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Sein einziger überlebender Sohn von der ersten Gemahlin, König Friedrich VII., stand an jenem 20. Januar 1848 im 40. Lebensjahr.
„In einem Punkt wenigstens wissen Ew. Durchlaucht und ich uns einig, in dem Haß gegen die Hessen." Die Worte fielen auf Schloß Gottorff bei Schleswig um die Mitte der vierziger Jahre von seiten des damaligen dänischen Kronprinzen zu dem Statthalter der Herzogtümer, Prinzen Friedrich Emil von Holstein-Augustenburg. Die „Hessen" in dem Gespräch zwischen jenen beiden Fürstlichkeiten waren die Schwester König Christians VIII., Prinzessin Charlotte, und deren Gemahl Landgraf Wilhelm von Hessen-Kassel; auf Grund der 1665 für das Königreich Dänemark festgesetzten weiblichen Erbfolge besaßen sie und ihre Nachkommen das nächste Erbrecht auf jene Krone, während in den unter deutsches Lehnrecht fallenden Gebieten der Mannsstamm erbte; aus diesen Erbfolgeverschiedenheiten hat sich zunächst die schleswig-holsteinische Frage und dann die Zerreißung der geschichtlichen dänischen Monarchie ergeben.
König Friedrich VII. war ein seltsames Gemisch von Gutmütigkeit und Brutalität, Geist und Torheit. Sehr wohltätig und ein vorzüglicher Gesellschafter, galt er aber schon als junger Prinz für den größten Flunkerer des ganzen Landes. Von seinen in engerem Kreis veranstalteten Zechgelagen sind hier und da ältere Herren fortgetragen worden, um nicht wieder aufzustehen. Mit dem jüngeren Standesgenossen und Freund König Karl XV. von Schweden und Norwegen verband ihn eine Zechgenossenschaft, in der sich aber der Enkel Vernadottes beträchtlich überlegen zeigte.
Im Grunde ist König Friedrich VII. eigentlich auch am Trunk gestorben. Genauer gesagt: an dem schlechten Punsch des Flensburger dänisch gesinnten Bürgervereins, dessen spät- herbstliches Ballfest er von Schloß Glücksburg gegen den Rat der Ärzte auf den Befehl seiner dritten Gemahlin Gräfin Dannar mitmachte. Dort trank er aus Popularitätshascherei statt des für ihn mitgenommenen Portweins den ihm schon früher nachteilig gewordenen Vereinspunsch; er übernahm sich, verunglückte mit seinem Trinkspruch und wollte auf der Heimfahrt seinen Kammerdiener köpfen, weil dieser ihm gegen sein Verbot den Mantel umgehängt hatte; zum Glück verfing sich der gezogene Säbel in den Wagenriemen. Am nächsten Tag erkrankte er an Kopfrose und starb nach kurzem Krankenlager am 15. November 1863. Das letzte von ihm gelesene Schriftstück war eine telegraphische Einladung Napoleons III. zu einem über die verschiedenen europäischen Fragen abzuhaltenden Fürstenkongreß. Einige Monate vorher war er privatim nach Schloß Ferneres geladen worden und hatte angenommen; die politisch wichtige Zusammenkunft zerschlug sich aber, weil seine morganatische Gemahlin auf der Begleitung bestand und Kaiserin Eugenie diese ablehnte.
Das führt auf die vielbesprochene dritte Vermählung des Königs. Luise Rasmussen war als uneheliches Kind in Kopenhagen geboren und zunächst Ballettelevin gewesen; ihrer Sitten wegen wurde sie von dort weggewiesen. Aus Kopenhagen siedelte sie nach Paris über, lernte dort den Putzhandel und eröffnete in ihrer Vaterstadt ein Geschäft; in dieser Stellung lernte sie der Kronprinz kennen und erhob sie zur Geliebten, später zur Gemahlin. Unschön und von plumpen Manieren, fesselte sie den König durch ihr Konversationstalent; im übrigen war sie herrschsüchtig, habgierig und auch nach der Verehelichung von zügellosem Lebenswandel; der Brand des nordseeländischen Schlosses Frederiksborg, 17. Dezember 1859, soll über einem ihrer Liebesabenteuer ausgebrochen sein. Die stets fruchtbar gewesene Kopenhagener Pamphletliteratur machte dies zum Gegenstand zügelloser Angriffe; man behandelte den Vorfall in Gedichten und mit andern Namen versehenen Bühnenstücken. Der tieferschütterte König befürchtete hauptstädtische Unruhen und brach bei den tröstenden Worten des Hofpredigers in heftiges Weinen aus. Abends war er dann wieder beruhigt und bezecht.
