Heft 
(1906) 30
Seite
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Das waren Abende voll Frohsinn und voll Herzlichkeit in diesem kleinen Heim, das als ein Anbau an das große Gartenatelier Teltschers stieß. Alles war bescheiden und schlicht hier, aber ein tiefes Glück lag über den zwei Menschen, mit denen Georg die Erinnerung an jene Leipziger Jahre so vertraut verband.

Sie alle waren Lehrlinge des Lebens damals gewesen, nun aber hatte das Leben sie reif gemacht.

Oft sprachen sie von jener Zeit. Bon Frau von Hellstem, dieser feinen, alten Frau, die nun zur Seite ihres Franz auch schon am Ziel ihrer Sehnsucht träumte, und von den Menschen, die da ein und aus gegangen waren im Schwindschen Märchen­schloß und im Rabenhause.

Und sie, der Joseph Teltscher und Frau Else, waren die ersten, zu denen Georg an einem Winterabend, als der Sturm die Bäume in dem kleinen Garten draußen fegte, und als der heiße Tee in den Gläsern dampfte, von sich und von Sephi Gerold sprach.

Still und mit roten Wangen und einem warmen Glanz in den schönen Augen lauschte Frau Else. Joseph Teltscher aber nickte Georg zu und hob sein Glas.Mensch, glaubst', daß du mir da viel Neues sagst? Bild' dir fein das net ein! Das Hab i' schon in Leipzig g'wußt, daß' da wo spukt bei dir! Na, prost! Und alles Gute!"

Aber da kamen Tage, in denen war das Gute nicht allzu dicht gesät. Die Mutter kränkelte, und ihre Briefe klangen seltsam müde. Oft schrieb auch nur Sephi, liebe, beruhigende Worte, in denen aber doch die Sorge zitterte.

Nicht, daß Frau Marie Bang ernstlich krank gewesen wäre, nur hier und da kam's über sie wie eine große Mattig­keit, die nichts als ruhen wollte. Dann waren ihr die Hände seltsam schwer, und lange konnte sie still im Sessel sitzen und ziellos träumend niedersehen auf die zwei alten Bäume unten im Hof, von denen Ast um Ast in diesen Jahren vermorscht, ver­braucht zur Erde hingesunken war. So müde war sie oft

Da wußte Georg, daß nun sein Bleiben in der Fremde ein Ende finden mußte.

Doch schneller als er selbst es dachte, kam dann ein Brief, der ihn nach Hause rief. Nicht von der Mutter von Herrn Franz Schneeberger.

Und tief ergreifend war der Brief in seiner seltsam wirren Stimmung.

Mein lieber Georg! Lang' schon hast Du von mir keine Zeile gesehen. Du weißt, von überflüssigem Gerede bin ich keiner. Heut schreib ich Dir, denn ich merk's, es wird Zeit. Sag Deinem Prinzipal die Stellung auf und komm. Ich fühl's, daß ich jetzt einen brauche, der jünger ist als ich. Die alten Knochen wollen nicht mehr recht, und was ich hochgebracht Hab in meinem Geschäft in dieser Zeit, das soll mir nicht verschlampen, weil ich selber zum alten Eisen g'hör'I Und Deiner Mutter brauchst' nichts schreiben von meinem Gejammer da, gar so arg is' eigentlich überhaupt nicht, und die Frauenzimmer machen da wieder gleich eine Rieseng'schicht draus! Und Deine Mutter ist jetzt so nicht ganz in Ordnung. Also komm bald zu Deinem alten Freunde Franz Schneeberger."

Das war an einem Märztag voll Frühlingswehen und voll Würzigkeit gewesen, daß Georg diesen Brief bekam. Er sprach sogleich mit seinem Chef, und der wollte, so schwer ihm Georgs Scheiden fiel, alles tun, um ihm den baldigen Austritt aus dem Geschäft zu ermöglichen.

Drei Tage später aber kam ein Brief von Sephi, in dem sie Georg schrieb, daß Herr Schneeberger ganz plötzlich ernst von einer Rippenfellentzündung ergriffen worden sei.

