gib uns zurück, was unser is. Sonst Hab' ich mit dich nix zu schaffen."
Hier faßte die Schwester Margret Swensens Arm.
„Hören Sie, Frau Swensen, Sie müssen sich das doch überlegen. Haben Sie mir nicht geklagt, Sie wüßten nicht, was Sie anfangen sollten, wenn Sie von uns entlassen würden? Sie müsse:: auch an Ihre Kinder denken, für die Herr Holm sorgen will."
Margret Swensen riß sich los. „Da soll ich den Menschen woll gar für danken?! — Der halbe Hof hat mein Bruder Brün gehört. Wenn ich dahin ging, denn so ging ich bloß in mein Eigentum. Aber ich will mit den Kerl ja nich unterem Dach wohnen. Er hat mich un mein Kinders nich lieber sehen können als ein Spinne! — Un nu mit einmal sollen wir zu ihn kommen. Will er uns vielleicht auch aus sein Weg bringen, wie mein' Bruder Brün?"
Die Diakonissin winkte Janfredrik zu. „Frau Swensen ist was hitzig. Sie meint das sicher nicht halb so schlimm. Vielleicht kommen Sie heut nachmittag einmal wieder. Es wäre solch ein Glück für Swensens, wenn sie von Bremen wegkämen."
„Ja," sagte Janfredrik, „ich will nu erst mal nach die Kinders sehen."
Er ging zunächst zu dem Korbflechter. Der wohnte in einem so düsteren Hinterhaus, wie sie in Bremen selten sind.
An einer Regentonne lehnte ein Junge. Trotzdem fast vier Jahre vergangen waren, erkannte Janfredrik ihn sogleich wieder an der eigensinnig harten Stirn, den: scheuen und trotzigen Blick der Augen. Die starrten mit harter Neugier auf etwas in seinen Händen, das er bald im Wasser der Tonne versinken ließ, bald wieder herauszog.
„Was tust da?" fragte Janfredrik.
Der Junge antwortete nicht, nur eine unwillkürliche Bewegung machte er, den Gegenstand rasch zu versenken.
Janfredrik hielt ihm den Arm fest. Da sah er, daß es eine halbtote Ratte war, die der Bube bald untertauchte, bald, wenn sie dem Ersticken nahe war, zu erneuter Qual heraufzog. Mit einem Schlag tötete Janfredrik das Tier.
„Dummer Jung', kannst nix besseres tun? —- Komm mit!"
Von unten herauf schielte der Bengel mißtrauisch den Mann an. In seinen: Bewußtsein drängten sich einige schlimme Streiche, die er in diesen Tagen verübt hatte, zwei heimtückisch zerbrochene Fensterscheiben, eine gemauste Sülze, ein Einbruch in einen Apfelkeller. Unversehens bückte er sich, biß kräftig Janfredrik in die Hand, und dessen Überraschung benutzend, riß er sich los und jagte die dunkele Treppe hinauf bis unter das Dach.
Janfredrik wischte gleichmütig das Blut von der harten Haut und ging in die Korbmacherwerkstätte. Die war schmutzig und verwahrlost und der Meister ein scheuer, verkommen aussehender Mensch, der keine::: gerade in die Augen sah.
Janfredrik zeigte seine Legitimation und kündigte ihn: an, daß er morgen um zehn Uhr Brün Swensen für immer mit sich nehmen werde.
Mit schwere::: Herzen ging er dann zu der Kneipe an: Hafen. Sie lag in mittäglicher Leere, ein düsterer Bau mit etwas wie einem Gärtchen seitwärts, einen: Platz, auf den: unter vom Gaslicht verkümmerten Bäumchen Sommers die wenigen Tische und Stühle standen, die jetzt in einer Art offenen Schuppens aufgestapelt lagen.
Janfredrik trat in die offenstehende Haustür, und weil nicht gleich jemand un: den Weg war, ging er an der Gaststube vorüber, geradeaus zur gegenüberliegenden Hoftür. In den: Schuppen hatte er ein paar Gestalten zu erspähen gemeint. Und richtig, unter den: Schutzdach standen sie, ein Mann, ein kaum den: Kindesalter entwachsenes Mädchen. Der Mann, in fremdländischer Tracht, mit schnürenbesetzter Jacke, gelber Weste, rotem Fes, redete in gebrochenem Deutsch lebhaft auf das Mädchen ein, schwenkte ihr vor den Augen ein goldgesticktes Tuch, schien es ihr aufdrängen zu wollen, und das !
