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des Reichstags wegen der Tumulte in der Stadt, an denen er ganz schuldlos ist."
Des Königs Züge verdüsterten sich.
„Ich besinne mich! Der Sturm auf das Jesuitenkollegium, die Schändung der Heiligtümer -- ein böser Fall, der schwere Ahndung verdient. Und ich, der König, der zum alten Glauben zurückgekehrt ist, dürfte am wenigsten eingreifen, wenn es gilt, dessen Feinde zu schützen. Das würde Mißtrauen erregen bei dem Volk, das mir aus freier Wahl die Krone angeboten hat."
-,,O Sire, Sie haben ein menschlich fühlend Herz!"
„Und wenn ich auch diesem Gefühl folgen wollte, da ich der Stadt Thorn huldvoll gesinnt bin, ich kann es nicht, ich darf es nicht! Die Krone Polens hat nicht das Recht der Begnadigung."
Regina rang verzweifelt die Hände.
„Du tust mir leid, doch ich vermag nichts gegen die Verfassung! Aber eine so reizende Blüte — sie darf nicht so früh geknickt werden. Einen Vater zu verlieren in so grausamer Weise — es ist ein schmerzlich Geschick! Ich will für dich sorgen, mein Kind! Eine meiner Hofdamen — ja, die Frau meines Oberfalkenmeisters soll dich in ihre Obhut nehmen."
Regina stand da, fest und trotzig, dem Fürsten einen stolzen Blick zuwerfend.
„Ich danke, Sire! Ich weiß, wo meines Bleibens ist!"
Da rührte der Fürst die Klingel und wandte dem Mädchen mit flüchtigem Gruß den Rücken.
Der Kammerdiener führte sie achselzuckend die Seitentreppe hinunter.
-r- H
Am 18. November traf der blutdürstige Fürst Lubomirski mit den Kronsoldaten in Thorn ein Zur Vollziehung des Blutgerichts; 150 Dragoner und 3000 Mann Fußvolk konnten jede aufrührerische Bewegung Niederhalten. Doch über der Stadt brütete ein angstvoll feierliches Schweigen.
Auch Marczewski war zurückgekehrt; er beriet mit dem Pater. „Wir dürfen den Eid nicht leisten," sagte dieser, „und wir leisten ihn nicht! Zu so blutiger Gewalttat biete ich nimmer meine Hand! Wenn man uns die Marienkirche überläßt und reichlichen Schadenersatz leistet und die Hauptfrevler mit Gefängnis straft, so ist der Sühne genug!"
Marczewski aber sagte hohnlachend: „Der Hydra wachsen neu die Köpfe, man muß sie ganz zertreten. Wir schwören nicht, aber die Kommission wird mit sich handeln lassen; ich stelle sieben Zeugen, die statt meiner den Eid schwören sollen."
Da bekreuzigte sich der Pater Rektor. „Du wirst die Gemordeten in deinen Träumen sehen, ohne Köpfe — ihr rauchendes Blut wird dich anklagen, und sie werden dich vor Gottes strengen Richterstuhl laden!"
„Ich weiß, was meine, was unsere Pflicht ist!" erwiderte Marczewski fanatisch. —
Rösner hatte seine Tochter wiedergesehen, sie erklärte ihm, daß sie den König umsonst um Gnade angefleht habe. „So gibt es keine Rettung mehr!" sagte der Bürgermeister, in stiller Ergebung die Hände faltend. Da dröhnten Gewehrkolben an öer Haustür und auf der Treppe; Rösner und die andern Schuldigen wurden ins Gefängnis abgeführt. Noch ein letzter Abschied, ein Abschied auf Nimmerwiedersehen! Regina brach zusammen.
Fürst Lubomirski verzichtete auf den Eid der Jesuiten und ließ sich an den andern Zeugenaussagen genügen. Es gab einen heftigen Auftritt zwischen ihm und seinem Neffen, der verlangte, daß geschehen müsse, was Rechtens sei, und nur unter dieser Bedingung habe der Fürst Gewalt erhalten über Leben und Tod.
In aufloderndem Zorn wies der Fürst ihm die Tür. Kasimir hatte seine Zukunft verscherzt.
