Heft 
(1906) 40
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und die hier ihrRecht" suchen sollte, ihrRecht" auf den Mann, dem sie einst die Hand Zum Ehebund gereicht hatte, und der sich nicht mehr binden wollte an sie er, der der All­gemeinheit gehörte, er, der aller Frauen Liebling war, der für die männliche und weibliche Jugend der Großstadt den Helden" bedeutete, der ihnen als Ideal vorschwebte, wenn sie an Tell, an Wallenstein und an all' die andern Helden dachten, die ihnen in der Geschichte, in der deutschen Dichtung entgegentraten.

Konnte sie noch auf ihrem Recht bestehen und ihn halten, wo er selbst doch auf Scheidung drang, wo er offen alles zugab, was ihm zur Last gelegt wurde, wo er für sich, als den großen Mimen, einen andern Maßstab an die Moral gelegt wissen wollte als für andere Sterbliche?

In ihrer Seelengual hatte sie die Scheidung eingeleitet, von ihren Verwandten dazu gedrängt, die tief empört, wie der Mime, der Mensch, der um Geld dem Publikum sich zeigte, der Scharlatan denn für nichts anderes sahen die adligen Verwandten, die 'diese Ehe nie gebilligt hatten, den großen Straßmann an den Sproß aus altadligem Geschlecht behandelte.

Und doch war sie heute persönlich erschienen, so hart ihr der Entschluß geworden war, vor die Schranken des Gerichts zu treten und die Qual ihrer Ehe vor fremden Menschen bloßzulegen. Vielleicht war es doch möglich, eine Versöhnung zu erzielen, sie war so wenig kampfbereit, so wenig haßerfüllt, nur so tief unglücklich; sie liebte dieses Rätsel von einem Menschen, der ihr doch groß und bedeutend erschien, so sehr, daß sie nichts unversucht lassen wollte. Vielleicht ließe sich doch noch auf den Trümmern der Hochburg ihres alten Glücks ein bescheidenes Hüttchen erbauen. Was kümmerte sie das Gerede der Leute, der Groll der Verwandten, wenn sie in seiner Nähe bleiben, seine Frau sein konnte! Im Grunde war er ja ein guter Mensch, nur eitel, nur geblendet vom Glanz des Ruhms, nur verführt von der Zudringlichkeit des weiblichen Publikums.

Grüß Gott, Paula!" Es tönte sonor, wehmütig, um Frieden bittend. Es war ihr Mann, der große Schauspieler Straßmann, der ihr diesen Gruß bot, da er im Gang mit seinem Anwalt patrouillierend an ihr vorbeikam. Schön und stolz sah er aus, wie immer. Der Stadtpelz legte sich um seine große, schlanke Gestalt, und unter dem glänzenden Zylinder sahen die dunkeln Locken hervor.

Scheu nickte sie ihm zu, da er ihr den Gruß bot kein Fünkchen Haß bei einer der beiden Parteien. Dort Verwirrung und Jammer, hier freundschaftliche, mitleidige Zuneigung, fast ein bißchen wie Geringschätzung.

Der Gerichtsdiener rief die Parteien vor. Schüchtern betrat Frau Straßmann, von ihrem Anwalt gefolgt, den Saal; groß aufgerichtet, wie bei einem Einzug auf der Bühne schritt der Mime ins Amtszimmer, warf ruhig einen Blick in die Runde und nickte Bekannten zu.

Durch den Zuschauerraum ging ein leises Murmeln. Freilich, in die Presse sollte nichts von der Sache kommen, zu was auch? Straßmann brauchte die Art Reklame nicht, dazu war sie viel zu nichtig. Aber der Klatsch mußte davon erfahren: Salonhabitues waren zu sehen, die es schon heute nachmittags von Tee zu Tee, von Souper zu Souper tragen wollten, die bis ins kleinste Detail und darüber hinaus alles schildern würden, alles, den großen Straßmann in seiner neuesten Rolle als geschiedenen Ehe­mann, und die kleine arme Baronin Werbeck, seine ehemalige Frau, als Partnerin.

Auch er hätte ja nicht persönlich erscheinen brauchen, hätte sich durch seinen Anwalt vertreten lassen können, aber das ent­sprach seiner ganzen Natur nicht. Allzu gern stand er ja vor dem Publikum, bekam erst Feuer und Milde, Gefühl und Leben, sobald die Augen der Menge auf ihn gerichtet waren. Was er tat, mußte er vor den Augen der Öffentlichkeit tun, wenn er dabei Energie und Charakter zeigen wollte; er mußte

spielen können, nur aufzuleben. Er mußte eine Rolle, einen Charakter, einen Typus vertreten können, um ein Charakter oder ein Typus zu sein. Er mußte aber auch wissen und empfinden, daß er jemand gefalle und imponiere, damit er eine Rolle durchführen konnte.

