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Jllustrirtc Deutsche Monatshefte.
gewicht seiner Seele nicht bis zum Grnnde hatte erschüttern können.
„Liebster Bruder," sagte er, „die Lehre, so dieser ungetreue Knecht uns gegeben, hat uns ein zu theures Lehrgeld gekostet, als daß wir sie in den Wind schlagen und es in der alten Weise leichtherzig forttreiben könnten. Wenn dieser in unserem Hause altgewordene Diener hinter unserem Rücken gehaust hat wie Hagelschlag und Ungewitter, wie sollen wir uns von einem Wildfremden, dem wir das Vogtamt übertrügen, eines Besseren versehen? Nicht, daß mein Herz auf Geld und Gut stände, zumal ich mir getraue, mit meinem Gesang reichlich zu erwerben, was zu meiner Nothdurft, ja darüber hinaus zur Führung eines freien ritterlichen Lebens gehörte. Es ist aber ein unerträglicher Gedanke, sich von einem Wicht betrogen und um das Seinige gebracht zu sehen, und unser thenrer Vater, den Gott selig haben möge, würde, wenn er herabblicken könnte, das Haupt schütteln und über seine Söhne ungehalten sein, die ihr Erbgut verwahrlosen lassen. Hierzu kommt, daß ich auch während der Zeit, da wir getrennt herumzogen und unsere edle Kunst betrieben, mehrfach Gelegenheit hatte, zu gewahren, wie bedenklich und unznkömmlich es ist, wenn zwei Dichter desselben Namens zur selben Zeit ihr Wesen treiben. An manchen Orten bin ich als ein schon bekannter und beliebter Sänger empfangen worden um einer Can- zone willen, welche du gedichtet hattest, und dir ist es vielleicht nicht anders ergangen."
Er hielt inne, auf Peire's Zustimmung wartend. Da diesem aber niemals das Gleiche begegnet war und er doch seinen Bruder nicht betrüben. wollte, begnügte er sich mit einem stummen Kopfnicken, worauf Austorc fortfuhr: „Nun, siehst du wohl, wenn dies schon im Beginn unseres Dichtens geschehen, wie sollen wir, wenn
wir es zehn oder zwanzig Jahre so fort getrieben haben, der Verwirrung steuern und Jeder seinen Ruhm genau und wohl- abgegrenzt für sich behalten? Und gesetzt auch, wir fragten nichts danach und ließen unseren Erwerb an Lob und Ehre brüderlich beisammen, wie wir uns ja auch über die Theilung anderen Besitzes nie verfeindet haben, so ist noch der böse Haken dabei, daß Jeder von uns seine eigene Art und Uebung im Dichten hat, wonach man uns kaum für Söhne einer Mutter halten sollte. Nun ist auch die Neigung und Gewöhnung Derer, die uns hören, verschieden, und Diejenigen, die deine Art vorziehen, wissen sich in die meine nicht sogleich zu finden, wie ich es hin und wieder schon habe erleben müssen. Ich habe meine schönsten Strophen in schweren Reimen und den künstlichsten Weisen in Montpellier einer Dame vorgetragen, die nur mit halbem Ohre zuhörte, weil sie etwa ein leichteres Liedchen deines Stils erwartet hatte, und die gleiche Erfahrung wirst auch du wohl gemacht haben."
Wieder antwortete Peire nur mit einem kurzen Brummen, aus welchem ja oder nein zu deuten war, und zeichnete immer eifriger den Anfangsbuchstaben eines Namens auf den Tisch, während Austorc, der in dem Zimmer langsam auf und ab geschritten, jetzt vor ihm stehen blieb.
„Es wird dir vielleicht seltsam scheinen, Lieber," sagte er, „aber ich mag sinnen und denken, so viel ich will, ich finde keinen besseren Ausweg aus dieser Verstrickung. Ich meine nämlich, daß wir gleich heute eine redliche Theilung alles dessen vornehmen sollten, was uns von unserem guten Vater vererbt worden ist, und zwar indem wir fortan nicht seine liegenden Güter, Schloß und Landschaft zusammt dem Gesänge gemeinsam besitzen, sondern der Eine die Burg erhält, der Andere den Gesang, was auch dich wohl eine gerechte Theilung zu sein bedünken