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um weit in den Raum wirken zu können, gestaltet man naturgemäß die Empfangsapparate so fein und zart, wie es eben nur unsere mit allen Hilfsmitteln ausgerüstete Feinmechanik vermag. Es ist erstaunlich, was Wissenschaft und Technik hier geleistet haben, welch eine Unsumme von Können und von Erfahrung in diesen Dingen steckt. Die alte, nur auf wenige Meter wirksame Hertzsche Empfangsfunkenstrecke ist durch den Kohärer, jenes wundersame Instrument ersetzt, das uns das Eintreffen elektrischer Wellen noch auf viele Hunderte, ja Tausende von Kilometern sicher nachweist. Schon drängt sich eine Reihe neuer noch feinfühligerer Wellennachweiser hervor, um den:
Kohärer den Rang streitig zu machen. Man hat gelernt, die Wellenzeichen abzuhören oder sie gar in bleibende Morsezeichen zu verwandeln. Eine ungeheure Arbeit ist in wenigen Jahren geleistet worden. Dabei ist alles ins Gigantische gewachsen. Wer seine Hertzschen Versuche recht gut kennt und heute eine der deutschen Riesenstationen in Norddeich oder Nauen betritt, kennt sich nicht mehr aus. Das sind keine Telegraphenstationen mehr, das sind Fabrikanlagen mit Antennen aus vielen hundert turmhohen Drahten. Hunderte von mannshohen Leidener Flaschen sind zu großen Batterien Zusammengefügt, Dynamomaschinen sausen, und wenn telegraphiert wird, dann erschüttert die zischende und prasselnde Funkenstrecke das ganze Gebäude in seinen Grundfesten. Doch alles dies ist den Lesern der „Gartenlaube" schon an anderer Stelle einmal geschildert worden.
In dieser völlig anspruchslosen und nur ganz allgemeine Gesichtspunkte streifenden physikalischen Plauderei sei es uns noch gestattet, einer neuesten Entdeckung Erwähnung zu tun,
die voraussichtlich für die Funkentelegraphie von größter Bedeutung werden kann. Die Feinheit der Abstimmung und damit die Aufrechterhaltung eines geregelten Verkehrs zwischen korrespondierenden Stationen leidet vorzugsweise unter der starken Dämpfung der Wellen. Bei jeder Funkenentladung
klingen die Schwingungen sehr rasch ab, wie wir es schematisch in der oberen Zeile der sechsten Abbildung zur Darstellung gebracht haben. Die Sendestation gleicht also einem schlechten
Redner, der den Anfang der Worte mit unnötiger Energie
hinausschmettert, um die Stimme auf der Endsilbe bis zur Unhörbarkeit sinken zu lassen. Könnte man eine gleichmäßige, ungedämpfte Schwingung erzeugen, nicht so, wie sie der Klavierhammer, sondern wie sie der Violinbogen auf der Saite hervorbringt, dann wäre für die Anregung und feinste Abstimmung der Empfangsstation ungeheuer viel gewonnen. Es würde in der Tat gelingen, nahezu jede fremde Einmischung auszuschalten.
Dies Problem erscheint durch die Entdeckung des Dänen Poulsen, das eine an Stelle der Funkenstrecke benutzte, in einer Wasserstoffatmosphäre brennende Bogenlampe ungedämpfte
Schwingungen liefert, gelöst. Wir dürfen mit höchster Spannung den weiteren Nachrichten hierüber aus der Praxis entgegensehen.
Wie wird sich die Funkentelegraphie in Zukunft entwickeln? Darüber kann man jetzt nicht einmal etwas mutmaßen. Es ist schwer, Prophet zu sein, wenn man ständig die kühnsten Erwartungen durch die Tatsachen überholt sieht. Wo Wissenschaft und Technik Hand in Hand gehen, wird es keine Schranken geben, und der Menschengeist wird nimmer rasten und ruhen, wenn es gilt, das Gute durch das Bessere zu ersetzen.
Abb. 6.
Gedämpfte und ungedämpfte Schwingungen.
Ein neues Jugendbuch.
^o viel unter dem Feldgeschrei: „Erziehung zur Kunst" auch gesündigt worden ist, so viel Torheiten und Übertreibungen der von Ellen Key gepredigte Kultus des Kindes auch im Gefolge gehabt hat: auf einem Gebiet haben diese Bestrebungen nur
Gutes gewirkt: auf dem Gebiet der Jugendliteratur.
