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Ausmerzen läßt sich das Fremdwort aus unserer Sprache nicht, selbst wenn wir ein scheinbar gleichbedeutendes haben, weil ost genug das andere noch feine Schwebungen erklingen läßt, die selbst der beste deutsche Schriftsteller nicht entbehren möchte. Ein klassisches Beispiel dafür ist der Satz von Paul Hepse: „Er hatte an Stelle der edeln Leidenschaften
die nobeln Passionen gesetzt." Wie verschiedene Vorstellungen wecken diese „gleichbedeutenden" Wörter! Und noch viele andere unentbehrliche Fremdwörter gibt es, die mehrere Bedeutungen mit einem glücklichen Ausdruck umfassen. Welche innige Vereinigung von Anmut, Besonderheit, Sicherheit der Form, Schweben über denr gemeinen Lebensbedürfnis enthält nicht z. B. das Wort Elegant! Und andererseits, wie viel Taktlosigkeit, Neugier, Klatschsucht und Zudringlichkeit werden nicht mit dem einen Wort „Indiskret" getroffen! Nur der beschränkteste Deutschtümler ohne sprachliches Feingefühl kann sich einbilden, das erstere mit „zierlich", das letztere mit „lästig" erschöpfend übersetzt zu haben!
Auch würde sein Schmerz über diesen Einwand geringer sein, wenn er wüßte, daß sein geliebtes, für ganz rein gehaltenes Deutsch von Fremdwörtern wimmelt, die durch lange Jahrhunderte von Lateinern und Franzosen, von den verschiedensten abend- und morgenländischen Sprachen übernommen und eingebürgert wurden. Als zuverlässiger Führer bei solchen Untersuchungen kann ihm das vortrefflich geschriebene Buch von R. Kleinpaul: „Das Fremdwort im Deutschen" empfohlen werden, er wird große Überraschungen dadurch erleben. Denn wenn einmal die alten guten Wörter: Markt, Straße, Teller, Tisch, Kissen, Uhr, Lampe usw. als fremd nachgewiesen werden, was steht dann noch fest? Peitsche und Schachtel sind ebensowenig deutsch wie die russische Droschke und das in den Befreiungskriegen von der: Kosaken übernommene Hurra! Seide und Juchten, Brokat und Kattun, ebenso wie Pfeffer, Zucker, Kaffee, Tabak und unzählige Namen von Blumen und Obstarten kamen uns durch den Handelsverkehr mit italienischen Häfen; alle diese Namen für nicht vorher gekannte Gegenstände waren einmal so neu und ungewohnt wie zu unseren Gedenkzeiten die Theatertantiemen oder der Kinematograph. Andere haben infolge neuer Kul- tarverhältnisse die uralten Wörter verdrängt, wie ja in England an der Überflutung des Angelsächsischen durch das Normannische heute noch nachzuweisen ist.
Für beide Fälle gibt Kleinpaul eine Fülle von höchst interessanten Beispielen. So ist unser heutiges Zeitwort schreiben aus dem lateinischen aridere entstanden. Das alte deutsche Wort war reißen, ritzen (englisch to nwite), weil die Runenschrift in Baumrinde geritzt wurde. Erst die christlichen Mönche lehrten mit Griffel und Feder schreiben, und ein kurzes Sendschreiben hieß Brief (dreva). Das lateinische Wort eorpus ist als Körper an Stelle des altgermanischen Leib,' Leich getreten. Nur in Fronleichnam, dem hohen Fest vom Leib des Herrn, klingt die ursprüngliche Bedeutung noch heute heraus. Mit der Lehre vom Kreuz aber wurde dessen lateinischer Name erux mundgerecht eingeführt, hier gab es kein früheres Wort zu überwinden.
Schule und Kirche, Messe und Predigt samt dem Kloster haben die christlichen Sendboten ebenso den Deutschen als Vermehrung ihres Wortschatzes gebracht. Was nun in allen folgenden Jahrhunderten durch den friedlichen Austausch der Völker wie durch Entdeckungen und Erfindungen unserer Sprache einverleibt wurde, das dürfte sicherlich die vollen fünfzehn Prozent ausmachen, die die Fremdwörter im Deutschen nach der Schätzung von Fachgelehrten betragen sollen. Wie bunt ist diese Menge und von welchen entlegenen Erdteilen zusammengeholt! Kautschuk, Mahagoni, Mais und Tabak haben wir von den Indianern, das vielgebrauchte Wort Tabu von den Südseeinseln, Punsch und Kaste von den Indern, Tasse von den Persern. Atlas ist das arabische Wort für „glatt", aus Japan kam über Amerika das berühmte Spiel Halma-Ekka, wie achthundert Jahre früher aus dem Morgen
land das Schachspiel, das die Kreuzfahrer mit heimbrachten. Und heute noch heißt es zu seinem Schluß: Schäh-mate, Schachmatt, „der König ist tot!" Wie viele wohl mögen sich bewußt sein, daß sie mit diesen: von unzähligen Lippen schon erklungenen Ausruf kein Deutsch reden?
