Heft 
(1906) 52
Seite
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Der Oberleutnant Hartung ließ sich gleichmütig im Schreib­tischsessel nieder, steckte sich einen seiner strohblonden Knüller an.Ein bißchen langsamer, mein Jungchen! Und zunächst mal 'ne kurze Aufklärung: ich bin nicht gekommen, dich zu hindern, sondern dir zu helfen!" Und, als der andere ihn miß­trauisch ansah, fuhr er fort:Ja, ja, und auf mein Wort meinetwegen, es ist so! Vorhin, als wir Abschied nahmen, dachte ich, der brave Henner geht jetzt nach Hause und schießt sich mit Fug und Recht 'ne Kugel vor den Kopf. Mit Fug und Recht, denn ein Mensch wie du verdient kein besseres Schicksal. Und allerhand Hochachtung, sagte ich mir, vor seiner Geschicklichkeit, die Führte zu verwittern; außer den dreien, die darum wußten, aber natürlich den Schnabel gehalten hätten, der Baron Ouessendorpf, die Komteß und ich, Hütte kein Mensch auch nur einen Schimmer von Ahnung gehabt. Also so weit war ich einverstanden, nur, gerade, als ich mir den feinen Uberrock Zuknöpfte, fiel mir ein, dir einen andern Ausführungs­modus vorzuschlagen. Nicht so plump und grob: bems, ein Loch in der Stirn, sondern unauffällig, fast elegant möchte ich sagen ein anderer Pfad schließlich zum gleichen Ziel ein stiller Weg"

Henner von Sacrow hob den Kopf, ein wenig mißtrauisch noch, aber, was er da eben gehört hatte, fing ihn doch an zu interessieren.

Nein nein," fuhr der Oberleutnant Hartung fort,und keine Angst, ich wollte dich vielleicht einwickeln! Wie schon gesagt, im Gegenteil und meinen Segen. Ein Kerl wie du, der über einem treulosen Frauenzimmer das bißchen Verstand verliert, handelt vollkommen recht, wenn er sich ins Jenseits spediert, nur wozu sich selbst bemühen, sagte ich mir, wo wir doch jetzt die brillante Dampferverbindung nach Südwestafrika haben?"

Henner hatte sich abgewandt.Treuloses Frauenzimmer" war das rechte Wort gewesen, das ihm so lange gefehlt hatte. Die Erinnerung kam ihm mit einem Schlag wieder, er fing an zu begreifen, daß in all diesen Tagen an seiner Stelle wirklich ein anderer gehandelt hatte, ein anderer, der plötzlich in seine Seele gefahren war, einer, für den es keine Hem­mungen gab, der nur seinen Instinkten und begehrlichen Re­gungen folgte. . . Zugleich aber befiel ihn der Jammer über sein bißchen verpfuschtes Leben, verpfuscht um ein nichts­nutziges, treuloses Frauenzimmer. . . aber eigentlich, wenn man gerecht sein wollte, stimmte das ja gar nicht ... er selbst trug die Schuld, weil er gerade in der Zeit der Entscheidung sich ferngehalten hatte, und als er endlich zu einem Ent­schluß gekommen, war es zu spät gewesen, sein Glück schon verpaßt. . . Ein heißes Würgen in der Kehle, ein Zucken mit den Schultern, dann aber ein Aufschrei, der in einem Schluchzen endete, einem Schluchzen, das den ganzen starken Körper erschütterte . . . Und allmählich löste sich die furchtbare Spannung, die ihm Geist und Seele so lange gefangen ge­halten hatten!

Unaufhaltsam rannen seine Tränen die Wangen hinab . . . Geh, Franz, laß mich jetzt allein", bat er endlich mit erstickter Stimme. Der Oberleutnant Hartung aber zuckte nur mit den Achseln, die Krisis war noch lange nicht vorüber.

Ah nein, mein Jungchen, denn ich stehe hier nicht für mich allein da, sondern für unser Offizierkorps. Gewiß, ich bin dein Freund, daneben aber auch ein ganzes Ende lang Gneisenaujäger, und ich sage dir, ich dulde es nicht, daß du auf unfern säubern Rock einen so bösen Klecks machst! .Heute mittag erschoß sich in seiner Wohnung der Oberleutnant des hiesigen Jägerbataillons von Sacrow. Über die Gründe dieses in Anbetracht der begleitenden Nebenumstände geradezu sen­sationellen Selbstmordes schwirren allerhand unkontrollierbare Gerüchte durch die Stadtll . . . Übermorgen früh steht's in allen Zeitungen, und wir müssen das hinterher ausbaden, dir ist's natürlich höchst gleichgültig, du hast's aus dem Kopf. Und dann kommen die näheren Erläuterungen: alles, was dich in den Tod getrieben hat, wird vor der breiten Öffentlichkeit j

