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besonderen Zustande kommt, ist überaus interessant. Wahrend nämlich unser Auge den Ausgleichsfunken im geringen Bruchteil einer Sekunde wahrnimmt, ist die elektrische Ladung durch den Verbindungsdraht vom äußern Belag zum innern und umgekehrt in rasendem Lauf ein paarmal hin und her gestürzt und erst allmählich zur Ruhe gekommen wie ein angestoßenes Pendel. Nur, daß der ganze merkwürdige Schwingungsvorgang, den wir durch eine Reihe an Stärke und Länge abnehmender Pfeile gekennzeichnet haben, sich im Bruchteil einer tausendstel Sekunde vollzieht. Bei jeder neuen Aufladung und jedem neuen Funken wiederholt sich dieses Spiel.
„Elektrische Schwingungen", das sind die Zauberkünstler der Funkentelegraphie.
Haben wir zuviel gesagt, wenn wir von einer elektrischen Stimmgabel sprachen? Ganz gewiß nicht, denn wir werden sofort zeigen, daß es auch hier ohne weiteres gelingt, die Schwingungszahl in weiten Grenzen beliebig zu ändern und so einen ganz bestimmten elektrischen „Ton" (um im Bild zu bleiben) Zu erzeugen, einen Ton allerdings, zu dessen direkter Wahrnehmung wir keinen Sinn besitzen und von dessen Dasein und Höhe wir nur auf Umwegen etwas erfahren können. Nimmt man nämlich statt der einen Leidener Flasche mehrere (Abb. 3) und wickelt den Entladungsdraht spiralig auf, so erfolgen die Schwingungen weit langsamer; Anzahl der Flaschen und Anzahl der Drahtwindungen spielen hier die gleiche Rolle wie bei der akustischen Stimmgabel Elastizität und Masse.
Sobald nun eine solche elektrische Stimmgabel in Tätigkeit tritt, geschieht etwas ganz Merkwürdiges: ringsherum im Raum wird es lebendig, nach allen Seiten eilen Wellen, mit unfaßbarer Geschwindigkeit — 300 000 Kilometer in der Sekunde
— breiten sie sich aus und lassen die Wirkung der Schwingungen selbst auf große Entfernungen hin verspüren. Freilich ist hier nicht die plumpe Luft Trägerin der Wellenarbeit, sondern ein überaus feiner, ja wir können sagen: für unsere Begriffe unendlich feiner Stoff, der Weltäther.
Schade nur, daß wir diese Ätherwellen elektrischer Kraft mit keinem unserer Sinne wahrnehmen können; wir würden auch von ihrem Dasein nie etwas erfahren haben, wenn nicht Heinrich Hertz uns gezeigt hätte, daß sie wiederum fähig sind, an identischen Systemen
— denken wir an die beiden Stimmgabeln — elektrische Schwingungen hervorzurufen und sich durch ein mikroskopisches Funkenspiel zu verraten. Die empfangende elektrische Stimmgabel sieht dann nicht anders aus als die sendende, sie besteht ebenso wie diese aus der entsprechenden Anzahl Leidener Flaschen, der Funkenstrecke und dem Entladungsdraht.
Und doch fehlt diesen Stimmgabeln noch etwas Wesentliches: sie haben keinen Resonanzkasten. Ohne Resonanzkasten schwingt eine Gabel wohl, aber sie klingt nicht, d. h. das eigentlich Sendende ist der Resonanzkasten. Wie mag nun wohl ein Resonanzkasten für elektrische Schwingungen aussehen? Wirklich mehr als einfach. Es ist nichts anderes als ein Draht, den man dem Schwingungskreis anhängt. Blickt der Leser auf unsere Abbildung 4, so hat er bereits eine kleine, alle physikalisch wesentlichen Teile enthaltende Sendestation für drahtlose Telegraphie vor sich, und er sieht deutlich, in
welcher Art der Nesonanzkasten — in der Technik die „Antenne" genannt — sich dem Schwingungskreis anfügt. Schwingen die elektrischen Massen, so teilen sich die Schwingungen der Antenne mit — wobei selbstverständlich nicht die Antenne selbst schwingt, sondert: eben nur die Elektrizitätsteilchen in ihr — und von hier aus wird die Ruhe des Äthers aufgestört. Ätherwellen elektrischer Kraft durchziehen den Raum, und wo sie ein gleichgestimmtes System mit Antenne und Schwingungskreis treffen, da erzeugen sie wiederum elektrische Schwingungen und diese ihrerseits winzige Fünkchen an der Funkenstrecke. Da man nach Belieben lange oder kurze Zeit andauernde Schwingungen auf der Sendestation erzeugen kann, so ist damit die Grundlage für eine elektrische Verständigung „ohne Draht" gegeben.
Dies ist das nackte physikalische Prinzip der „Funken"telegraphie, so genannt nach dem Entladungsfunken, der Begleiterscheinung elektrischer Schwingungen. Wie wundervoll ist es doch. Man hat gesagt, das „gefunkte" Wort (sit venia verdo) gehe in alle Winde und sei vogelfrei. Jeder könne es abfangen. Aber das ist doch nur bedingungsweise richtig. Nur der kann es abfangen, der einen gleichgestimmten Apparat besitzt; eine kleine Änderung an unseren Leidener Flaschen, ein paar Windungen mehr oder weniger im Schwingungskreis, und mit dem Abfangen ist es vorbei.
Nicht immer war es so. Marconi, dem wir die erste praktische Verwertung der Hertzschen Versuche verdanke!:, fing sonderbarerweise mit dem Resonanzkasten an. Erst später haben Braun, Slaby, Arco u. a. den Schwingungskreis mit Leidener Flaschen hinzugefügt. Zugleich erkannte nun: auch die ungeheure Bedeutung des Resonanzprinzips für die Funkentelegraphie. Unsere modernen Stationen sind wahre Wunder der Abstimmung und in physikalischer Beziehung auch in sich so prachtvoll harmonisiert, daß man aus dem Staune:: und Bewundern gar nicht herauskommt.
Doch treten wir einmal einer alles für das unmittelbare Verständnis überflüssige:: Beiwerks entkleideten
Sendestation näher, wie wir sie in unserer fünften Abbildung schematisch skizziert haben. Am Meeresstrand liegt ein kleines Häuschen; in ihm erkennen wir unschwer unfern Schwingung^kreis mit Funkenstrecke und Leidener Flaschen wieder. Sobald wir auf einen Taster (linkerhand) drücken, so ladet ein von einer Dynamomaschine ge speister Transformator die Leidener Flasche, und diese entlädt sich wiederum in rascher Funkenfolge und gibt zu elektrischen Schwingungen Veranlassung. Am Schwingungskreis hängt, durch eiserne Türme gestützt, ein riesiger Antennenfücher. Bon hieraus gehen die elektrischen Wellen über Land und Meer. Sie treffen auf den gleichartigen Antennenfücher eines Schiffes und lösen dort die telegraphischen Zeichen aus.
Soll eine Station auch empfangen, so muß sie ihren Antennenfächer auf die Empfangsapparate (in unserer Zeichnung fort' gelassen) umschalten können. Hier berühren sich zwei große Industriezweige, die Stark ström- und die Schwachstromtechnik. Während man nämlich die Sendeapparate so kräftig wie möglich macht,
Abb. 4. T-
Schwingungskreis mit Sendedraht.
Schematischer Aufbau einer Sendestation für Funkentelegraphie.