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Illustmrtc Deutsche Monatshefte.
dem Gedächtuiß eines der formschönsten und eigenartigsten Poeten das Werk: „Hölderlin. Der Dichter des Pantheismus" zu widmen, ein Versuch, der bestens gelang, indem die frühere, vielfach einseitige Darstellung Alexander Jung's hierdurch in lebensfrischer Weise berichtigt und ergänzt wurde. Galt es hier den Jdeenkreis einer von schwärmerischem Idealismus getragenen Poetennatur zu durchmesfen, so handelt es sich in der biographischen Einleitung zu Johannes Kugler's „Im Fegefeuer" (1874) um eiue Freundespflicht, die Wilbrandt nicht nur mit der Feder, sondern auch mit dem Herzen erfüllte. Johannes Kugler, der Sohn des berühmten Kunsthistorikers, ein Malerpoet, dessen Dvppelbegabung unzweifelhaft war, aber in einem zu schwachen Gefäß stak, um sich voll entwickeln zu können, war mit seinem Biographen eng befreundet, und sein tragischer Tod — er nahm sich in Verzweiflung über die Unmöglichkeit, sich in das Dasein finden zu können, selbst das Leben — wurde von letzterem als eine Mahnung aufgefaßt, das „Martyrium eines Menschen zu schildern, der durch seine höchsten und besten Stunden stets sein Leiden vermehrt, bei jeder großen Anspannung seines Ehrgeizes auch den Dämon seiner Krankheit aufweckt und sein edles, eigentliches Ich nur auf Kosten seiner Lebenskraft zu entwickeln vermag". Hierher gehört endlich die „Biographische Studie über Fritz Reuter", seinen großen Landsmann, im vierzehnten Bande der gesammelten Werke desselben, in der sich Wilbrandt zur künstlerischen Höhe des Essays erhebt und, obwohl er lediglich Wahrheit ohne Dichtung giebt, doch in der Durchdringung und Belebung des Stoffes als Dichter verfährt. So führen selbst die wissenschaftlichen Arbeiten Wilbrandt's auf seine Poesien zurück, die den getreuesten und unmittelbarsten Abdruck seiner Seele bilden und in den verschiedensten Formen, in lyrischen Gedichten, Erzählungen und Dramen, den Schatz unserer Nationalliteratur bereichern sollten.
Am wenigsten sind vielleicht die „Gedichte" (Wien 1874) geeignet, uns in die Persönlichkeit Wilbrandt's einzuführen, da ihm die Gabe, den Ton einer rein lyrischen Stimmung zu treffen, nicht in besonders reichem Maße verliehen war.
Sein ganzes Naturell lebt und webt zu sehr in einer Welt des Gedankens, um sich nicht durch eine Form beengt zu fühlen, die durch eine einfache Empfindung ausgefüllt werden und dem Ohre einen rein klingenden Accord zuführen soll. Wilbrandt wird durch sein formelles Geschick, das sich bei ihm schon früh zur Virtuosität ausbildete, veranlaßt, sich in den verschiedensten Tonarten zu versuchen, und wäre vielleicht im Stande, heute ein Gedicht im Stile Schiller's, morgen ein Gedicht im Stile Gvethe's zu schaffen. Eine solche Gewandtheit kann aber den Mangel an eigener Erfindung, die zu einer neuen Melodie in die Saiten greift, nicht ersetzen. Bei alledem ist der Inhalt stets ein reiner und von Lebensblüthen aller Art erfüllt, an die sich keine Rohheit oder Geschmacklosigkeit wagt. Am besten gelingen ihm die mehr betrachtenden Gattungen der Lyrik, Ode und Hymne, unter denen sich mancher glückliche Wurf findet. Auch an Sentenzen und Sprüchen fehlt es nicht, und folgender „Stoßseufzer" giebt die Sehnsucht des Dichters von der Abstraction zur concreten Fülle des Lebeus anschaulich wieder:
„Lies dich nur über Büchern krumm, lieber alten und neuen Geschichten!
Du wirst davon nicht klug, nicht dumm.
Das Unerkannte lernst du richten,
Des Geistes Hülsen dir zu Hausen schichten: Dein Herz bleibt stumm,
Und dieses Herz wird dich zu Grunde richten."
In einer größeren epischen Erzählung, „König Otto's Haus", versuchte es Wilbrandt, den Anfstand und Kampf Ludolfs gegen Otto den Großen, seinen Vater, in jener getragenen breiten Malerei darzustellen, die Nhland so meisterhaft gelungen ist. Doch fehlen zum Gelingen dieses Vorhabens die inneren Bedingungen, das heißt der Drang einer Natur, die an dem Stoß und Schlag der That Gefallen findet und in den Wechselfällen einer dramatischen Bewegung ein Spiegelbild von den Vorgängen in der eigenen Brust erblickt. Dagegen kündigte sich in den Gedichten ein anderes Talent an, das sich bald in der erfreulichsten Weise bethätigen sollte, wir meinen das Talent sprachlicher Dolmetschung, welches die Völkerstimmen der Erde zu einem wunderbaren Weltgespräch am deutschen Herde vereinigt. Diese Gabe schaffte sich in den