Heft 
(1906) 41
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zu, nicht achtend der in weiße Tücher gehüllten Verstorbenen, die nur ein paar Schritte weit an den Ufern auf Scheiter­haufen verbrennen, und deren Körper sich durch die Hitze krümmen und winden. Die schönsten Blüten der Menschheit, verführerische Mädchen in bunten Gazegewändern, neben ekel­haften Fakiren, mit Wunden bedeckt, mit Schmutz beschmiert; die höchsten Fürsten Indiens, in prächtiger Kleidung, neben

nackten Gerippen, nur ^_^

durch die Haut Zu­sammengehalten, die auf allen Vieren müh­sam den segenspen­denden Fluten des Ganges zukriechen; dazwischen wandern heilige Stiere und weiße Kühe frei um­her, springen wilde Affen von einem Tem­pel zum andern und treiben ihren Schaber­nack, schwärmen Mil­lionen von Tauben.

Die stufenarügen Gar­tenterrassen bevölkern buntgefiederte Papa­geien, räudige Hunde suchen sich mitten unter dem bunten Mensch en- und Tiergetümmel ihre Nahrung, Aasgeier schweben, nach Men­schenfleisch lauernd, über dem Fluß, und von den Ufern ringeln sich Rauchwolken Tag und Nacht von den

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Dekkan, wo heute noch die Maharadschas, Maharanas, Naizams, Gaikaurs usw. ihr Zepter führen, entsprechend unfern Königen, Großherzogen und Fürsten; dazwischen die kleineren Radschas, Raas, Begams und Takurs, wie bei uns etwa die Grafen und Freiherren des Mittel­alters. Aber während die letzteren längst ihre Unabhängigkeit verloren haben und ihre Länder in größeren Staaten auf­gingen, sind jene von Indien noch vielfach unabhängige Herrscher. So­lange es noch keine englischen Rot­röcke in Indien gab, bekriegte sich diese Unmasse von kleinen Landes­herren, die über ein Dreihundert­millionenvolk herrschten, auf Leben und Tod. Die Engländer räumten unter ihnen nach Tunlichkeit auf, doch gibt es immer noch achthundert- undfünfzig, Könige mit Ländern so groß wie Süddeutschland und mit Einnahmen, die jene unserer größten Monarchen übertreffen, wie beispiels­weise Haidarabad; aber auch kleine Prinzlein mit kaum hundert Qua­dratkilometern Landes und so viel Untertanen, wie unsere Kleinstädte Einwohner zählen. Sie haben ihre eigenen Armeen, möglicherweise noch in Eisenrüstungen starrend und mit Bogen und Pfeil bewaffnet, dazu ihre eigenen Minister und einen Hof­staat, der sich an Glanz und bar­barischer Pracht mit jenem der Aida" oderAfrikanerin" an un­fern Hoftheatern messen könnte. In

Lumpensammler.

brennenden Scheiterhaufen und den prasselnden Menschenleichen in die Luft!

Oder Jeppore diese Stadt in Rosenrot gebadet, als wäre sie ewig von der Morgensonne beschienen mit meilen­langen Reihen seltsamer Paläste in Rosenrot, umgeben von rosenroten Ringmauern und Bastionen, rosenrot die Tempel und Moscheen, rosenrot die Türme und Minaretts. Von den Basaren unten durch alle Stockwerke bis zu den flachen Dächern gekrönt von eigenartigen Pavillons, die Balkone, Erkertürmchen und Miradores, alles rosenrot. In den Straßen Menschen in scharlachroten, gelben, grünen, weißen oder goldenen Kaftanen, ebensolche mächtige Turbane auf den schönen schwarzen, glut­äugigen Köpfen. Die Männer groß, schlank, mit martialischen Gesichtern, die langen Bärte vom Kinn aus nach den Seiten wagerecht abstehend. Viele mit Schilden, Lanzen, Schwertern in den Händen, Dolche im Gürtel. Reitergestalten in farben­prächtiger Kleidung, mit einem Arsenal seltsamer Waffen, auf glänzend geschirrten stolzen Pferden oder bedächtig einher­schreitenden Kamelen, oder auf Elefanten, deren Stirnen und lange Stoßzähne grotesk bemalt sind, Scharen von Mädchen und Frauen mit faltenreichen Gazekleidern, als wären sie zum Serpentintanz geschmückt, an den nackten Füßen klir­rende silberne Spangen, an den Zehen blitzende Geschmeide; Diener in Scharlachrot mit gefesselten Leoparden oder Tigern. Tauben und Papageien durchschwirren die Luft, stolze Pfauen schreiten auf den Dächern einher, und nach Dutzenden tum­meln sich große wilde Affen mitten in der belebten Stadt, dieser Vision von phantastischer Eigenart, ein zu Stein ge­wordener Fastnachtsscherz.

Das und noch vieles, vieles andere, ebenso Interessante ist in diesem einzigen Indien schon auf den großen Eisenbahn­linien zu sehen. Und doch liegt das Merkwürdigste abseits von ihnen in den Eingeborenenstaaten Rajputanas und des

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Lotos am Dsch'helam.

Bundelkund, dem mittelsten Teil von Indien, gibt es allein eine ganze Menge solcher Liliputstaaten, aber ihre Prinzen gebärden sich wie Pfauen, führen ihre Abstammung bis zur Erschaffung der Welt zurück und heiraten kein Prinzeßlein,