sehr geschickt. Er war mit ihm Zufrieden.

Ein kurzer Gang. Die Hand des führenden Beamten

drückte die Klinke einer Tür. Die war noch Zwischen Janfredrik und dem Gräßlichen. Wenn die sich öffnete Janfredrik fuhr sich mit dem Ärmel über die Stirn. Kalte Tropfen standen drauf.

Dann traten sie ein. Ein mäßig großer Raum. Auf einem Tisch im Dämmerlicht lag ausgestreckt ein Mann. Jünglinghaft noch die schlanken Glieder. Die verzerrten Züge hatten sich wieder zurechtgezogen. Ruhig, ergeben war der Ausdruck, ein klein wenig wehmütig, seit der Glanz der schalk­haften Augen sie nicht mehr erhellte.

Janfredrik stand und sah. Aus dem jungen Gesicht voll sanfter Güte und stiller Freude stieg es vor ihm auf wie das gute Leben der letzten drei Jahre selbst. Ein grimmiger Schmerz wühlte in ihm aber keine Reue noch, keine Zerknirschung. In sich fühlte er ahnungsvoll ein Schicksal, das schlimmer war als der Tod. Das verhärtete sein Herz.

Einer von uns mußte es sein, schoß es ihm durch den Sinn. Mir wär's recht gewesen, wär' ich der Eine. Nun bist du's. Wir müssen beide unser Teil tragen.

Er wendete sich zu den Beamten, und wieder war es der andere, der aus ihm sprach, und er wunderte sich über den Klang seiner Stimme.Ja, das is wirklich Brün Lorensen."

Der Kommissär hatte weitere Fragen.Sind Sie nicht gestern auf Ihrem Torfschiff mit dem Toten aus Schmalenbeek nach Bremen gekommen?"

Ja."

Sie waren den Abend mit ihm und noch einem Bauern bei dem Gastwirt Peter Petersen in Bremen?"

Das is Jan Meier-Clüvers gewesen."

Danach sind Sie zurückgefahren?"

Ja."

Um wie viel Uhr?"

Das mag woll Glock Elf gewesen sein."

Wissen Sie die Zeit genau?"

Ich weiß man bloß, daß der Mond eben heraus war."

Haben Sie vielleicht stark gezecht bei Petersen?"

Jan Meier-Clüvers gab ein paar Runden Grog aus."

So. Und von Petersen gingen Sie gleich in Ihr Boot und fuhren fort?"

Ja woll."

Mit Brün Lorensen?"

Nein!" sagte Janfredrik. Er wurde immer kühler, je länger das Verhör dauerte. Ihm war, als erstarrte langsam das Herz in ihm zu Stein, fähig, jetzt jedes Grauen aus­zuhalten. Ganz dreist blickte er auf den Toten. Ich will zu ihr. Verstehst du? Du hast mich lebendig nicht zurück­halten können. Du sollst es tot auch nicht!

Lorensen blieb also in Bremen. Was wollte er da?"

Er hat Verwandte in Bremen."

Wen?"

Es ist da ein Frau Swensen. Das ist sein Schwester."

Brün Lorensen ist aber im Kanal gefunden worden. Hat er Ihnen bestimmt die Absicht ausgesprochen, daß er seine Verwandten in Bremen aufsuchen wollte?"

Herrens," erwiderte Janfredrik,der Grog von Peter Petersen is gut, und Jan Meier-Clüvers gab da ein ganze Portschon von aus. Ich kann mir mit Bestimmtheit nich auf jedes Wort besinnen, das gestern gesprochen worden is."

Wollen Sie sagen, daß Sie betrunken waren?"

Ich weiß nich. Ich kam mit mein Schiff noch ganz gut ab."

Aber Sie hatten, wie man so sagt, etwas im Kopf?"

Das mag woll sein."

Und Lorensen hatte ebenso viel Grog getrunken wie Sie?"

Genau so viel."

Die Beamten sahen einander an.Die blauen Flecke am Hals können auch vom Aufschlagen auf eine Baumwurzel herrühren", sagte der eine leise. Und dann wendete er sich wieder an Janfredrik.Halten Sie es für möglich, Holm, daß Ihr Partner im Rausch die Richtung verloren hat und in den Kanal geraten ist?"

Janfredrik zuckte die Achseln.Dann müßt' er schon haben dem Schiff einholen wollen."

Ist Ihnen bekannt, daß er einen Feind hatte?"

Nee, die Menschens mochten ihm all leiden."

Gibt es jemand, dem sein Tod Vorteil bringen könnte?"

Janfredrik dachte nach.Ich weiß kein."

Die Beamten schlossen das Protokoll.Es ist gut."

Kann ich nu gehen?" fragte Janfredrik. Im Geist rechnete er aus, ob er den Zug nach Hamburg noch erreichen würde. Er warf keinen Blick mehr auf den Toten.

Während die Beamten mit ihm hinausgingen, sagte der Kommissär:Wenn die gerichtliche Obduktion nicht ganz gra­

vierende Tatsachen findet, werden wir wohl Tod durch Ver­unglückung feststellen müssen."

In der Tür wendete Janfredrik sich um.Noch eins, Herrens. Ich will, daß Brün Lorensen sein anständige Be­erdigung bekommt. Ich bezahl' das."

Und nun war er frei. Mit langen Schritten rannte er zur Bahn, erwischte laufend noch den nach Hamburg ab- fahrenden Zug, saß in sich gekauert in seiner Ecke, sah und hörte nicht, was um ihn war, und wünschte nur, daß er imstande gewesen wäre, mit der Fieberglut, die in ihm kochte, die Dampfkraft des Bummelzuges zu verstärken.

Es war späte Nacht, als die Wagen in Hamburg einliefen. Keine Möglichkeit, Klünders heut noch aufzusuchen. Nickü einmal ihre Wohnung konnte er ausfindig machen.

Er fragte sich zu einer Herberge durch, versuchte zu essen, aber der Schlund war ihm wie zugeschnürt. Er trank nur.

Und dann saß er auf seinem Bettrand, horchte auf den Stundenschlag. Er hatte es nicht der Mühe wert gehalten, sich noch auszukleiden. Im Sitzen überwältigte ihn der Schlaf, und er schlief bis tief in den Morgen.

Beim Erwachen packte ihn sogleich wieder das Fieber. Vorwärts! Vorwärts! Zu ihr! Nicht denken! Jede Vorstellung war Schmerz. Nicht denken! Das Adreßbuch. Die nächste Trambahn. Vorwärts!

Ein Irrsinniger, fuhr er durch Hamburg. Da, das Haus. Blühende Blumen vor den Fenstern. Vor der Tür ein Wagen.

63 *