Ehrlich: Die musikalisch-ästhetische Literatur ;crt 1850. 127
phone Stimmführung entstanden sind, durch den freien aber künstlerisch entwickelten Gang jeder einzelnen Stimme, nicht durch ein willkürliches, jähes, unmotivirtes Neber- springen von einem Accorde auf einen anderen ganz fremden, wie es in neuer Zeit und mit Hinweis auf jene letzten Compositionen des großen Meisters oft vorkommt. Eines der stärksten Argumente gegen solche falsche Anschauung von der „Wetterführung des von Beethoven angezeigten Weges" läge in dem Nachweise des logischen Ganges der einzelnen musikalischen Ideen Beethoven's in seinen letzten Werken, — abgesehen davon, daß große Gedanken ihren eigenen Weg gehen dürfen, während ein an sich unbedeutender durch ungewöhnliche und unznsammenhän- gende Wendungen doch nie als originell und groß erscheinen wird. Diese Darlegungen und Nachweise durften von Marx erwartet und gefordert werden, der hierzu alle Eigenschaften in vollem Maße besaß. Wahrscheinlich hat er in dem Streben, immer populär und verständlich zu sein, jede zu weitläufige und eingehende, nur directen Fachkenntnissen verständliche Analyse vermieden; auch mögen ihm von Seiten des Verlegers gewisse Grenzen des Umfanges gestellt worden sein. So läßt denn der letzte — wichtigste — Theil der Biographie gar Vieles zu wünschen übrig. Und die „Kurze Andeutung der Tonformen" kann bei einem Manne wie Marx nur als ein Zuge- ständniß an die Menge betrachtet werden. Viel bedeutender in Forschung und in Behandlung des Stoffes ist die Biographie Glnck's. Wenn auch der Anhang: „Der Charakter der Tonarten", manches Bedenkliche enthält, so hat doch das ganze Werk eine wissenschaftliche Grundlage und Haltung. Hier ist auch Schmidt's früher erschienenes Werk über denselben Gegenstand anerkennend zu erwähnen. Es ist ein treffliches, von wahrem Ernste getragenes, nur etwas steif geschriebenes Buch; auch weniger umfangreich wie das von Marx.
Thayer's Biographie Beethoven's ist nicht ein musik-, sondern mehr ein cnltnr- geschichtliches Werk, in welchem alle Angaben, die auf das Leben des hohen Meisters, sowie auf die künstlerischen und gesellschaftlichen Verhältnisse seiner Zeit
Bezug haben, mit einer nicht genug zu lobenden Sorgfalt und Gründlichkeit gesammelt, geprüft, gesichtet und zufammen- gefaßt sind. Thayer hält nicht bloß seine Darstellung frei von allen romantischen Beigaben, die in den Lebensbeschreibungen Beethoven's nur zu viel Platz hatten, sondern er prüft mit scharfem Äuge und mit unbarmherziger Zergliederung manche Erzählungen, die bisher als vollkommen wahrheitlich betrachtet waren, und bringt sie auf das -richtige Maß der Glaubwürdigkeit zurück; so das Verhältniß Beethoven's zu seiner Schwägerin, der Mutter des von ihm heißgeliebten Neffen, und die bekannten Briese an die Gräfin Giuletta Gnicciardi, später verehelichte Gräfin Falkenberg. Der Stil des Buches ist allerdings ein solcher, der das große Publikum nicht anzieht, aber das Werk, das nunmehr hoffentlich bald beendet sein wird, ist dennoch ein ganz vortreffliches und wird für die Lebensgeschichte Beethoven's immer die zuverlässigste Quelle bleiben.
Ich neune ferner die Biographie Beethoven's von Nohl, die viele sehr interessante Daten und Anekdoten über die Zeitverhältnisse bringt, aber durch ihren überschwänglichen Stil und durch das Betonen alles Romanhaften mehr der schöngeistigen Literatur beigezählt werden muß. Schindler's Buch über Beethoven ist heute veraltet. Unter den vielen Musiker-Biographien, welche in den letzten Jahren erschienen sind, zeichnen sich Jähns' „Weber in seinen Werken" und die bereits genannte treffliche, von M. M. v. Weber geschriebene Biographie seines Vaters aus; das zuerst angeführte Werk durch gründlichste Forschung und Anordnung, das andere durch klare, liebevolle und doch von jeder Prunkrednerei ferngehaltene Darstellung.
In dem Buche über I. S. Bach's Söhne hat Bitter sich das Verdienst erworben, daß er diesem so interessanten Gegenstände znm ersten Mal ausführliches Studium widmete und der Musikgeschichte einen sehr schätzenswerthen Beitrag bot. Wasielewsky's Biographie Schnmann's ist ein sehr edel gehaltenes und gut geschriebenes Buch. Karasowsky's „Chopin" ist bei weitem nicht so interessant und enthält weniger glänzende Schilde
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