Und während Georg diese Zeilen las und dann in Hast sich rüstete, um für den Fall jäher Gefahr sofort nach Wien Zu reisen, saß Frau Marie Bang im Junggesellenheim des Herrn Schneeberger an seinem Krankenbett. Sie hatte es, trotz alles seines scheinbar ernsten Sträubens, sich nicht nehmen

lassen, in dieser schweren Zeit bei ihm zu sein. Sie wollte diesen alten Freund nicht fremden Wärterhänden anvertrauen und wußte auch, daß in dem brummig bösen Resignieren, mit dem der Kranke sich dann in ihr Kommen fügte, ein warmer ungesprochener Dank gelegen hatte.

Der redete auch immer wieder aus den alten fieberigen Augen, so oft ihr Blick die Pflegerin umfing.

Unruhig schlummernd lag der Kranke, und die Hände ruhten knochig und tastend auf der weiß bezogenen Decke. Helles Tageslicht war ausgegossen über die ganze Stube, die seltsam menschenfremd und nüchtern schien, trotz all der vielen Dinge, die sie umfing, und die doch für die Augen, die den rechten Blick besaßen, die leise Stimmung eines bescheidenen Zufriedenseins umschloß. Feine, sich wiegende Stäubchen umspielten einander im sonnigen Strahl eines Lichtbandes, das von dem Fenster aus in steiler Bahn schräg durch das Zimmer floß, und all die alten Mahagonimöbel träumten von ihren fernen Jugendtagen und sahen wie in wehmütigem Sinnen auf ihre großen und auf ihre kleinen Wunden, die sie auf ihrem Wege durch die Zeit empfangen hatten.

Frau Marie Bang aber nickte den alten Stücken zu.

Wie doch das Leben kam und ging!

Das waren jene selben Möbel, die einstmals bei dem Onkel des Herrn Franz Schneeberger, dem Hochwürdigen Herrn in dem Pfarrhaus im Mährischen, gestanden hatten. Dann, als der Hochwürdige Herr gestorben war, da waren sie dem guten Herrn Schneeberger zugefallen-

Ihr Blick ging sinnend auf das Krankenbett und seinen fieberheißen Schläfer.

Damals war Herr Franz Schneeberger von ihr fort­gezogen.

Und wie ein Wandelbild zog jene Zeit an ihr vorüber: die Abende, da er mit ihr die Pläne seiner Selbständigkeit schmiedete, der Kauf der Buchhandlung, der Morgen, da er sie in seiner unbeholfen rauhen, gutmütigen Art gefragt hatte, ob sie die Seine werden wollte

Ein wehes Lächeln stand ihr um die schmalen Lippen. Sie strich sich leise und mit zitternd müder Hand über die Schläfen wie lange war das alles her!

Ein Zucken ging über das Gesicht des Kranken. Doch da war auch die Müdigkeit schon von Frau Bang gesunken. Alle Kraft nahm sie zusammen, und als der Kranke dann erwachte und fragend aufsah, da traf sein Auge in einen zuversichtig frohen Blick.

Nun? Gut geschlafen? Und geht's besser jetzt?"

Aber Herr Schneeberger sagte nichts. Er sah nur weiter in die Augen der Frau Marie Bang mit demselben stillen Fragen das dann ganz langsam wie ein überlegenes Spotten war.

Und Frau Marie Bang wich ab vor diesem Blick.

Da schüttelte Herr Franz Schneeberger leise den Kopf.

Die Frauenzimmer! Allerweil gleich. Vom ersten Augenblick bis zum letzten. Wanns s' nur schwindeln können! Und da is' d' Beste net besser als wie a jede . .!"

Was soll ich denn geschwindelt haben?" fragte Frau Bang, doch ihre Stimme war voll Unsicherheit, wie sie sprach.

Was? Na jetzt so a Komödi! . ." Herr Franz Schnee­berger sah nach jenem Lichtbande, das mit dem Flimmern und dem Tanzen der tausend feinen Stäubchen zum Fenster aufstieg, und es war wieder Stille in dem Zimmer.

Dann aber, als Minute um Minute wortlos hingegangen war, lachte er plötzlich seltsam leise vor sich hin.

Aber Frau Bang glauben S' denn wirkli', daß i' so an Esel bin? Glauben S' denn, daß i's net von selber weiß, wie's mit mir steht? Und daß i's net derkenn', ob Sie die Wahrheit sagen oder net. . . Na, na wann S' mi' auch immer für an dummen Kerl g'nommen haben..."

Da griff Frau Marie Bang, die eine fremde Weich­heit in dem Wesen und in der Stimme des Kranken tief be­wegte, nach seinen heißen Händen.