Heute galt es, wie so oft schon bei ihn: im Leben, der Gesamtheit zu gefallen, selbst seiner Frau sollte er imScheiden" noch begehrenswert und groß erscheinen.

Die Verhandlung begann; seltsam kontrastierten Richter und Mime; jener fragte trocken, sachlich, in gleichgültigem, leisem Ton, dieser antwortete mit Schmelz in der Stimme, mit Pathos in übertriebenen Wendungen, laut, oft sogar über­laut werdend.

Er nahm alle Schuld auf sich, aber es war in seinen Augen nur eine tragische Schuld, die jeder Held erleiden mußte. Hoch richtete er sich auf und malte so ein Bild von seiner Titanengröße, zu der jenes weibliche Wesen nicht reichen konnte. Ihr Sinn fürs Kleine, Alltägliche seiner Arbeiten, seiner Leistungen.

Der Richter hörte ruhig zu, etwas gelangweilt, weil Straßmann gar zu weit ausholte und viel Unwesentliches an führte. Ein bißchen komisch erschien ihm freilich des Mimen Pathos; er dachte an das WortKünstlerehe", an jene Spezies, die er so oft zu lösen hatte, und dagegen erschien ihm freilich Straßmanns Eheleben sehr spießbürgerlich.

Die Frau brachte wenig vor. Da Straßmann sprach, hörte sie wohl aufmerksam zu; so wie er es jetzt darstellte, hatte sie noch nie ihre Ehe gesehen; dennoch überzeugten seine Worte auch sie fast. Freilich, ihre Ehe war auf ganz andern Vor­aussetzungen aufgebaut, sie war so bürgerlich und hatte den: berühmten Gatten im Anfang so gut gefallen. Ihre Haus­führung hatte ihn stets entzückt, ihre Küche poetisch gestimmt, ihre Beurteilung seines Spiels ihm geschmeichelt, und nun sah er auf das von weiter Ferne, von schwindelnder Höhe gnädig hernieder, wie die Götter auf der kleinlichen Menschen Treiben.

So wurde die Ehe geschieden, auf Verschulden des Mannes hin, dem Gesetz nach, aus Versäumnis und geistiger Kurz­sichtigkeit der Frau dem allgemeinen Urteil nach.

Straßmann hatte sich in erster Ehe eben ein Gänschen von adligem Geblüt mit hausbackenen Ansichten genommen, das einem so genialen Künstler niemals entsprechen konnte. Das wird in Bälde das Urteil aller sein.

Das Taschentuch krampfhaft vor den Mund gepreßt, so wankte die noch jugendliche, hübsche kleine Frau aus dem Saal. Wieder unterlegen! Wieder verlorenes Spiel gegen ihn! Der Anwalt folgte ihr begütigend. Wohin nur ein freies Leben stand ihr jetzt bevor? Die geschiedene Frau eines großen Mannes sein?! Eine, die von Gerichts wegen nicht für vollwertig befunden worden war, dieses Menschen Gattin zu sein?! Was nun?

Im selben Augenblick trat ihr Mann an den An­walt heran, mit warmer Stimme sagte er:Herr Doktor,

ich darf Sie wohl bitten, sich für die nächsten Stunden meiner armen Frau anzunehmen und sie zu ihren Ver­wandten zu geleiten!" Er verbeugte sich, und da er seine Frau noch immer in Tränen aufgelöst sah, trat er auf sie zu und sagte:Es tut mir leid, Paula, daß ich dich kränken mußte. Adieu!" Dann ging er, rasch, aber ohne

Hast weiter, würdig und gnädig die Grüße seiner Bekannten erwidernd.

Für die erste Zeit war sie zu ihren adligen Verwandten gezogen; aber der Ton, der dort herrschte, die mitleidige Art, mit der sie behandelt wurde, quälten sie. Eine arme reuige Sünderin, die ihr Vergehen, einen Schauspieler gegen den Willen der Familie geheiratet zu haben, nun ihr Lebtag lang büßen mußte und sollte, war sie für diesen Kreis. Man sprach nur mit Aufseufzen und gütigen: Mitleid von ihr und zu ihr. Darum war sie auch bald wieder von dort fort

gezogen. Lieber allein mit ihrem Jammer im einsamen Winkel