Issue 
(1881) 295
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Jllustrirte Deutsche Monatshefte.

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imnier gewußt, zu dem Ausgangspunkte seiner feiugliederigeu Dichternatur zurück­zukehren.

Adolf Wilbraudt ist zu Rostock am 24. August 1837 als Sohn des Pro­fessors der Aesthetik und neueren Litera­tur au der dortigen Universität, Christian Wilbraudt, geboren und hat daselbst auch seine Gymnasialbildung genossen. In dem wiesen- und seenreichen Lande Mecklen­burg, dessen Bewohner sich mit heiterem Lebenssinn das Dasein erringen, ist stets Platz gewesen für die verschiedensten Be­gabungen, für einen volksthümlichen Hel­den wie Blücher und für einen Schlachten- denkervondervornehmenHaltungMoltke's, und so haben hier auch zwei so verschiedene Erscheinungen wie Fritz Reuter und Adolf Wilbrandt ihren Ursprung nehmen können, der Eine unser größter Humorist seit Jean Paul, ein Dialektdichter, über­sprudelnd von Natur und Ursprünglichkeit, der Andere ein Kunstpoet von vielseitiger Bildung und zierlichem Schliss der Form. Daß Beide eine gemeinsame Abstammung haben, verrathen sie übrigens durch den von Herzen kommenden Humor, der sich dort in dem kecken Zngreifen nach dem Znnächstliegenden, in der kühnen Bild­lichkeit des Ausdrucks allerdings ganz anders als hier, wo er sich als Würze geistiger Ueberlegenheit giebt, entwickelt hat.

Dem Wunsche seines Vaters folgend, sollte Wilbrandt, als er die Universität in Rostock bezog, Rechtswissenschaft stu- diren, aber bald zog es ihn, namentlich als er nach Berlin gekommen war, zur Philosophie hinüber, und später trat hierzu in München noch die Kunstwissenschaft und Geschichte, letztere in Sybel's histo­rischem Seminar, aus dem so viele tüchtige und gewandte Männer hervorgegangen sind. So sehen wir den jungen Mann, in dem die Phantasie die Schwingen zum ersten Fluge auszubreiten begann, eifrig bemüht, sich das Maß positiven Wissens anzueignen, ohne welches heut­zutage das dichterische Schaffen sich des tieferen Einflusses auf die Zeitgenossen nothwendig begeben muß. Wer sich in eine Naivetät hineinlügen will, die bei den eigenthümlichen Voraussetzungen un­serer Periode nicht mehr ausrecht zu er­halten ist, verräth dadurch nur seine Schwäche, an der er über lang oder kurz

zu Grunde gehen muß. Der echte Poet wird es vielmehr als seine Aufgabe be­trachten, sich in dem Weltprocesse, der sich immer mehr mit Bewußtsein vollzieht, möglichst wachen Geistes zu erhalten, um einen Führer zur Hand zu haben, der das in der Nacht des Unbewußten ge­bärende Talent sänftigt, wenn es zu wild tobt, und aufstachelt, wenn es einzuschlasen droht. Solche geistige Befruchtung ist aus Wilbrandt in den Studienjahren reich­lich herabgefallen, aber sie war in Be­tracht des dichterischen Berufs, dem er­sieh zuwendeu wollte, nicht die gewichtigste. Letzterer verlangte nicht nur ein Lernen, sondern auch ein Vergessen, ein Umschmel­zen und Umformen des ganzen inneren Menschen, aus dem ja nicht ein abstracter Gelehrter und kein auf den Schlag der Dienstuhr lauschender Beamter, sondern ein Künstler werden sollte, dessen Sinne sich dem heiteren Farbenzauber erschließen mußten, der der Phantasie als Nahrung dient. Es kann keine Frage sein, daß dieser Proceß, die Welt dichterisch ansehen zu lernen, der denkbar wichtigste in dem Jünglingsalter ist und daß von seinem Gelingen alles Uebrige abhäugt. Auf dem Bildungsgänge eines Deutschen müssen die Wege, die zu einer sinnlichen An­schauung der Dinge führen, erst künstlich gebahnt werden. Wir wachsen mit lauter Begriffen auf, die ohne unmittelbare Vorstellung leer bleiben und dem eigent­lichen Leben gegenüberstehen wie etwa ein Skelet einem beseelten Leibe. Un­zweifelhaft ist der Aufenthalt in München und die Theilnahme an dem Knnsttreiben in der Jsarstadt von schnellem Einfluß darauf gewesen, daß die feste Materie in Wilbrandt in Fluß kam. Hier grüßten ihn die elastischen Gestalten der Antike, um ihm den Sinn für das Hohe und Ideale einzuflößen, hier umgab ihn in den Galerien eine bisher nicht geahnte Anschauungssülle, und hier lud ihn end­lich die Natur lächelnd ein, in ihren sanften Armen auszuruhen, wenn er sich an der Hand der Wissenschaft zu weit von ihr entfernt hatte, durch Berg und Wald zu schweifen und auf die Eingebungen zu lauschen, die leise mahnend an sein Ohr drangen.

Unser Dichter wäre aber kein Mann und kein Kind seiner Zeit gewesen, wenn