Mädchen lachte leise dazu, schüttelte den Kopf, bog sich zurück, während doch ihre Augen begehrlich an der glitzernden Pracht hingen.
Janfredrik stieß seinen Stock auf die Steinsliesen. Da riß sich das Mädchen los, kam gelaufen. Sie trug trotz der Winterszeit eine weiße Bluse. Ihr üppiges, silberblondes Haar war wie eine Art Hel::: hoch über ihre::: Kindergesicht aufgebauscht. Etwas Flattriges, Unsolides lag - in ihrer Erscheinung, ihrem Gebaren, das in seltsamem Gegensatz stand zu der Kindlichkeit ihrer Züge.
„Ein Glas Bier möcht' ich", sagte Janfredrik bedächtig.
„Ja, sogleich, mein Herr."
Als Janfredrik jetzt in die Wirtsstube trat, wartete da schon ein anderes Mädchen, eine Schwarze mit knallroter Seidenbluse.
Er setzte sich und gleich kan: die Blonde, stellte das Glas Bier vor ihn hin und wollte wieder gehen.
„Mein Kind," sagte Janfredrik, „bleiben Sie mal ein büschen da bei mich."
Das Mädchen zögerte. Aber die Schwarze stieß sie mahnend in die Seite. Da warf sie trotzig den Kopf zurück.
„Man nennt mich Fräulein Ina, mein Herr."
„Sieh mal an," sagte Janfredrik, „un ich hält da aus gesworen, daß du Trina büst, Trina Swensen, die Tochter von Karl Swensen aus Kappeln."
Während sie zusammenzuckend mit großen: Blick ihn anschaute, musterte Janfredrik sie genau, und er dachte: Es is
wahr, was Brün sagt, ihre Augens sind gut. Laut fragte er: „Hab' ich recht?"
Die Schwarze war hinausgegangen.
„Woher kennen Sie mich?" stieß das Mädchen hervor. „Ich weiß doch nich, daß ich Sie je gesehen Hab'."
„Das wirst gleich hören, Trina Swensen. Erst sag' mich mal, was wollt' denn der Mann da draußen von dich?"
Trina wurde rot. „Ach der!"
„Wollt' er dich was verkaufen?"
„Nein." Sie sah sich hastig um, sie sprach leise. „Er hat :nir nur eine bessere Stelle angeboten in Hamburg oder Konstantinopel, eine Stelle, wo ich viel, viel Geld verdienen kann."
„So, hat er das?" fragte Janfredrik. „Denn bin ich woll noch gerade zur rechten Zeit gekommen, oder doch schon nich mehr zur rechten Zeit?"
Das verstand Trina nicht. „Ich soll da viel Geld verdienen", wiederholte sie.
„Denn gefällt dich das hier woll nich, Trina Swensen?"
Sie schüttelte den Kopf. „Wenn ich bloß wüßt', woher Sie mich kennen?" Und plötzlich kan: ihr wie ein Blitz eine Erinnerung. „Waren Sie nich — sind Sie nich —? Ja, gewiß, vor vier Jahren! Mit Onkel Brün. Das sind Sie gewesen! — O Gott! O Gott!" Sie versteckte schaudernd ihr Gesicht in die Hände. „Mein guter Onkel Brün!"
Ein Klang von Wahrheit war in ihren: Schluchzen. Es ging dem Mann durchs Herz. „Ich bin Janfredrik Hol:::", sagte er barsch.
In angstvoller Abwehr streckte sie die Hand aus. „Gehen Sie! Ich will Sie nicht sehen. Onkel Brün ist der einzige, der gut gegen uns gewesen ist, immer, immer. Ich Hab' ihn lieb gehabt! O, so lieb! So lieb!"
Janfredrik faßte fest die ihn fortweisende Hand. „Meinst, ich nich!?"
„Sie?!"
„Das verstehst nich, Kind. Aber dir will ich jetzt sagen: du wirst auf kein Stelle mehr gehen, nich auf die von den bunten Hanswurst draußen, un auch in die Wirtschaft hier bleibst kein Tag länger. Du gehst mit nur, nich allein, versteht sich. Dein Mutter, dein Bruder kommen auch."
Sie hörte auf zu schluchzen. Mit weit offenen Augen sah sie ihn an. „Wir zu Ihnen! Wir in Ihr Haus! — Aber das geht ja doch nicht!"