Weit zahlreicher als die vom Orient stammenden, durch fremden Klang immerhin auffallenden Wörter sind die heute vergessenen Entlehnungen bei den klassischen Sprachen und denen der uns umgebenden modernen Völker. Die Mühle, wie der Mörtel, die Mauer, der Kalk und die Ziegel stammen von den römischen Lehrmeistern in: Steinbau, nur das Blockhaus ist rein deutsch. Klingende Münze kannten die nur Tauschhandel treibenden Germanen auch nicht, sie bildeten das Wort nach Moneta, dem ihnen von den ausländischen Händlern gezahlten Geld. Palast, Turnier und Abenteuer, Kaiser und Prinz, Revier, Kumpan und Trumpf u. a., sie sind alle als Fremdlinge zu uns gekommen. Wer aber vermöchte vollends, die Legion der Fremdwörter im Militär- und Bureaudienst, im kaufmännischen Leben wie in der höheren Küchenkunst aufzuzählen!
Eine besonders interessante Abteilung des Buches bilden die Fremdwörter aus zweiter und dritter Hand, mit den Veränderungen, die die Aussprache der verschiedenen Völker daran Vornahmen. Erst schreibt der Engländer das türkische Schal als Shwal, dann der Deutsche. Erst spricht der Franzose das italienische eavaUeresoo nach, dann spricht wieder der Deutsche das französische eüevalerasciue nach. Der Name Aprikose ist ein lateinisches, über den Orient nach Europa zurückgekehrtes und durch Vermittlung Frankreichs und der Niederlande zu uns gekommenes Wort. kersiea piaeooeia (frühreife Pfirsiche) nannten sie die Römer, die Araber Al- Berkuk, die Spanier Albaricoque, die Franzosen Abricot. In Holland machte das t dem s Platz, es hieß nun Abri- koos. Wir stellten das lateinische p wieder her und nennen die Frucht Aprikose. Ähnlich ist es mit Kattun, ursprünglich arabisch Al-Koton, mit dem Wort Gene, das eine lange Reise vom Jerusalemer Schindanger (Gehinnom) an über die griechische Hölle, die mittelalterliche Folter bis zu dem modernen Begriff eines bedrückenden Zwanges zurückgelegt hat, und mit vielen anderen Wörtern, deren ursprüngliche Bedeutung unfern: heutigen Bewußtsein völlig unbekannt ist.
Lehnwörter heißen sehr alte, frühzeitig in unfern Sprachschatz aufgenommene Fremdwörter, die die Lautverschiebungen des Deutschen sowie bestimmte Abkürzungen erfahren haben. Zu den ersten zählt Thessalonich für ^1i688al0niea, Lattich für Uaetuea, Dechant für Deeanrw, zu den letzteren Christ für Ollr^tiunuZ, Dom für Domrw, Zins für Oeimrw, Primel für krimula. Ganz und gar eingedeutscht aber sind Wörter wie Marsch, Kontor, Likör, Bukett, Trubel, Papier, Musjö, Mamsell und viele andere. Sie alle haben ihren Sinn wenigstens behalten. Wer aber sieht es dein heute vielgebrauchten Wort Ramsch an, daß es ursprünglich einen Haufen alter Bücher bezeichnet (un ranw8 cie vieux livrech, die zu herabgesetzten Preisen verkauft werden?
Es gewährt ein besonderes Vergnügen, die ursprüngliche Bedeutung solcher scheinbaren Sinnlosigkeiten zu entdecken. Die vergleichende Sprachwissenschaft hat es schon lange getan, aber ihre Resultate sind nur auf einen engen Kreis beschränkt, und es erscheint als wirkliches Verdienst, sie einen: größeren zugänglich zu machen. Dann sieht sich der an der Hand des kundigen Führers in das Sprachdickicht eindringende Laie auf Schritt und Tritt vor die interessantesten Entdeckungen gestellt. Wirken doch in der Sprachentwicklung lebendige Kräfte, die nach bestimmten Gesetzen leise, aber unaufhaltsam das Alte umbilden und Neues hereinziehen. Ihren Fortschritten aus nationalen: Stolz Halt gebieten zu wollen, ist ein aussichts loses Unternehmen. Aber die willkürliche Nachäfferei fremder Sprechweise, wie sie die Deutschen des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts zun: Schaden und zur Schande ihres Vaterlandes betrieben, sie hat mit jenen notwendigen Be-
1906. Nr. 41.
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