Issue 
(1881) 295
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Heyse: Der vcr

gesehen, hinfort nur als Gast wieder be­treten sollte.

Auch besann er sich keinen Augenblick, wohin er seine Schritte wenden sollte. Da er zu Mittag den Brautzug nach dem Schlosse geführt hatte, war er an einem mageren Grasanger vorbeigekommen, fern­ab von den guten Weideplätzen des Dor­fes. Hier stand unfern von der Straße eine uralte Capelle, die das Galgen- capellchen hieß, weil der Weg nach dem Richtplatz an ihr vorüberführte. Hatte man nun einen Armensünder abgethan und kehrte von der Execntion zurück, so pflegte man hier bei dem Heiligthnm anzuhalten und ein paar stille Vaterunser für die Seele des soeben Gerichteten zu beten. Um dieses schlichte Gotteshänschen herum hatte Peire die Schafe seiner geliebten Hirtin weiden sehen, ihren Schäferkarren aber und sie selbst konnte er nicht erspähen und vermuthete nur, daß sie sich hinter dem wilden Lorbeerbusch, der den Rücken der Capelle überwucherte, verborgen hielt, um den Zug zu sehen, ohne sich selber sehen zu lassen. Auch war ein Laut von daher gedrungen wie eines knurrenden Hundes, dem man das Maul zuhält, um ihn still zu machen. Desto lauter hatten die Schafe, die mit sichtbarem Mißvergnü­gen das saure Gras abnagten, die pracht­vollen Menschen und Pferde augeblökt.

Nun sank die Nacht schon herein, und im nahen Busch fing eine Nachtigall an so weich und schmachtend zu schlagen, daß dem einsamen Ritter das Herz vor Sehn­sucht und stiller Wonne schwoll. Zugleich aber war es ihm nicht ganz geheuer da­bei, daß er jetzt vor das schlichte Kind hintreten und es auf Tod und Leben be­fragen sollte, wie es zu ihm gesinnt sei. Denn es stand ihm in seinen Gedanken so hoch wie das vornehmste Edelfräulein, und viel weniger hatte er sich vor einem Korb gefürchtet, als er bei der schönen Germonde sein Gewerbe anbrachte, denn

'kaufte Gesang. 19

jetzt, da er Hand und Herz der Hirtin anznbieten kam. Wie er aber dem Ca- pellchen ganz nahe gekommen war, sah er Viernetta auf der kleinen Bank davor eingeschlafen, und sie schien ihm jetzt, ob­wohl er von all' den hochzeitlich ge­schmückten Damen kam, noch tausendmal lieblicher als je zuvor. Sie hatte ein Stück schwarzes Brot in der Hand, in welches sie eben eingebissen zu haben schien, ehe sie, von kummervollen Gedan­ken abgelenkt, darüber einschlief. Denn auf ihren bräunlichen Wangen schimmerte es wie ein leichter Than, und im Schlaf erschütterte dann und wann ein Schluchzen ihre junge Brust, und das Hemd, das sie verhüllte, schien naß geweint. Esparviers hatte sich wedelnd herangeschlichen, als ob er seinen wohlbekannten alten Freund fra­gen wollte, was der Herrin denn so das Herz abdrücke. Der aber betrachtete ge­rührt das gute Wesen und wagte nicht gleich, sie zu wecken. Als er sich aber sacht neben sie auf die Bank setzte, fuhr sie erschrocken auf und wollte, da sie ihn erkannte, hinwegeilen. Er hielt sie aber sanft und uöthigte sie, wieder neben ihm niederzusitzen, worauf eine gute Weile Keines ein Wort sprach. Er sah wohl, daß ihre Augen trübe waren, und ihre alte Munterkeit hatte sie ganz verlassen.

Herr," sagte sie endlich,was suchet Ihr hier außen?"

Meine Frau!" versetzte er.

Da müßt Ihr ins Hochzeitshaus zu­rückkehren."

Das will ich auch, Viernetta. Du aber sollst mich begleiten; denn es ist kein Hochzeitshaus, worin die Braut fehlt."

Herr, sie ist droben auf dem Schloß und wird Euch vermissen."

Nein, Kind, sie ist hier beim Galgen- capellchen, und ich merke freilich, daß sie ' mich ein wenig vermißt hat, da ihre Augen noch ganz roth sind vom Weinen."

!Ihr spottet meiner," sagte die Hirtin,

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