LMM
Adolf Wilbraiidt.
Ein literarisches Porträt
von
Eugen Zabel.
!s gehört zu den erfreulichsten Erscheinungen unserer modernen Literatur, daß das Erbe unserer Classiker nicht nur von Literatursorschern und Kritikern, sondern auch von unseren Dichtern in einer Weise hochgehalten wird, die es recht eigentlich als Lichtstrom idealer Anschauungen durch den Körper unseres nationalen Lebens treibt und in seinen Nachwirkungen überall als bildendes und sittigendes Element zeigt. Dem Hnmanitätsideal Schiller's und Gvethe's nachzutrachten, wird von dem Geringsten unter den Nachstrebenden als Ehre und Pflicht angesehen, und wenn die Ausführung einer ästhetischen Erziehung des Menschengeschlechts auch noch in weite Ferne gerückt erscheint, so liegen doch hier die Quellen der harmonischen Gestaltung unseres Daseins, zu denen jede feinere Natur wieder zurückkehren wird, sobald es sich um Erquickung und Labung für die Erfüllung der Gebote pflichtenstrengen Ernstes handelt.
Dem Dichter wird es, unbeschadet der Eigenart, die durch seine schöpferischen Organe bedingt ist, immer zum Segen gereichen, wenn er sich dieser vorbildlichen Bedeutung, die in den Werken unserer Geistesheroen liegt, bewußt bleibt. Was ein Künstler sei im Gegensatz zum bloßen Tendenzmacher, der sich ein Poetisches Mäntelchen nur leicht umgehängt hat, wird man nirgends besser als ans
Weimars elastischem Boden stndiren, und dieses Studium wird einen festen Halt geben gegen den Ansturm, den eine vielfach zerstreute, von politischen und socialen Interessen erfaßte Zeit gegen die reinen Formen des dichterischen Schaffens unternimmt. Es giebt in der That keine höhere , Aufgabe für den Künstler, der mit Worten bildet und malt, als von den Zufälligkeiten des Lebens abzusehen und nach Schiller's Behauptung „ein Bild des unendlichen All in des Augenblicks flüchtig verrauschenden Schall" zu drücken.
Das Zeugniß, daß er Künstler und nur Künstler sei, wird man einem unserer jüngeren, durch Frische, Beweglichkeit und Bielseitigkeit ausgezeichneten Schriftsteller, Adolf Wilbrandt, mit einem besonderen Nachdruck ausstellen müssen. Sobald er die ersten Keime dichterischer Begabung an sich bemerkte, hat er fleißig gearbeitet, dieses Talent in seinem Kerne zu erfassen und von hier aus in reicher Weise auszugestalten. Keine anderen Interessen haben ihn von dieser Thätigkeit ablenken können, weder ein Amt noch der so verlockende Journalismus. Er hat immer nur danach gestrebt, dem Gott, der ihm im Busen lebt, wohlgefällig zu erscheinen, und wenn der Opferdienst in einzelnen Fällen mehr oder weniger glückte und sich die Flamme zuweilen trübte, so hat er doch niemals das Ziel gänzlich verfehlt ^ und nach gelegentlichen Abschweifungen
Monatshefte, N. ü! 1 L. — April 1881. — Alerte Folge, Bv. VI. 31 .