Zabel: Adolf Wilbrandt. 133
llebersetzuugen aus Sappho, Sophokles, Dante, Petrarca und Shakespeare Ausdruck. Später hat Mlbrandt den Gedanken, ansgewählte Tragödien von Sophokles und Euripides für unsere Bühne lebensfähig zu machen, in einer Weife ausgeführt, die zwar von den Puritanern der Clafficität eifrigst bekämpft, voll den Freunden des modernen Theaters aber mit um so lebhafterem Danke begrüßt wurde. Er hebt den Chor als solchen grundsätzlich auf und vertheilt seine Strophen an einzelne Schauspieler, um statt des Melodramas, in welches sich die Aufführung einer antiken Tragödie, namentlich der „Antigone" und des „König Oedipus", bei Aufrechterhaltung der Mendelssohwschen Musik regelmäßig verwandelt, ein geschloffenes Drama zu geben. Ferner hat er, um eine Einheit des Rhythmus zwischen den Chorsprechern und den Hauptschauspielern herzustellen, den mächtigen und gedrungenen Trimeter, den selbst unsere redefertigsten Künstler nicht beherrschen können, in den schwächeren aber klaren, übersichtlichen, leicht sprechbaren fünffüßigen Jambus umgewandelt. Wir glauben, daß unsere elastische Philologie dabei nichts verloren hat und daß es unseren Rigoristen immer gestattet bleibt, sich durch die Lectüre im Zimmer an der ursprünglichen Gestalt dieser Tragödien zu erfreuen, sind aber durch die Erfahrung davon überführt worden, daß Wilbrandlls Versuche unserem Theater eine ganze Provinz der Poesie erobert haben, die von unseren Bühnenleitern im Allgemeinen für uneinnehmbar gehalten wurde, ehe mau diese Zugeständnisse an den modernen Geschmack machte.
Wilbrandt's novellistische Arbeiten sind
— wenn wir von dem dreibändigen Roman „Geister und Menschen" (1864) ab- sehen, dessen Vorliebe für grelle Gespensterwirkungen die Jugendlichkeit und Unreife des Autors keinen Augenblick verleugnet
— im Laufe der Jahre 1869 bis 1875 in drei Sammlungen erschienen und lassen ihren Verfasser auf den ersten Blick als einen Schüler Paul Heyse's erscheinen, dem auch die zweite und beste Sammlung zugeeignet ist. Beiden gemeinsam ist die eigenthümliche Zartheit, mit der sie Zustände der Seele aus einander zu
breiten wissen, und die unmittelbar zn Herzen dringende Wärme, die sich dem Leser sofort mittheilt und auch dann noch wie sanft verhallende Musik nachlebt, wenn er das Buch bei Seite gelegt hat. Ein natürlicher Schönheitssinn verbietet es ihnen, in der Gestaltung des Charakteristischen weiterzugehen, als dem Auge wohlgefällig ist, nirgends finden wir häßliche Knorren, sondern überall ist der Guß ungetrübt und rein. Der Unterschied liegt nur darin, daß Heyse in der modernen Ausführung der Novelle der Zuerstgekommene und demgemäß die ursprünglichere Kraft ist, während sich bei Wilbrandt neben der unmittelbaren dichterischen Anschauung auch manches Angelernte und Anempsundene findet. Für die drei Novellen der ersten Sammlung, „Die Brüder", „Heimath" und „Reseda", baut sich der Hintergrund aus den Jugenderlebnissen des Dichters in ebenso einfachen wie gefälligen Formen ans. Es ist die kleine Stadt mit ihrem bedächtigen Trachten und Schaffen, ihrer glücklichen Mittelstellung zwischen dem Rennen und Jagen der Residenz und der Abgeschlossenheit des Landlebens. Wir lernen Menschen mit einfachen Lebensformen und einfachen Empfindungen kennen, in sich abgerundete, genügsame und glückliche Naturen, die nicht in die Tiefen des Daseins eindringen und durch die Gesundheit des Leibes wie der Seele vor tieferer Schädigung bewahrt bleiben. So geht es auch den Brüdern Wilhelm und Karl, die ein und dasselbe Mädchen lieben. Aber bei Jenem ist die Liebe mehr ein guter Einfall, während bei Diesem das Feuer nach innen brennt. Das Gerede und die Ueberredung einer Tante kommen hinzu, und so geht Wilhelm mit Annette vor den Traualtar, wo ihm schon der Gedanke kommt, daß er seinem Bruder das Glück geraubt habe. Wie nun die Ehe später wieder aus einander geht, Annette das Weib Karlls wird und Wilhelm eine andere Lebensgefährtin findet, ist von dem Dichter mit großer Kunst in der Vermittelung der Ueber- gänge dargestellt worden. Noch ist die Motiviruug nicht überall sicher genug, aber der Vorwurf ist von einer kühnen Originalität „Heimath" ist eine Novelle in Briefen und schildert die Wandlungen