Heft 
(1906) 52
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wir haben noch zwanzig Minuten vor eins würd' mir die Augen auswaschen und zu ihm ins Hotel gehen. Und frei von der Leber weg sagen: ,Exzellenz, das liebe Deutschland ist leider zu eng für zwei Menschen, die sich aus dem Weg gehen müssen, man begegnet sich, wenn man nun mal auf ein und dieselbe Kaste angewiesen ist, an allen Ecken und Enden' . .

Henners Brust hob sich unter einem tiefen Atemzug. Hast recht, Franzel, und so soll es geschehen. Aber schilt mich deswegen: nicht euret- oder meinetwegen! Die eine, die sich ein anderes Glück gesucht hat, soll nicht darunter leiden . . . also es ist gut!"

Na, siehst du," sagte der Oberleutnant Hartung,so spricht ein Edelmann und Jäger! ..." Sie schüttelten sich die Hände und sahen sich fest in die Augen . . .

*

Als der Oberleutnant Hartung aus dem Kasino vom Mittagsessen heimkehrte, sah er die Gattin in banger Er­wartung am Fenster stehen. Da winkte er schon von weitem mit der Hand zum Zeichen, daß alles gut ab­gelaufen wäre. Die Liebe, Gute hatte an dem günstigen Ausgang ja das allergrößte Verdienst, denn sie war es ge­wesen, die mit echt weiblichem Scharfsinn die Saat des Miß­trauens in seine arglose Seele gestreut hatte . . . Und

während er sich hastig zum Nachmittagsdienst umzog, erstattete er seinen Bericht:

Na also, heute abend fährt er. Sein Hauptmann Cramer hat mit einem Mal den Größenwahn gekriegt, er könnt's allein weiter schaffen und hat sich gesund gemeldet. Das übrige aber programmgemäß. Der Inspekteur steht auf, klopft ans Glas: .Meine Herren! ... Es wird Sie vielleicht alle überraschen, aber wir haben einen Afrikaner in unserer Mitte!'. . . All­gemeines Heben des Kopfes ... ein paar Dutzend Schlag­worte, ,Vaterland, die rechten Männer auf die rechten Plätze', noch mal ,Vaterland', 81 vw paeam, para bellum, und wo könnte man den letzteren am besten lernen, doch nur vorm Feind, nicht wahr? ,Scharfgeschliffenes Schwert', und nur die allerbesten wären gerade gut genug . . . hohe Auszeichnung . . . Kompagnieführer mit winkendem Hauptmannspatent, glückliche Wiederkehr. Bems, Tusch, Gläserklingen! Als ich mit dem so Angeprosteten anstieß und er mir die Hand schütteln wollte, sagte ich bloß: ,Na ja, im Prinzip waren wir uns einig. Nur du wirst mir zugestehen, die Aufmachung ist um ein Erhebliches eleganter!'" . . . Und als Frau Annemarie mit schwimmenden Augen zum Fenster hinaussah, sagte er lachend: Geh, geh, Alte, mach mich zu guter Letzt nicht noch eifer­süchtig! Wie heißt's in dem alten Soldatenlied? .Eine

jede Kugel trifft ja nicht!'". . . Rur merkwürdig, daß er bei den letzten Worten den Kopf nach unten beugen mußte . . . aber das lag nur an den langen Stiefeln, die so schwer auf den Fuß gingen, weil sie am Vormittag feucht ge­worden waren.

Waterberg, 31. September.

Liebe Freundin und Schwester!

Ich weiß, Sie zürnen mir nicht, daß ich ohne Dank und Abschied von Ihnen gegangen bin. Manches ist ja von mir in dieser Zeit abgefallen, vieles hat sich geändert mnd geläu­tert, aber noch heute vermöchte ich's nicht, unter Ihre klaren und gütigen Augen zu treten ... ich bin noch lange nicht genesen! Tagelang reitet inan in: Stumpfsinn dahin, schlägt sich, die Kugeln schwirren . . . Biwak . . . Durst . . . Hunger, aber der Stumpfsinn ist keine Gesundheit. Und her alte Freund, dem ich tausend und mehr Meilen weit nach­gezogen bin, um ihn zu finden, geht mir aus dem Weg. Jeden Abend denke ich: Na vielleicht morgen, aber er äfft mich, links und rechts von mir fallen die braven Jungen, mich verspottet er, in dem gellenden Pfeifen der Kugeln glaub' ich sein Lachen zu hören.

