Issue 
(1881) 295
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Zabel: Adolf Wilbrandt.

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ihn die damaligen Strömungen der Politik kalt gelassen hätten. Ueberall gährte es in der Aufstellung nationaler Pläne zur Begründung eines deutschen Einheits­staates und zur Bekämpfung kirchlicher und politischer Reaction. Auf den beiden Zusammenkünften in Eisenach im Juli und August 1859 hatten es die unter dem Vorsitz R. v. Bennigsen's abgehaltenen Versammlungen ausgesprochen, daß eine Hegemonie Preußens zur einheitlichen Ge­staltung unseres Vaterlandes Noth thue. Der Gedanke zündete sofort und schlug zu Hellen Flammen der Begeisterung auf, als die Feier der hundertjährigen Geburt unseres nationalsten Dichters, Schiller, Alles, was sich in der ganzen Welt deutsch nannte, unter dem Panier des Vaterlandes und der Freiheit ver­sammelte. In Baiern, wo die Bewegung lebhaft nachzitterte, war es namentlich Karl Brater, ein Pnblicist von makel­loser Persönlichkeit und umfassendem Wissen, der ein neues politisches Blatt, dieSüd­deutsche Zeitung", in den Dienst des Nationalvereins stellte. An dieser Zeitung als Mitredaeteur theilzunehmen, war für Wilbrandt ein Gebot des patriotischen Mitgefühls, und so sehen wir denn Letz­teren zwei Jahre lang, 1859 bis 1861, an den Freuden und Leiden, Sorgen und Ueberraschungen, Aufregungen und An­nehmlichkeiten betheiligt, an denen die Arbeit an einem Redactionstische so über­aus fruchtbar ist. Aber die Wanderjahre verlangten ihr Recht, denn 1862 finden wir Wilbrandt in Berlin, und den Fünf- undzwanzigjährigen trieb es schon jetzt zum Ernst und zur Vertiefung. Sein erster Versuch, sich ans Dauernde zu ge­wöhnen, sollte sich trefflich bewähren.

In Berlin war es nämlich, wo ihm das Bild des originellsten, productivsten und unglücklichsten unter den dichterischen Vertretern der deutschen Romantik in immer schärferen Zügen entgegentrat und ihn gleichsam nöthigte, eine lang vergessene Ehrenschuld unserer Nation einzulösen. Fast ein halbes Jahrhundert war ver­flossen, seitdem die in selbstmörderischer Absicht abgeschossene Kugel am Wansee bei Potsdam das Herz Heinrich v. Kleist's durchbohrt und damit den Mann dahin­gerafft hatte, der wie kein zweiter nach den Grvßthaten unserer classischen Dichter

ein Wort in Sachen des Dramas mit reden durfte. Aber der Genius unseres Volkes verleugnete diesen seinen ebenso treuen wie beklagenswerten Sohn, ließ seine letzte Ruhestätte einem unwürdigen Verfall entgegengehen, seine Dramen in den Theaterbibliotheken modern. Das Wenige, was Kleist's persönliche Freunde, wie Tieck und Bülow, gethan hatten, um das Andenken des genialen Dichters zu ehren, blieb auf einen kleinen Kreis beschränkt. Da war es ein schöner Ge­danke Wilbrandt's, aus den verkannten und unbekannten Kleist jene Principien gründlicher methodischer Forschung und glänzender wirkungsvoller Darstellung an­zuwenden, die sein Lehrer Sybel vom Universitätskatheder verkündet hatte. Es gelang ihm, ein würdiges Denkmal des Schöpfers derHermannsschlacht" in sei­nem BucheHeinrich von Kleist" im De- cember 1862 zu vollenden und damit die erste wissenschaftliche und erschöpfende Monographie seines Helden zu geben. Das Werk ist ebenso bedeutend wegen des wissenschaftlichen Apparates, der darin in Bewegung gesetzt wird, wie wegen der geschmackvollen Darstellung und der ruhi­gen sachlichen Kritik, die bei einem Jüng­ling Wunder nehmen muß. Wer sich so gründlich in seinen Gegenstand vertiefen und ihn doch so sicher beherrschen konnte, der mußte ein Gelehrter sein; wer die geheimnißvollen Beziehungen eines so merkwürdigen Dichterlebens so fein nach­empfinden konnte, mußte selbst ein Dichter sein. So halfen sich Wissen und Können, Bewußtes und Unbewußtes bei Wilbrandt ans und sicherten ihm ein Talent, das ihm einen bleibenden Namen in unserer Literatur verschafft hätte, auch wenn seine poetischen Schöpfungen ohne Lebenskraft geblieben wären.

Es sei hier gleich der Ort, auch der übri­gen biographischen Schriften Wilbrandt's vorwegnehmend zu erwähnen. Keine er­reicht die Bedeutung dieser Jugendarbeit, da sich der Schwerpunkt seines Wesens immer mehr in die Poesie verlegte, aber sie sind deshalb nicht minder beachtens­wert und legen Zeugniß von der schönen Wärme ab, mit der er sich in die Eigen­tümlichkeiten bedeutender Menschen ein­zuleben wußte. Der hundertjährige Ge­burtstag Hölderlin's veranlaßteihn (1870),

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