tZ8 Jllustrirte Deutsche Monatshefte.
unmittelbarste Anschauung bei dem Leser wie dem Zuschauer, und wenn es zum Schluß etwas zu sehr in das sentimentale Fahrwasser mit Anwendung des l)6U8 ox maadinu geht, so dürfen wir hierin wenigstens höchst wirksame Hülfsmittel des Bühnenerfolges erblicken. Bei alledem sah man, daß hinter diesem Drama ein Dichter stecken müsse, der noch ganz andere Momente dramatischer Charakteristik ausfindig machen würde, wenn er an einen etwas herberen Stoff Herangehen wollte. Dies that Wilbrandt mit seinem „Gracchus, der Volkstribun", einer der gehaltvollsten Römertragödien, welche später von dem Wiener Grillparzer - Comitä mit dem ersten Preise ausgezeichnet wurde. Hier erhebt sich der Dichter namentlich in den Volksscenen zu einer tragischen Größe, die er weder vorher noch nachher wieder erreicht hat und deren Werth dadurch nicht verringert wird, daß man zugeben muß, Wilbrandt sei bei Shakespeare in die Schule gegangen. Zeigt sich doch der Meister am deutlichsten darin, daß er niemals anfhört, ein Lernender zu sein. Wilbrandt faßt den Volkstribunen Casus Gracchus als einen leidenschaftlichen und wankelmüthigen Gefühlsmenschen auf, der sich der Sache des Volkes eigentlich nur aus Pietät für den ermordeten Bruder annimmt und von seiner Mutter und Gattin in seinem Rachewerk aufgehalten wird, um dann desto kühner aus sein Ziel zu stürmen und im edlen Streite rühmlich zu fallen. Man wird nicht umhin können, das Geschick, mit dem Wilbrandt öffentliches und privates Leben, Forum und Atrium mit einander verbunden hat, zu bewundern. Ist die Tragödie auch nicht so markig und festgefügt wie die Shake- speare'schen Dramen, so lebt in ihr doch etwas, was an Shakespeare erinnert, und der Stil des Trauerspiels darf Anspruch erheben, zu dem Gelungensten gezählt zu werden, was auf diesem Gebiete in den letzten Jahren überhaupt geschaffen worden ist.
In zwei anderen Römertragödien reizte es Wilbrandt, die Rolle eines Makart der Poesie zu spielen und mit einzelnen Cabinetstücken sinnlicher Leidenschaft vor seinen Freunden zu debütiren. Sowohl in „Arria und Messalina" wie in „Nero" hatte er zu einem Stoffe gegriffen, der
in der Oper, im Drama wie in der epischen Erzählung Talente erster: Ranges angezogen hat. Worin liegt das Verführerische gerade dieses Stoffes, der eigentlich jegliches ästhetische Behagen auszn- schließen scheint? Sind es verwandte Ew scheinnngen zweier Uebergangsperioden, der römischen Kaiserzeit und unserer Tage, die hierin ihren Ausdruck finden, oder spricht sich lediglich das Verlangen unserer sensationslnstigen Künstler, bei ihrein Publikum Effect zu machen, in solcher Wahl aus? Jedenfalls hat Wilbrandt sich von einer gewissen Seite, die das Theater gern auf das moralische Niveau einer Kinderbewahranstalt Herabdrücken möchte, durch seine Meffalinadichtung die allerheftigsten Vorwürfe zugezogen, obwohl er nichts gethan hat, seine Heldin zu beschönigen, und mit seiner ganzen poetischen Kraft an die Gestaltung dieses Charakters gegangen ist. In der Composition finden sich Momente erschütterndster Tragik. Die tugendhafte Arria, die Mutter des Marcus, treibt ihren eigenen Sohn in den Tod, nachdem er von dem süßen Gifte der Messalina gekostet hat, und diese zwingt wieder Arria und ihren Gatten Paetns zum Selbstmord. Diese Gegenüberstellung ist ein genialer Griff und hätte hingereicht, die Angriffe einer voreingenommenen Kritik zu entkräften. Noch mehr waren aber hierzu die Verzweiflung der Kaiserin an der Bahre des todten Marcus und ihr eigener Untergang geeignet, Scenen von erschütternder tragischer Wirkung, die auch dann ihre Wirkung nicht verfehlten, wenn sie eine weniger bedeutende Tragödin als Charlotte Wolter darstellt. Diese Künstlerin hat allerdings dadurch, daß sie ihren schauspielerischen Genius dem Trauerspiel geliehen, die Kunst der Menschendarstellung um eine der gewaltigsten Offenbarungen bereichert und infolge dessen auf die Dichtung selbst wohlthätig zurückgewirkt. Das Bild dieser Messalina, wie sie die herrlichen Glieder auf dem Ruhebett streckt, hat Makart in einem seiner farbenprächtigsten Bilder festgehalten und auch denen, die nicht in der Lage waren, die Leistung der Wolter zu bewundern, eine Vorstellung von überzeugendster und wahrster Treue gegeben. Im „Nero" hat Wilbrandt ein Stück geliefert, das nicht so aus einem Guß wie „Casus Gracchus"