Heft 
(1906) 41
Seite
877
Einzelbild herunterladen

877

mehr übrig . . . Aber giftig machen will ich Sie nicht. . . Ich geh' lieber nach Haus und schau', was meine Fratzen machen . . . Wenn die mich dann mit einem rechten Indianer- geheul empfangen, daß man's vom Boden bis zum Keller hört, dann sind meine Vatergefühle am lebendigsten. . . Das Mädel ist noch ärger als die Buben. . . Sie sollten mich einmal besuchen, Herr Doktor."

Bodenbauer lächelte schwach zu dieser Einladung zu Bekehrungszwecken. Brüllende Bärenkinder würden ihn wohl kaum verführen, dachte er. Lieber wollte er nach seinem kleinen Neffen sehen.

Als Kempen den Marqueur rief, um zu zahlen, zahlte er ebenfalls und brach zugleich mit dem andern auf.

Das Kaffeehaus lag in einer Seitengasse der inneren Stadt, unfern der Ringstraße. Beim Hinaustreten aus dem geheizten Kaffeehaus überfiel sie eine unangenehm schneidige Luft, so daß sie fröstelten . . . Die Straßen lagen leer und verlassen da. Oben am Himmel hoben sich rasch dahinziehende Wolken weiß vom dunkeln Abendhimmel ab. Es war ein unbehaglicher Abend, die Welt schien düster und unfreundlich.

Die Wege der beiden strebten auseinander, doch für eine Weile bequemte Kempen sich der Richtung des jungen Doktors an, und auch seine Gedanken beschäftigten sich noch immer mit seinem Begleiter.Sagen Sie, Herr Doktor, fühlen Sie denn keine Hinneigung zum weiblichen Geschlecht? Gerade Sie? . . . Wenn man sich ordentlich verliebt, vergehen einem die vorgefaßten Meinungen, und einem Menschen wie Ihnen müßte es unbedingt passieren, daß er einer starken Anziehungs­kraft unterliegt"

Die jungen Damen von heutzutage und ich, wir passen nicht zueinander", entgegnete Vodenbauer kopfschültelnd. Meine feste Absicht, keine Familie zu gründen, würde ja vermutlich ins Wanken geraten, wenn ich auf ein Mädchen stieße, das den Bedürfnissen meiner Seele entsprechen würde. Es ist aber keine Sorge, daß ich in diese Klemme gerate."

Ich schwärme für das moderne Genre auch nicht", stimmte Kempen zu.Diese Mädchen, die sich einen Typus zurechtmachen und demgemäß ihre Rolle spielen! . . . Aber es müßte ja kein Übermädel im Sezessionsgeschmack sein . . . Auch keine Überstudierte . . . Sie würden schon das Richtige treffen, wenn Sie nur suchen wollten."

Gottbewahre!" wehrte sich Bruno Bodenbauer mit ernstem Lachen.In einem solchen Fall heißt es: Wer sucht, der

findet nicht. . . Und ich will auch gar nicht finden. Im Gegenteil: ich hoffe, derjenigen nie zu begegnen, die so be­schaffen wäre, daß ich sie heiraten müßte."

Kempen schüttelte den Kopf. Dagegen ließe sich ja so viel sagen. Angefröstelt von dem Menschen, der nicht hoffen und lieben wollte, um nicht zu leiden, und dabei nicht merkte, daß er eben deshalb litt, trennte er sich an der nächsten Straßen­ecke von ihm.

Das war auch einer von den anmaßend Glücklichen, dachte Bruno im Weitergehen, die sich einbildeten, das Schicksal wage sich nicht an sie. Aber wenn auch nichts passierte, floß doch alles unaufhaltsam von ihm weg. Und wenn seine Kinder heranwuchsen, das Mädchen weder in der Ehe, noch die Knaben im Beruf Schiffbruch litten, sie entfremdeten sich doch jedes Jahr mehr dem Vater, bis ihm eigentlich nichts mehr von ihnen blieb als die Erinnerung an das, was sie ihm ein­mal gewesen. Und wenn er, wie er sich's wohl wünschte, steinalt wurde, dann ging er dahin, unbetrauert, wie ein Gast, der zu lange geblieben ist. Wer trauert um das welke Blatt, das verspätet zu Boden raschelt?

Früh sterben war traurig, alt werden war es noch mehr.

Dennoch war in Bruno Bodenbauers Natur genug dessen, was der Verneinung des Lebens widersprach: Liebeswärme, Aufopferungsfähigkeit!

