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Willen! — „und das Besondere, wie es innerhalb dieses Gesetzes sich regt und verwirklicht. Sie giebt das Bild der von einen: Mittelpunkt aus sich entfaltenden, im Kampfe sich versöhnenden, zum Ganzen sich formenden Kräfte der Natur wie des Geistes" u. s. w.
Wenn nun Carriere in seiner Aesthetik von der Musik in einer Weise spricht, welche eine wissenschaftliche Behandlung ihrer Kunstsormen und -Gesetze fast als überflüssig erscheinen läßt, so ist ihn: andererseits die Mnsikwelt doch zu großem Danke verpflichtet, daß er zuerst den Zusammenhang der Tonformen (wie sie der musikalische Geist gebildet hat) mit den Zeitideen in klarer Sprache dargelegt hat. Er hat allerdings auch hier öfters seiner Phantasie mehr freien Flug gegönnt, als die geschichtliche Forschung eigentlich erlaubte,* jedoch auch eine Fülle geistreichster und belehrender Anregungen geboten und eine tiefe Kenntniß der Musikgeschichte und -Literatur bekundet, die von warmer Liebe und gründlichem Studium zeugt.
Zu den wissenschaftlichen Werken, welche die Musik als die bestimmte Sprache des Gefühls darstellen, müssen hier noch einige gezählt werden, welche eigentlich mehr die Musiklehre und die Beziehungen der Tonkunst zum Leben als die Aesthetik der Tonkunst behandeln, aber den obenerwähnten Standpunkt so entschieden fest- halten, daß sie als ein integrirender Theil der absoluten Gefühlstheorie-Schule zu betrachten sind. In H. Krüger's Buche:
^ „Wie das Volksepos, sieht Händel im Menschengeschick das Walten Gottes „^die sittliche Welt- ordnung." Wo die Ilias oder das Wbelnngen- lied eine sittliche Wcltordnung darstellen, dürfte sehr schwer darzulegen sein, und ich mache mich anheischig, für eine Stelle, aus der sich dergleichen herauslesen ließe, zehn andere anzuführen, welche das Gegentheil, das reine Machtwalten der Götter oder der menschlicher: Leidenschaften, ganz deutlich dar- stetlen. Händel war ein frommer und edler Mann, aber vor Allem ein unendlich großer Musiker und eine Krastnatur, daher konnte ihm ebenso gut das „Aleranderfest" gelingen als „Israel" und „Messias", Darum hat er, so lange er weltliche Opern für die englische Aristokratie schrieb, ebenso wunderbare Arien geschaffen als später, da die Verhältnisse ihn bewogen, sich zum Oratorium zu wenden und ihr: erst über seine eigentliche Mission klar werden ließen, lieber die „sittliche Weltordnung" nachzudenken, fehlte ihm die Zeit bei seiner riesenhaften Thütigkeit,
che Monatshefte.
„Beiträge zum Leben und zur Wissenschaft der Tonkunst", besonders aber in seinem „System der Tonkunst", ist das Princip vom Inhalt bestimmter Gefühle aus die höchste Spitze getrieben und sind die mystischen Anschauungen der romantischen Philosophie, als deren Haupt Schelling zu betrachten, bis in die Einzelheiten entwickelt. Nichtsdestoweniger sind die beiden Werke sehr werthvoll; durch die umfassende gründlichste Kenntniß aller Zweige der Tonkunst und durch den sittlich streu-' gen, aber wohlthuenden Ernst, der sich überall kuudgiebt, wirken sie anregend auch auf den Leser, der mit vielen Ansichten nicht übereinstimmt. Es ist nicht möglich, in der Kunst nur eine gewisse Richtung und den höchsten Standpunkt gelten zu lassen und nicht auch manchen weniger hochstehenden Gattungen die Berechtigung zuzugestehen, ohne einseitig zu werden; wie im organischen Leben ein ewiges Werden und Vergehen vorwaltet und mancher Zersetzuugsproceß zu neuem Entstehen führt, so auch in der Kunst. Das Ideal soll dem Künstler und dein Beurtheiler immer heilig bleiben; aber alle Erscheinungen lassen sich nicht nach dem einen idealen Maßstabe beurtheilen noch auch andererseits verurtheilen, weil sie ihn: nicht entsprechen!
Das Buch vou A. B.Marx: „Die Kunst des neunzehnten Jahrhunderts und ihre Pflegemethode der Musik", ist ein sehr schön geschriebenes, anziehendes Werk, gehört aber nach meiner Ueberzeugung zu jenen, welche dem wissenschaftlich Vorbereiteten wenig Neues, dagegen dem Unvorbereiteten manche Gefahr bringen, weil in ihnen zu oft die enthusiastische Phrase an die Stelle der wissenschaftlichen Erörterung tritt. Allerdings darf nicht unerwähnt bleiben, daß es im Jahre 1855 erschienen ist, in einer Zeit, wo fast alle geistigen Interessen sich in die musikalischen coneen- trirten, und daß zu jener Zeit Hanslick's Studie noch nicht veröffentlicht sein konnte — es geschieht derer: mit keiner Silbe Erwähnung. Ich kann hier nur die Capitel in Betracht ziehen, welche sich mit der Wesenheit der Musik beschäftigen; und in diesen findet sich neben vielem Geistreichen doch viel Bedenkliches, was heute selbst von den Anhängern der reinen Gefühlstheorie nicht mehr vertheidigt