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(1881) 295
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Heyse: Der verkaufte Gesang.

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züge der Natur behorchte oder das erste Regen der Vögel in Büschen und Zweigen betrachtete, gewaltig zu schaffen machte. Wohl hatte er schon zahlreiche Lieder damit begonnen, das erste Grün und die ganze sprossende Lieblichkeit des jungen Jahres zu begrüßen, und da schon hundert Jahre

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die holde Frühlingszeit den Poeten der Languedoc genau wie denen unserer Tage ein unerschöpfliches Thema zu lyri­schem Gezwitscher gewesen war, mußte er sich sagen, daß die Welt nicht viel daran verlor, wenn er durch den Vertrag mit seinem Bruder verhindert wurde, zu tau­send Frühlingsliedern das tausendunderste zu fügen. Er glaubte nämlich, nicht nur die Anwartschaft auf Dichterruhm, sondern auch die Erlaubniß, ganz im Stillen seine ge­liebte Poeterei zu üben, ein für alle Mal verspielt zu haben. Und freilich that er klug daran, da nicht nur Husten, Rauch und Liebe nach dem Sprüchwort sich ver­stecken lassen, sondern auch das dichterische Feuer sich nicht damit begnügt, unsichtbar fortzuglimmen, sondern mit Gewalt durch die kleinste Ritze hinauszuloderu sucht.

So verzichtete er denn lieber auf diese Streifereien vor Than und Tage, in denen ihm das Herz allzu verlangend schwoll und in Tönen sich auszuströmen begehrte, und wartete den lauten, nüchter­nen Tag heran, der die Stimmen in seinem Inneren nicht zu Worte kommen ließ. Als er aber gemerkt hatte, daß er durchaus nicht ganz sicher sei vor einem Rückfall in das poetische Fieber, hütete er sich geflissentlich, ja nicht mit einer der Nachbartöchter einen verliebten Handel anzuzetteln, da er bisher für das Beste bei einer richtigen Liebschaft die Verse angesehen, die den Gegenstand der An­betung verherrlichten, und eine reimlose Leidenschaft für eine Suppe ohne Salz oder, um schwunghafter zu reden, für eine Rose ohne Duft erklärt hatte.

Dies hatte nun zur Folge, daß ihm in seiner künstlich erhaltenen Einsamkeit, deren Muße er nicht zu erheitern wußte, von Tag zu Tage übler zu Muthe wurde, bis endlich ein fast krankhafter Trübsinn sich seiner bemächtigte. Er hatte nur die eine Erleichterung seines Zustandes, sich ein Pferd zu satteln und auf wilden, abenteuerlichen Ritten, oft bis tief in die Nacht hinein, sein unstätes Blut durch Ermattung ein wenig zu zügeln. Kehrte er dann in die Burg zurück, wo Alles seinen geregelten Gang einhielt und die Knechte, die ihm um seines milden Wesens willen herzlich auhingen, ihre Schuldig­keit pünktlicher thateu als vor Zeiten unter der Fuchtel des geizigen Vogtes, so überfiel ihn die Oede und Stummheit seines Daseins oft mit solcher Gewalt, daß ihm die Thränen aus den Augen stürzten. Er verschloß sich dann in sein Gemach, warf sich auf sein Bett und ver­brachte die Stunden des Tages in dum­pfer Bewußtlosigkeit, dann und wann eine klagende Rede vor sich hinstammelnd, die unwillkürlich sich zu Versen gestaltete, bis er daun, wie durch den Klang des Reimes erschreckt, jählings abbrach, einen Speer oder eine Armbrust von der Wand riß und wieder in den Forst hinausstürmte, seinen tödlichen Kummer an irgend einem unschuldigen Wild oder einem Raubvogel auszulassen, als ob er ihnen das freie Schweifen und den trotzigen Schrei neidete, die sein eigenes stummes Nisten und Brü­ten zu verhöhnen schienen.

In einer schwülen Sommernacht nun hatte der unstäte Mann den Heimweg aus dem Walde in sein unerwünschtes Haus nicht gefunden oder zu suchen verschmäht und sich im Moose am Fuß eines uralten Ahorns gebettet. Als er nach einem tie­fen Schlaf im ersten Morgenlicht die Augen aufschlug, übersah er die Stelle, wo er genächtigt hatte. Der Wald stieg zu einem Thalgrunde hinab, den ein