Issue 
(1881) 295
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Illustmrtc Deutsche Monatshefte.

dem Gedächtuiß eines der formschönsten und eigenartigsten Poeten das Werk: Hölderlin. Der Dichter des Pantheis­mus" zu widmen, ein Versuch, der bestens gelang, indem die frühere, vielfach ein­seitige Darstellung Alexander Jung's hier­durch in lebensfrischer Weise berichtigt und ergänzt wurde. Galt es hier den Jdeenkreis einer von schwärmerischem Idealismus getragenen Poetennatur zu durchmesfen, so handelt es sich in der biographischen Einleitung zu Johannes Kugler'sIm Fegefeuer" (1874) um eiue Freundespflicht, die Wilbrandt nicht nur mit der Feder, sondern auch mit dem Herzen erfüllte. Johannes Kugler, der Sohn des berühmten Kunsthistorikers, ein Malerpoet, dessen Dvppelbegabung un­zweifelhaft war, aber in einem zu schwachen Gefäß stak, um sich voll entwickeln zu können, war mit seinem Biographen eng befreundet, und sein tragischer Tod er nahm sich in Verzweiflung über die Un­möglichkeit, sich in das Dasein finden zu können, selbst das Leben wurde von letzterem als eine Mahnung aufgefaßt, das Martyrium eines Menschen zu schildern, der durch seine höchsten und besten Stun­den stets sein Leiden vermehrt, bei jeder großen Anspannung seines Ehrgeizes auch den Dämon seiner Krankheit aufweckt und sein edles, eigentliches Ich nur auf Kosten seiner Lebenskraft zu entwickeln vermag". Hierher gehört endlich dieBiographische Studie über Fritz Reuter", seinen großen Landsmann, im vierzehnten Bande der gesammelten Werke desselben, in der sich Wilbrandt zur künstlerischen Höhe des Essays erhebt und, obwohl er lediglich Wahrheit ohne Dichtung giebt, doch in der Durchdringung und Belebung des Stoffes als Dichter verfährt. So füh­ren selbst die wissenschaftlichen Arbeiten Wilbrandt's auf seine Poesien zurück, die den getreuesten und unmittelbarsten Ab­druck seiner Seele bilden und in den ver­schiedensten Formen, in lyrischen Gedichten, Erzählungen und Dramen, den Schatz unserer Nationalliteratur bereichern sollten.

Am wenigsten sind vielleicht dieGe­dichte" (Wien 1874) geeignet, uns in die Persönlichkeit Wilbrandt's einzuführen, da ihm die Gabe, den Ton einer rein lyrischen Stimmung zu treffen, nicht in besonders reichem Maße verliehen war.

Sein ganzes Naturell lebt und webt zu sehr in einer Welt des Gedankens, um sich nicht durch eine Form beengt zu füh­len, die durch eine einfache Empfindung ausgefüllt werden und dem Ohre einen rein klingenden Accord zuführen soll. Wilbrandt wird durch sein formelles Ge­schick, das sich bei ihm schon früh zur Virtuosität ausbildete, veranlaßt, sich in den verschiedensten Tonarten zu versuchen, und wäre vielleicht im Stande, heute ein Gedicht im Stile Schiller's, morgen ein Gedicht im Stile Gvethe's zu schaffen. Eine solche Gewandtheit kann aber den Mangel an eigener Erfindung, die zu einer neuen Melodie in die Saiten greift, nicht ersetzen. Bei alledem ist der Inhalt stets ein reiner und von Lebensblüthen aller Art erfüllt, an die sich keine Roh­heit oder Geschmacklosigkeit wagt. Am besten gelingen ihm die mehr betrachten­den Gattungen der Lyrik, Ode und Hymne, unter denen sich mancher glückliche Wurf findet. Auch an Sentenzen und Sprüchen fehlt es nicht, und folgenderStoßseufzer" giebt die Sehnsucht des Dichters von der Abstraction zur concreten Fülle des Lebeus anschaulich wieder:

Lies dich nur über Büchern krumm, lieber alten und neuen Geschichten!

Du wirst davon nicht klug, nicht dumm.

Das Unerkannte lernst du richten,

Des Geistes Hülsen dir zu Hausen schichten: Dein Herz bleibt stumm,

Und dieses Herz wird dich zu Grunde richten."

In einer größeren epischen Erzählung, König Otto's Haus", versuchte es Wilbrandt, den Anfstand und Kampf Ludolfs gegen Otto den Großen, seinen Vater, in jener getragenen breiten Malerei darzustellen, die Nhland so meisterhaft gelungen ist. Doch fehlen zum Gelingen dieses Vorhabens die inneren Bedingun­gen, das heißt der Drang einer Natur, die an dem Stoß und Schlag der That Gefallen findet und in den Wechselfällen einer dramatischen Bewegung ein Spiegel­bild von den Vorgängen in der eigenen Brust erblickt. Dagegen kündigte sich in den Gedichten ein anderes Talent an, das sich bald in der erfreulichsten Weise bethätigen sollte, wir meinen das Talent sprachlicher Dolmetschung, welches die Völkerstimmen der Erde zu einem wun­derbaren Weltgespräch am deutschen Herde vereinigt. Diese Gabe schaffte sich in den