König Friedrich VII. ist bei Lebzeiten von seinen deutschen Untertanen härter beurteilt worden, als er verdiente. Obschon antideutsch gesinnt, besaß er Gerechtigkeitsgefühl und suchte nach 1850 dem dänischen Wüten in Schleswig mehrfack zu steuern, war aber dafür zu schwach. Von der mit ihm beendeten vierhundertjährigen dänischen Königsreihe in ihrer Gesamtheit hat ein Geschichtschreiber gesagt, diese Dynastie erscheine zugleich „schicksalsgezeichnet und mittelmäßig, geistreich und innerlich leer, temperamentkräftig und willensschwach, leichtlebig und schwermütig". Keiner von der langen Königsreihe hat diesem Bild derart entsprochen wie der sechzehnte und letzte.
Das in König Christian IX. auf den dänischen Thron gelangte Haus Holstein-Glücksburg führt diesen Namen erst seit 1826; vorher hieß es Holstein-Beck nach einem westfälischen Gut und stand mit Vorliebe in preußischem Dienst. Noch der Vater König Christians IX., Herzog Paul Leopold, war auf einem Landgut unweit Königsberg geboren, heiratete aber eine Tochter des schleswig-holsteinischen Statthalters Landgrafen Karl von Hessen-Kassel und wurde dadurch Schwager König Friedrichs VI., der ihm später den vorerwähnten Titel verlieh. Herzog Paul war ein begabter Mann von freier geistiger Richtung; seine sehr zahlreichen Kinder wurden aufs eiin fachste erzogen und haben gerade dadurch später in der großen Welt Erfolg gehabt. Weniger durch Geist als durch schlicht vornehmes Wesen zeichnete sich Prinz Christian aus, den die söhnelose Königin Marie unter ihren zahlreichen Neffen bevorzugte und deshalb nach Kopenhagen zog, wo der stattliche junge Herr in der Pferdegarde diente.
Seit 26. Mai 1842 war Prinz Christian mit der Landgräfin Luise von Hessen-Kassel vermählt, einer Schwestertochter Christians VIII. Hierdurch dem Thron näher gebracht, erwarb er sich die eigentliche Anwartschaft auf diesen doch erst 1848, wo von allen holsteinischen Prinzen er allein auf der dänischen Seite blieb; er führte damals seine übrigens zumeist aus den Herzogtümern rekrutierten gelben Reiter nach einer plattdeutschen Aufforderung Zur Fahnentreue über die Koldinger Brücke nach Schleswig hinein. Seiner Kandidatur für die Thronfolge der dänischen Monarchie nach König Friedrich VII. stand indes geraume Zeit die des oldenburgischen Erbgroßherzogs Peter entgegen; der damals allmächtige Zar Nikolaus I. begünstigte sie, weil sie die Erbfolge seinem eigenen Haus näher gebracht Hütte, aber der hochherzige Prinz lehnte das Angebot ab, weil er die Rechte der deutschen Herzogtümer nicht kränken wollte; erst darauf sprach das Londoner Protokoll am 8. Mai 1852 die Thronfolge dem Prinzen Christian zu. Die elf Jahre seiner dänischen Thronfolge verlebte Prinz Christian in politischer Zurückgezogenheit, zumal König Friedrich VII. seine Abneigung gegen die „Hessen" auch auf die dem Thronfolger vermählte Cousine ausdehnte; die Ironie in der offiziell nationaldänischen Stellung eines auf Schloß Gottorff geborenen Prinzen und einer in Kassel geborenen Prinzessin bekam das Ehepaar allerdings zu spüren, wenn bei gelegentlichen Reisen auf den: Beltdampfer an dem Gepäck der Fürstlichkeiten eine deutsche Aufschrift entdeckt und dann der Terrorismus der Kopenhagens Eiderdänenpresse entfesselt wurde. Der Prinz war ein vorzüglicher Hausvater und erzog besonders die Töchter musterhaft. Die auf die dynastischen Verbindungen gesetzten politischen Hoffnungen einzuschränken, hatte freilich König Christian schon als Thronfolger gelernt. Bei der Vermählung seiner ältesten Tochter mit dem damaligen Prinzen von Wales betrat er auf Schloß Windsor das Spielzimmer der jüngeren englischen Prinzen; unter den Spielsachen befand sich eine kleine Festung mit auf- und abziehenden Soldaten; leutselig drehte der Brautvater an der Kurbel, und sie spielte: „Schleswig- Holstein meerumschlungen". Jur Sommer darauf^ einige Monate vor dem Tod Friedrichs VII., tauchte eine Kombination mit dem Schwager des Prinzen, dem schonenschen Freiherrn von Blixen-Finecke, auf, der von seinen: persönlichen Bekannten Herrn von Bismarck einen Vorschlag zur Regulierung der schleswig-holsteinischen Frage auf Grund eines
1906. Nr. 28.
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