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Hrrschfcld: Drc L-culpturen von Pergamon.
zogen, die überhaupt Verständniß für antike Kunst hatten. Und mit Recht: denn abgesehen von dein absoluten Werthe dieser Werke war man auch erst einige Jahre vorher wieder nachdrücklich auf die pergamenische Kunstschule hingewiesen worden, nachdem H. Brunn im sterbenden Fechter des Capitols, in der „Arria und Paetus" genannten Gruppe der Villa Ludovisi und in sieben bis acht anderen Statuen in Venedig, im Vatican, in Neapel und in Frankreich Werke der perga- menischen Zeit und zwar Bestandtheile umfangreicher, von Pergamenischen Königen
zeichnen dürfen. Mit dem allgemeinen Begriff, den wir mit dem Wort „Antike" zu verbinden pflegen, war da so wenig auszukommen wie etwa beim Laokoon, dem zeitlich so lange räthselhafteu, beim farnesischen Stier und so vielen anderen äußerlich pathetischen und doch noch lebendig und innerlich entwickelten Werken, für welche das Auge erst allmälig ansing sich zu schärfen.
So empfing ich für meine größere kleinasiatische Reise im Jahre 1874 von der Generaldirection des Berliner Museums den Auftrag, mich auch in Pergamon um-
Sterbender Gallier. (Rom, Capitol.)
geweihter Kampfesgruppen nachgewiesen hatte.* In Pergamon, so fühlte mau seitdem, ist neben anderen Eigenthümlich- keiten ein neues Moment in die Plastik gedrungen und entwickelt worden, das wir kurz als rhetorisches Pathos** be-
* Vergleiche rlnnali cioil' institnto Ui oorri- 8ponäsima Äl'LlisolvA. 1870, S. 292 ff.; s- auch I. Overbeck, Geschichte der griechischen Plastik II, Fig. 95. Der sterbende Gallier und der andere, welcher, verfolgt, erst sein Weib getödtet hat und mm Hand an sich selber legt, sind hier abgebildet (j. S. 29 u. 31), einmal, um mehrere der Haupterzeugnisse der pergamenischen Kunstepoche im Zusammenhänge vorzuführen, und dann, weil dieselben auf einen Schlag zeigen werden, welchen leidenschaftlichen und natnrwahren Charakter die betreffenden Gruppen gehabt haben.
** Ich nenne dies Pathos rhetorisch, nicht in schlechtem Sinne; pathetisch, was zugleich eine größere oder geringere Leidenschaftlichkeit in sich begreift, ist
Zusehen, und im Juli desselben Jahres habe ich den Auftrag erfüllt.
Drei Stunden östlich von der äolischen Küste,* oberhalb des gesegneten Thales des Kaikos, des nördlichsten der Parallelflüsse an der kleinasiatischen Westküste, steigt ein oblonger Kegel, ein siösp sch öpLärn ch/rriPch'M', wie
Strabo sagt, fast 1000 Fuß hoch empor, nur nach Süden fällt er gelinder ab, im Osten und Westen wird er durch
auch z. B. schon die so viel frühere Niobe. Ich habe hier die Bezeichnung hauptsächlich deshalb gewählt, weil sich das Pathos der pergamenischen Werke, zumal der neu gefundenen, ausdrücklich an die Außenwelt wendet und auf sie berechnet ist. Etwas Mißliches behält ja freilich jedes Schlagwort.
* Vergl. die Kartenskizze S. 33, nach der Karte Carl Humann's zu vr. C. v. Scherzer's „Smyrna". Wien 1873.