Rösner hatte die Erlaubnis erlangt, Briefe zu schreiben; er empfahl seine Tochter der Fürsorge seiner nächsten Ver
wandten. Die Buchstaben erschienen schwankend und zittrig; doch nicht die zitternde Hand trug schuld daran, sondern das dämmerige Licht, das durch die vergitterten Kellerluken fiel. Als Rösner selbst noch einmal die schwer lesbaren Zeilen durchprüfte, trat Marczewski in seine Zelle. Rösner sprang auf.
„Ihr wollt Euch an den Qualen Eures Opfers weiden?" rief er ihm entgegen, „Ihr irrt, Ihr findet einen ruhigen Mann, den sein Glaube tröstet!"
„Ich komme, Euch zu retten!" sagte Marczewski, „freilich, Ihr dürft die rettende Hand nicht zurückweisen; ich muß eine Bedingung machen. Sie ist wohl leicht Zu erfüllen. Unser König ist Euch ja hierin mit seinem erhabenen Beispiel vorangegangen."
„Ihr meint —?"
„Man will Euch begnadigen, ganz begnadigen, wenn Ihr den lutherischen Glauben abschwört und in den Schoß unserer Kirche zurückkehrt; das sühnt jeden Frevel; ja, ich leugne es nicht, es steht für uns höher im Preis als Euer Kopf. Ich will jeden falschen Schein meiden; bei Gott, es ist nicht Menschenfreundlichkeit, um Euch den verdienten Tod durch Henkershand zu ersparen. Doch nach Eurer Bekehrung werden vielleicht hundert andere Eurem Beispiel folgen."
„Spart Eure Mühe! Ich stehe und falle mit dem
lutherischen Glauben als ein Opfer der polnischen Tyrannei, der diese deutsche Stadt ein Dorn im Auge ist.
Vor dem Tod hat mich niemand gerettet, aber nach dem
Tod wird der Weltgeschichte Gang mir früher oder später eine Sühne bereiten, und mein Angedenken wird in Ehren
bleiben!"
„Wir werden dafür sorgen, daß ihm eine Schandsäule errichtet wird!" sagte der Jesuit, hinter dem der Kerkermeister bald die Tür rasselnd schloß.
Es war am 7. Dezember. Der Altstädtische Marktplatz war mit Truppen umstellt, ebenso der Hof des Rathauses. Hier mußte, lange ehe die späte Sonne des Dezembers sich erhoben, bei Fackelbeleuchtung der Bürgermeister Rösner das Schafott besteigen, und sein ehrwürdiges Haupt fiel unter der Hand des Henkers. Im Lauf des Tags wurden auf freiem Markt neun andere Verurteilte hingerichtet, darunter Mohrucht, der Weißgerber Härtel, der Nadler Schulz, der Schuhmacher Mentsch. Dann wurden katholische Mitglieder in den Rat gewählt, das evangelische Gymnasium geschlossen und nebst der Marienkirche den Bernhardinern übergeben. Als die Kommissare dem Rat die Stadtschlüssel zurückgegeben und mit der Heeresmacht die Stadt verlassen hatten, da begleiteten sie die Jesuitenschüler mit Waldhornmusik über die Brücke.
Kasimir erhielt ein Zettelchen von Regina:
„Die Tochter eines Geächteten kann nimmer Dein Weib werden. Ohne den Vater und Dich hat das Leben keinen Wert mehr für mich! Mit dem letzten Gruß und Kuß."
Einige Tage darauf fand man ihre Leiche in der Weichsel. Kasimir, der sich von seinem Onkel losgesagt hatte, dem sein Vaterland nach diesen letzten erschütternden Vorgängen zuwider geworden war, verkaufte sein Gütchen und suchte und fand eine Stelle im kursächsischen Staatsdienst; doch auch an der Elbe konnte er nimmer die Weichsel vergessen.
Das Thorner Blutbad erregte Abscheu in ganz Europa. Zahllose Druckschriften erschienen in allen Ländern. Der ohnmächtige Polenkönig wurde mit Vorwürfen überhäuft; Großbritannien, Dänemark, Schweden, die Republik Holland, ja selbst der deutsche Kaiser drückten ihm ihre Entrüstung aus. Der König von Preußen und der russische Zar drohten, mit Waffengewalt die Rechte der Andersgläubigen in Polen zu schützen, doch Zar Peter starb, ehe er dem Frieden von Oliva sein Recht verschafft hatte, und der König von Preußen schloß durch Vermittlung Englands und Frankreichs einen neuen Vertrag, durch den dem Ausbruch der Feindseligkeiten vorgebeugt wurde.