Gesteht man die Berechtigung einer besonderen Jugendliteratur überhaupt zu — und man muß es wohl, da es nicht möglich ist, den Strom der Zeit rückwärts zu dämmen und eine in über hundert Jahren gewordene Entwicklung wieder aus der Welt Zu schaffen — so kann man sich ehrlichen Herzens des Aufschwungs freuen, den diese Literatur in neuerer Zeit genommen hat.
Man braucht nur das, was dem kindlichen Lesehunger vor dreißig Jahren noch als Nahrung geboten ward, mit den Büchern zu vergleichen, die heute für die Jugend geschrieben werden, um diesen Aufschwung zu würdigen. War früher das Schlechteste für die Kinder „gut genug", da man den hohen, erzieherischen Wert der Kunst für die Jugend nicht begriff, so wird heute von dem Besten das Beste zusammengetragen, und die Künste wetteifern miteinander, diese Jugendbücher zu schmücken.
Jedes Weihnachtsfest bringt wertvolle, literarische Jugendgaben, und auch diesmal liegt ein Buch bereit, das nicht nur den Jubel der Kinder, sondern auch das Entzücken der Eltern erregen wird, da es an Inhalt wie Ausstattung etwas ganz Besonderes bietet. Es ist die „Woche für die deutsche Jugend", das Ergebnis des letzten Preisausschreibens der „Woche", das nach Monaten sorgsamer Arbeit nun im Druck vorliegt.
Ein starker Band im rotbraunen Gewand der „Woche", doch seinem Charakter als Jugendbuch gemäß auf dem Umschlag mit Emblemen des Märchens geschmückt, stellt die „Jugendwoche" in ihrer glücklichen Mischung von Erzählung, Lied, Märchen, belehrenden Aufsätzen usw. eine wahre Fundgrube für den kindlichen Geist dar, eine nie versiegende Quelle der Unterhaltung und des Genusses.
Man spürt: hier lag ein solcher Reichtum an Material vor, daß nur für das Beste Raum geschaffen werden konnte. In der Tat sind im Lauf des Jahres nicht weniger als 14000 Beiträge eingegangen— was das heißen will, wissen nur jene stillen, ungenannten Helfer, die die erste große Arbeit des Sichtens und Prüfens Zu leisten hatten. Und daß die Auswahl die rechte war, dafür bürgen die Namen der Preisrichter: Viktor Blüthgen, Otto Ernst, Professor t)r. Karl Krebs, Professor LU'. Alfred Lichtwark, Dr. Marx Moeller, Professor Dr. Wilhelm Rein, Klara Richter und Di'- Heinrich Seidel.
Die „Woche für die deutsche Jugend" wendet sich an keine bestimmte Altersklasse, sie umfaßt die ganze selige Jugendzeit und befriedigt die kindliche Spiel- und Märchenlust der ganz Kleinen ebenso wie den anspruchsvolleren Geschmack, die Lesebegierde der schon Heranwachsenden, sie trägt der knabenhaften wie mädchenhaften Art in gleicher Weise Rechnung. Nach dem Wort: Wer vieles bringt, wird jedem etwas bringen, läßt sie in buntem Wechsel Spiel und Ernst, Prosa und Poesie sich folgen und wirkt deshalb immer wieder wie neu, so oft die jungen Augen sich auch in das Buch vertiefen mögen.
Otto Ernst, der feinsinnige Humorist der Kinderstube, hat recht, wenn er in seinem reizenden Vorwort behauptet, daß in dem Buch „Lust und Zeitvertreib für sieben Jahre und 37 Millionen Kinder" steckten, und sein Seufzer der Erleichterung, daß die „Jugendwoche" die Langeweile aus der Kinderstube verbannen und darum der Schreckens frage: „Was soll ich nun spielen?" ein für allemal Vorbeugen werde, wird ein vielfaches Echo auf Vater- und Mutter- lippen wecken.
Das müßten ja keine rechten Kinder sein, die nicht schon unter dem Lichterbaum mit in die Ohren gestopften Zeigefingern und mit glühenden Backen über dem Buch hockten, die nicht versuchen würden, solch hübsche Theaterstücke, wie die mit dem ersten Preis aus-