Heft 
(1906) 52
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Wintergrün.

Von Max Lesdörffer.

Pflanzenwelt der freien Natur ist schön und eigenartig zu allen Jahreszeiten. Im Frühling erbauen wir uns an dem so wechselvoll gestalteten zarten, saftigen Grün, dem

ein immer stattlicher wer­dender Blumenflor folgt. Den Blüten wieder folgen lachende Früchte, die in manchen Arten bis tief in den Winter hinein aus den: kahlen Geäst hervorleuchten. Die weißen Früchte der Schneebeere, die in Schein­dolden von den Zweigen des Holunders herabhängen­den schwarzroten Beeren, die korallenfarbigen Fruchtschein­dolden der Eberesche, die Beeren der Zwergmispeln, Wildrosen u. a. sind von schöner und malerischer Wirkung. Aber erst wenn das Laub gefallen ist, kommen diese Winterfrüchte recht zur Geltung.

Zuvor legen viele unserer Silber- oder Blautanne. Laubgehölze noch einmal für kurze

Zeit ein farbenschönes Kleid an. Das Laub entfärbt sich", sagt der Volksmund, wenn das vom Wind bewegte Blätterwerk mancher Bäume in allen Farbentönen von Grün zu Gelb, Braun und Rot leuchtet. Sind dann die Blätter gefallen, die beim Ahorn, dem Schneeball, dem wilden Wein u. a. wunderbare Farbenkompositionen zeigten, so werden wir erst gewahr, daß auch die Rinde so manchen Strauches in lieblichen Farben erstrahlt, die uns zuvor das Laub verdeckte, und daß auch das Astgewirr manch malerischen Baumes eingehende Betrachtung lohnt, zumal wenn es mit silbergrauen, oft in langen Strähnen herabhängenden Flechten bedeckt ist oder mit den immergrünen nestförmigen, im Winter weiße Beeren tragenden Büschen der schmarotzenden Mistel.

Nur wenige Holzgewächse bleiben im Wandel der Zeiten scheinbar unverändert, es sind dies die immergrünen Sträucher und die Nadelbäume. Nur ein Nadelbaum der Heimat, die Lärche, verbringt den Winter in blattlosem Zustand, und zu ihr gesellt sich in unsern Gärten noch die Sumpfzypresse als som­mergrünes Nadelholz. Unsere übrigen heimischen Nadelhölzer,

Tanne, Fichte, Kiefer, Wacholder und die als Waldbaum im Aus­sterben begriffene Eibe, sind immer­grün. Neben den wenigen Arten der Heimat finden wir in un­sern Gärten zahlreiche, bei uns winterharte fremdländische Arten, von denen sich sogar die Forst­wirtschaft manche dienstbar ge­macht hat. In unsern Gärten und Parks markieren die meist düster gefärbten Nadelhölzer den Schatten, sie verleihen, zu reich­lich angepflanzt, der Landschaft

Längende

Mischzyprefse.

Stechpalme.

einen düstern Charakter, und manche von ihnen sind ja auch ausgesprochene Friedhofsbäume wie gewisse Lebensbäume und die schlanke, dünne Säulen bildende immergrüne Zypresse (Oupressus 86wp6rvir6v8), der Charalterbaum orientalischer Friedhöfe. Maßvoll, einzeln und freistehend oder zu kleinen Trupps vor lichtgrün belaubte Gehölzgruppen ge­pflanzt, sind die in den echten Arten meist schlank und stolz emporwachsen­den Nadelbäume nicht nur im vorgeschrit­tenen Frühling, wenn der junge, frische, sich von den alten düster­farbigen Na­deln wirkungs- W voll abhebende Trieb hervor­bricht, sondern

auch im Winter, umgeben von kahlem Gehölz, von malerischer Schönheit. Nach frischen: Schneefall, wenn die weißen Kissen aus den wagerecht ausgebreiteten Astetagen der Tanne und Fichte haften, so daß sich die im Winter mit Zapfen geschmückten Äste oft tief unter der Last herabbeugen, wird sich wohl kaum ein Mensch dem Zauber verschließen können, der vom deutschen Nadelwald oder auch nur von einer gut gewachsenen Gruppe dieser Bäume ausgeht.

Eibe. Die Tanne ist der echte deutsche Weih­

nachtsbaum, der aber der Rang vielfach von der Fichte, in einigen Gegenden auch von der Kiefer streitig gemacht wird. Während jedoch die Fichte in warmer Stube rasch die Nadeln wirft und dadurch unschön und lästig wird, hasten sie bei der Tanne noch im Vertrocknen lest an den Zweigen.

Unter den fremdländischen Tannen und Fich­ten haben in erster Linie die silbergrau be­laubten Arten und Formen Anwartschaft darauf, als Weihnachtsbäume Verwendung zu finden. Vorläufig aber sind sie ausschließlich noch sehr hoch im Preis stehende Gartenschmuckpflanzen.

In neuerer Zeit tritt es immer augenfälliger zutage, daß in den Gärten der Großstädte die Nadelbäume nicht mehr recht gedeihen wollen; sie leiden durch die den Schornsteinen entströ­menden Verbrennungsgase, be­sonders durch den sich beim Ver­brennen der Steinkohlen ver­flüchtigenden Schwefel, der mit dem Sauerstoff der Luft direkte Verbindung eingeht, wodurch ein Gas, die schweflige Säure, entsteht. Diese Säure ver­wandelt sich in Verbindung mit Feuchtigkeit, also an napen Wintertagen und bei Schnee, in Schwefelsäure, die als schärf stes Gift alles organische Leben zerstört, worunter gerade die