Er wußte wohl, er war in Gefahr, das Leben nur zu sehr zu lieben, wenn ein geliebter Mensch es mit ihm teilte. Wie war es denn gewesen, als die Mutter noch lebte? Da­

mals fühlte er weder die Kälte, noch die Drohungen des Lebens, weil die Strahlen der hingebendsten Liebe sein Dasein zugleich durchleuchteten und erwärmten.

Aber daß man solche Verluste erleiden kann, darin allein liegt schon eine Verdammung des Lebens. Und ist es nicht, als spähe das tückische Schicksal gerade nach dem, was uns das Liebste ist, um es uns zu entreißen?

Wie gut, daß er niemand mehr so lieben würde, wie er seine edle, sanfte Mama geliebt hatte! Sein Vater nun, der blieb ihm ewig fremd. Bruder Karl war vom Schlag derer, für die man nicht zu zittern brauchte, und der kleine Bruno gehörte ja zum Glück nicht ihm, sondern Eltern, die die nötige Lebenszuversicht besaßen, daß sie die ewig drohende Hand des Schicksals nicht gewahrten.

Vor dem Tor des Hauses angelangt, wo Karl wohnte, zog Bruno seine Uhr. Jetzt befanden sich der Bruder und die Schwägerin sicher schon auf dem Weg zum Theater, und der Kleine würde mit der Bonne allein sein. Er konnte mit ihm spielen und plaudern und seinem Zubettgehen anwohnen.

Die Sehnsucht, das treuherzige Gesichtchen des lieben Jungen zu erblicken, beschleunigte seinen Schritt, so daß er, der müde Schleichende, zwei Stufen auf einmal nahm, um früher oben auf dem Treppenabsatz zu landen.

Pauline, das Mädchen für alles oder doch für das meiste, wie Karl zu sagen pflegte öffnete ihm und ließ ihn ein, nicht, wie er gedacht hatte, in ein finsteres Vorzimmer, sondern in ein hell erleuchtetes.

Unangenehm berührt blickte er auf die Haken der Vorzimmer­wand.Ist denn die Herrschaft zu Haus und Besuch da?"

Das Mädchen sah ihn erstaunt an:Natierli sein s'

z'Haus. . . Der Bubi ist ja krank."

Krank?" Bruno starrte das Mädchen an, als wollte er ihr vom Gesicht herablesen, was er noch nicht wußte.

Krank?" Man nahm immer noch zu viel für gesichert an. Wenn man noch so wenig hoffte! . . . Also selbst diese bescheidene Voraussetzung, alles hier zu finden, wie er sich's ausgemalt hatte, war zu kühn gewesen . . . Es war immer alles ganz anders. Was dem Kind fehlte, mochte er die Person gar nicht fragen. Lieber sich selbst überzeugen!

Seitlich führte eine Tür zu dem Zimmer, in dem sich seine Schwägerin gewöhnlich aufhielt und das zwischen ihrem nach vorn gelegenen Schlafzimmer und dem nach rückwärts gehenden Zimmer des Kindes die Verbindung herstellte. Dort drückte er die Klinke nieder und trat ein.

Es war ein kleines, flaches Zimmer, dessen Fenster der Tür gegenüber lagen. Über den: Mitteltisch brannte die

Hängelampe, und durch die Fenster, die nicht verhüllt worden waren, blickte der abendliche Winterhimmel mit eigentümlich Hellem Glanz herein.

Das kleine Zimmer wurde für gewöhnlich als Speise­zimmer benutzt, und deshalb stand da an der Eintrittswand eine einfache Kredenz, und um den Tisch reihten sich hoch- lehnige Stühle . . . Sonst aber war es eigentlich ein

Damenzimmer, und die mit Kissen bedeckte Ottomane zwischen den Fenstern, sowie die beiden Fauteuils in der Ecke, die mit einen: Serviertischchen eure trauliche Gruppe bildeten, verrieten dies ebenso wie das Nähtischchen und der bequeme Stuhl am Fenster.

Der Raun: machte immer einen gemütlichen Eindruck auf Bruno, und ihn brauchte Kamilla niemals nach vorn in ihre modisch eingerichteten Prunkrüume zu führen.

Heute versagte die gewohnte Empfindung. Rasch wollte er auf die Tür links, die zum Kinderzimmer, zu, als sie sich öffnete und die Schwägerin selbst heraustrat, eine jugendliche Gestalt, breit in den Schultern, dafür schlank in den Hüften und um die Mitte und auf einem langen Hals einen ebenso pikanten wie hübschen Kopf tragend . . . Von ihrer atlas­glatten Haut stach das dunkele, wirre Haar interessant ab.

Unruhig flog ihr der Blick des jungen Mannes entgegen, doch Kamilla, fand er, sah aus wie sonst. Ihr Haar war

1906. Nr. 41.

01