Heut hat mir die Feldpost die Vermählungsanzeige gebracht: .Herr und Frau August Schmielke geben sich die Ehre . . .' es gab einen gewissen Einschnitt in dem ewigen Einerlei, ein paar törichte Anklagen gegen das Schicksal und die Frage: Warum gerade mir das? Also gut und vorbei . . . Nur sie hätte mich in Frieden lassen sollen, ich gehe ja auch so meinen Weg. Und nur keine Angst, daß ich je wieder ihren Pfad kreuzen könnte, die Herero schießen leidlich, und der Krieg ist ja noch lange nicht zu Ende.

Wenn ich mich heute frage, was mich damals in all die Wirrsal getrieben hat, so war es vielleicht ein Überschwang an Phantasie. In der andern sah ich immer einen Teil von Ihnen, liebte vielleicht zwei, Ihre herrliche Seele, Frau Anne­marie, und der andern rotblondes Haar ... ich weiß es nicht mehr, mein armer Kopf tut mir weh von den: vielen Grübeln. Und keine Rettung: selbst wenn sie ohne Seele wäre, könnte ich ihren Verlust nicht verwinden. In hundert Nächten schon ist mein Herz über Länder und Meere heim- wärts geflogen . . . auch heute liege ich allein an den: spärlichen Lagerfeuer, in der Brust alles leer, weil mein Bestes wieder einmal auf Urlaub ist . . . Und ob sie vielleicht noch einmal an mich denkt? . . . Vor mir, im ungewissen Licht der Mondsichel, erheben sich die nackten Felsen, die wir mit Tages­grauen stürmen sollen ... in Prahlstorff aber fitzt eine, ein anderer beugt sich über ihr lachendes Gesicht, und sie merkt es vielleicht gar nicht, daß mein Herz um sie flattert ... die Nacht ist herum, in der Vorpostenlinie fallen Schüsse. . . also vielleicht heute . . . oder morgen? ..."

So lautete der Brief ohne Unterschrift und Adresse, der durch einen merkwürdigen Zufall, vielleicht weil er beim Auffinden des Gefallenen in dem Kuvert der Vermählungsanzeige von Frau Schmielke, geborenen Komteß Prahlstorff, gelegen hatte, an eine falsche Empfängerin geraten war, lange nachdem der Telegraph schon die Todesnachricht in die Heimat getragen hatte. Ein rotblonder Kopf neigte sich über das Blatt, und ein Paar dunkler Augen füllten sich mit Tränen . . . Armer Henner! . . .

Llättei-un-I killten

Leuchtender Schnee. Wandern wir in einer mondscheinlosen Nacht über schneebedeckte Landschaft so nehmen wir wahr, daß dann die Dunkelheit nicht so groß ist wie zu Zeiten, da unter sonst gleicher: Be­dingungen die Schneedecke fehlt. Das hat darin seiner: Grund, daß der Schnee die Lichtstrahlen zurückwirst und daß auch die Spuren des Lichtes, die uns der Sternenjchimmer bietet, nicht verloren gehen wie im durnlen Erdreich. Besonders kräftig tritt diese Erscheinung in den Polarländern hervor, infolgedessen ist auch dort in der monatelangen Polarnacht die Dunkelheit für den Menschen nicht so unerträglich. Mitunter glaubt man aber auch bei uns im Tiefland, wenn man des Nachts über frisch beschneite Felder wandert, wahrzunehmen, daß hier und dort eine Fläche von einem eigenartigen Schimmer übergossen ist. Es erweckt dann den Anschein, als ob der Schnee selbst leuchte. Das braucht durchaus

nicht eine Täuschung zu sein. Jur Hochgebirg hat man leuchtenden Schnee wiederholt beobachtet. So sah man im Tal von Arosa, rvie eirr kleines Firnseld am Arosa-Rothorn in eirrer Augustnacht irrr eigener: phosphoreszierenden Glanz erstrahlte; gespenstisch wogte das matte Licht auf und ab, und die Er>cheinung dauerte eine halbe Stunde. Ferner- Hat mar: auch bei Lawinenstürzen, die in der Nacht stattfanden, hin und wieder ein Aufleuchten der Schnee- und Eisrnassen wahrgeuommen. Erllürt sirrd diese Ericheinunger: noch nicht. Ost wird es sich um ein von der Sonne erborgtes Licht gehandelt haben. Schon die Brüder Schlagintweit Haber: darauf hingewiejen. Sie nahmen Firn und Eis, die an Frosttagen grell vor: der Sonne beschienen wurden, und trugen sie in ein kaltes, dnnlles Zimmer. Sie sahen alsdann, daß diese Prober: in schwachem phosphoreszierender: Schimmer leuchteten.

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