Issue 
(1881) 295
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Zabel: Adolf Wilbrandt.

undArria und Messalina" ist und außer­halb Wiens, wo Sonnenthal aus der Titelrolle eine Meisterleistung schuf, we­niger Anerkennung gefunden hat. Wie inan den Stoff auch drehen und wenden mag, man wird die Einfachheit und Klarheit der Composition inRacine'sBritanniens" niemals erreichen, geschweige denn über­treffen. Die Kenntniß des Hofes und Hoftones, der Contrast, der sich aus dem einfachen Seelenadel des Britanniens und der Junia auf der einen, der grausamen Herrschsucht Nero's und Agrippina's auf der anderen Seite ergiebt, sichern dem französischen Drama eine ganz einzige Ueberlegenheit gegenüber allen neueren Versuchen dieser Art, mögen sie Namen tragen, welche sie wollen. Höchstens kann es Halm in der Schilderung des Cäsaren­wahnsinns imFechter von Ravenna" mit dieser Sittenmalerei aufnehmeu. Bei Wilbrandt droht die Construction der Tragödie in einzelnen Scenen zu zer­fallen; der Tod des Britanniens, der Agrippina, die Anzündung Roms infolge eines scherzhaft hingeworfenen Wortes der Geliebten Nero's, Poppäa, ziehen wie in einem langen Friese an uns vorüber, ohne durch eine organische Einheit zwingend mit einander verknüpft zu sein. Das Stück ist mehr schauspielerisch als dramatisch ge­dacht, erfreut aber in der Diction durch eine echt dichterisch gehobene Sprache, wie das bei einem Manne wie Wilbrandt nicht anders zu erwarten ist. InChriem- hild" ist ein bedeutsamer Versuch gemacht worden, das Ganze der Nibelungensage, Siegfried's Tod in Worms und Chriem- hild's Rache in Etzelburg, zu dessen Schil­derung Hebbel eine Trilogie gebraucht hat, zur Enge und Geschlossenheit eines einzigen Theaterabends znsammenznziehen. Es will mit dieser Arbeit ans unseren Theatern nicht recht vorwärts gehen. Man hört von dieser und jener Ausführung, aber auf dem Repertoire befindet sich die Tra­gödie, die 1878 den Berliner Schillerpreis erhielt, nirgends. Es ist einleuchtend, daß mit der Vermenschlichung und Verein­fachung des gewaltigen, wie der Schlag des Schwertes auf dem Schilde dröhnenden Conflicts auch eine Verkleinerung der Zu­stände und Personen herbeigesührt worden ist. Sie wachsen nicht mehr über das Menschliche hinaus wie im Nibelungen­

liede, ja wie selbst noch später bei Fouqus und Raupach, bei Hebbel, Geibel und Dahn, sondern sind bürgerliche Existenzen, von denen man nicht begreift, wie sie von so verzehrender Leidenschaft gehetzt werden können. Immerhin ist der Plan des Stückes ein so origineller, der Aufbau desselben ein so geschickter, daß es ein ganz anderes Interesse verdient, als ihm leider bis jetzt entgegengebracht worden ist.Giordano Bruno" ist wohl das schwächste der in diese Kategorie zu zäh­lenden Trauerspiele Wilbrandt's. Der pantheistische Natnrphilosoph ist in seiner Passivität nichts weniger als ein tragi­scher Held, und der Umstand, daß er von seinem zur Inquisition übergegangenen Sohne verhaftet wird, von der Tochter seines Feindes befreit werden soll, aber schließlich zum Tode auf dem Scheiter­haufen verurtheilt wird, sind nicht ge­nügend scharfe Einschnitte des Dramas. Man kann weniger von einer Schuld des Titelhelden als von einem Unglück des­selben sprechen, das sich aus einer trau­rigen Verkettung von Umständen ergiebt. Die hieraus entstehende Rührung ist aber viel zu schwach, um eine eigentliche tra­gische Erhebung in dem Leser oder dem Zuschauer aufkommen zu lassen.

Es ist nicht möglich, all' der Lust- und Schauspiele ausführlich zu gedenken, die Wilbrandt seitdem geschrieben hat, und zwar aus dem doppelten Grunde, weil eine Anzahl derselben über Wien nicht hinaus­gekommen und auch noch nicht im Druck erschienen ist. Wir stehen jetzt in einer Periode unseres Dichters, die wir bei aller Bewunderung seiner feingearteten Natnr eigentlich als eine Störung seiner drama­tischen Entwickelung betrachten möchten. Wilbrandt, der so lange das Muster des Natürlichen und Ueberzeugenden war, ver­rannte sich eine Zeit lang in eine merk­würdig gekünstelte Richtung, in eine Sncht, Ausnahmszuständen der Seele nachzu­trachten, die ans der Bühne niemals zur vollen Geltung kommen können. Man sah ihn plötzlich die Probleme so verfeinern, daß die Spitze, in welche die Stücke aus­liefen, fast jedesmal abbrach. Man sah ihn in einer nervösen Beflissenheit, die weit abliegt von dem geraden und gesun­den Wege des Dramatikers, eine Situa­tion aus einander breiten, sie ausrollen, sie