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Jllustrirtc Deut
in der Seele eines Mannes, der die Herrlichkeiten Roms und Italiens gesehen hat und nun glaubt, an der Spielgefährtin seiner Jugend keinen Gefallen mehr finden zu dürfen. Aber der Sinn für die Größe im Kleinen und in der Einfachheit geht ihm wieder auf, und er lernt trotz Italien deutsche Treue im bürgerlichen Kleide aufs Neue Hochhalten. Die Novelle ist noch deshalb interessant, weil sie zehn Jahre vor dem Erscheinen von Paul Lindau's „Johannistrieb" dieses Wort genau in derselben übertragenen Bedeutung nimmt, die ihr der Dramatiker gegeben hat. In „Reseda" ist das Schwanken eines älteren Junggesellen zwischen einer schönen, aber koketten Frau und einer lieblichen Mädchenblume sowie sein endliches Sich-Entscheiden für letztere gefällig und anziehend geschildert. Die ein Jahr darauf erschienene zweite Sammlung enthält die reifsten Leistungen, die Wilbrandt auf diesem Gebiete aufznweisen hat, und zwar deshalb, weil bei tieferer Menschen- kenntniß und feinerer Beobachtung sich jener allerliebste Humor einzustellen beginnt, der später in den Lustspielen so fröhlich aufflackert und als echter Sprühteufel die drolligsten Situationen schafft. Hierher gehören namentlich „Johann Ohlerich" und die „Reise nach Freienwalde", von denen wiederum der ersteren der Preis gebührte. Sie schildert eine Gegend, von der Wilbrandt geistreich sagt, daß wir sie lieben, nicht weil sie schön ist, sondern die nur schön ist, weil wir sie lieben. Die Einfahrt von Warnemünde und die Sanddünen von Mecklenburg zeigen einen Menschenschlag, den Wilbrandt schon in seiner Biographie Reuter's ebenso kurz wie treffend charak- terisirt hat: „inehr treuherzig als weltgewandt, mehr mutterwitzig als geistreich, mehr empfänglich als erfinderisch, mehr gesellig als politisch, mehr für gewohnten Genuß als für neues Erschaffen, mehr tüchtig als groß." So ist auch der Steuermann Ohlerich, der das schönste Mädchen seines Ortes zum Weibe bekommen hat, aber in seiner Brust die Empfindungen eines Othello nährt und leider auch dazu Ursache hat. Denn während er seine Weltreisen macht, spinnen sich zwischen seinem Weibe und einem frischen Studentenblut fortwährend
che Monatshefte.
Fäden, die auf mehr als Freundschaft deuten, wenn sie auch nicht gerade als Liebe zu betrachten sind. Ohlerich ist gutmüthig und will nicht gleich znm Aenßersten schreiten, aber in seiner Frau entwickelt sich infolge dessen ein Ueber- muth, der sie zu einer Unbesonnenheit, wenn auch zu keiner Schlechtigkeit führt. Da regt sich in ihm das Gefühl männlicher Ehre, zugleich bleibt ihm aber auch die Besonnenheit, die den Humor erzeugt. Er lernt den Studenten als einen unverdorbenen, nur etwas ziellosen Menschen kennen, und indem er ihn zum unfreiwilligen Theilnehmer an einer Seefahrt macht, bringt er ihn nicht nur in die richtige Bahn, sondern erwirbt sich auch die Liebe seines Weibes wieder. Man kann nicht leicht frischer und graziöser sein, als es Wilbrandt in dieser Novelle gewesen ist. Man hört förmlich die Jugendlichkeit und Werdelust des Dichters ans jeder Zeile hervorkichern. Die Buchstaben richten sich gleichsam auf, erhalten Fleisch und Blut und werden zu Figuren, von denen uns jede etwas Freundliches zu erzählen hat. Auf einen ähnlichen Ton ist die „Reise nach Freienwalde" gestimmt, die Erlebnisse eines Mannes, der das Eisenbahncoupö besteigt, um das nahe gelegene Ziel für Berliner Sommerfrischler zu erreichen, durch eine schöne Reisegefährtin aber veranlaßt wird, mit ihr von einer Station zur anderen zu reisen, die Pläne lästiger Verwandten zu zerstören und sie zu seinem Weibe zu machen.
Diese Sicherheit des Blickes, diese Trefffähigkeit im Ausdruck des Charakteristischen hatte etwas nachgelassen indem „Neuen Novellenbuch", das Wilbrandt 1875 herausgab. Offenbar war der Künstler noch mehr in ihm ausgewachsen, aber auf Kosten der Natürlichkeit und Einfachheit. Eine eigenthümlich grüblerische Manier hatte in ihm Platz gegriffen, welche sich in den zu gleicher Zeit geschriebenen Dramen analog wiederfindet und dort am bequemsten zu erörtern und zu erklären ist. In die Periode dieser Trübung von Wilbrandt's dichterischem Organismus gehört auch die Novelle „Fridolin's heimliche Ehe", in welcher um die merkwürdig verzwickte Charakteristik eines Mannes, der als eine Art