auseinandergezerrt, beschnüffelt und betratscht; denn bild' dir doch nur nicht ein, die hiesige Society ließe sich mit den: offiziellen Leichenbefund .plötzliche Geistesstörung' abfertigen! Schon vorgestern hat man in allen hiesigen Bürgerhäusern deinen bevorstehenden Abfall in Ouessendorf erörtert wenn du's nicht glauben willst, laß dir von meiner regierenden Gattin die Ünterredung berichten, die sie auf der Heimfahrt mit Herrn Fuhrhalter Möller hatte! . . . Wie anders aber, mein Jungchen, sieht der ganze Fall aus, wenn nach kurzen sechs Wochen in den Zeitungen steht: .Der Oberleutnant

von Sacrow, früher im Jägerbataillon von Gneisenau, beim Sturm auf . . . auff ... na, sagen wir mal, .Hornkranz gefallen/ Dann wird dein Name auf der langen Tafel in der Kaserne eingemeißelt, auf der da zu lesen steht: .Es starben den Tod fürs Vaterland . . . .wir aber brauchen nicht die Augen unter uns zu schlagen, wenn die Rede von dir ist, sondern können uns mit gerechtem Stolz zu dir bekennen: .Der da draußen den Heldentod starb, war unser Kamerad . . ./"

Henner von Sacrow schüttelte mit dem Kopf.Gib dir keine Mühe,, Franzel, es geht nicht! Hier bis zur Erledigung meines Gesuchs herumgehen . . . mir von allerhand teil­nehmenden Leuten die Hand schütteln lassen ..."

In dem gutmütigen Gesicht Hartungs leuchtete es auf; er fühlte, daß er in dem hartnäckigen Kampf um Tod oder Leben eine gute Fußbreite Boden gewonnen hatte . . .

So, und das Wort .Urlaub^ steht wohl nicht in deinen: Lexikon? Brauchst nur noch einen einzigen Tag hier mit lächelnder Miene herumzugehen, und morgen abend schon nach Schluß der Besichtigung stehst du am Schalter: .Bitte, eins Zweiter Berlin/ .Auch retour, Herr Oberleutnant?' fragt der Eisenbahnbonze. .Nein/ sagst du, .danke, mein Rück­transport wird hoffentlich auf Staatskosten bewerkstelligt werden/ . . . Und jetzt noch eins! Bisher Hab' ich nur immer von uns gesprochen; begreiflich, denn an sich selbst denkt man immer am allerersten. Aber Junge, Henner, du hast doch auch etwas, was dir höher stehen muß als aller Jammer und Kummer, deinen Namen! Schwerenot nochmal, du heißt Henner von Sacrow! Und nun stell' dir vor, du kommst oben an im himmlischen Kasino, willst dich an dem Tisch melden, an dem deine Sippe sitzt, aber der alte Herr, der den Vorsitz führt, zuckt mit den Achseln. .Dcw muß ein Irrtum sein, wir sind eine geschlossene Gesellschaft. Und meines Wissens hat man Sie bereits da unten gestrichen als einen, der unfern anständigen alten Namen zu Unrecht geführt und durch tausend hämische Mäuler geschleift hat. Die Sacrowe, die hier sitzen, sind alle für König und Vater­land gestorben, in heißer Feldschlacht oder nach ehrenvollem Dienst im Frieden; keiner aber hat sich feig aus dem Leben gestohlen, dem Leben und Dienst, die beide dem König ge­hören . . .!"

Henner von Sacrow wendete sich um, in seinem Gesicht zuckte es.Franzel! Und ich danke dir!" ... Er ging mit großen Schritten auf und ab, plötzlich aber blieb er stehen. Und der Inspekteur? Was sage ich ihm, wenn er mir mit der Versetzung ins Gardejägerbataillon kommt?"

Der Oberleutnant Hartung lachte auf, denn der Sieg war erfochten . . .

Über solche Kleinigkeiten zerbrichst du dir den Kopf? Spielst einfach das Präveniere, bittest, ehe er überhaupt nur den Mund auftun kann, um eine geneigte Befürwortung deines ergebenen Gesuchs, schon mit dem nächsten Transport nach unten befördert zu werden! Wenn er aber etwa remonstrieren sollte, Kerle wie du hätten als Truppenerzieher in der Hei­mat zu bleiben... na dann sagst du: Exzellenz, bitt gehor- samst um einen.Privadiskursch' und schenkst ihm reinen Wein ein. Der hohe Herr hat mir so ausgesehen, als wenn ihm trotz aller soldatischen Strenge nichts Menschliches fremd wäre, und, wer weiß, wenn du ihn richtig anzupacken verstehst, dreht er die ganze Chose so, als wenn diese südwestafrikanische Idee von ihm ausgegangen wäre! Überhaupt ich an deiner Stelle