Fontane: Ellernklipp.
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„Glaub's nicht, Ehrwürden."
„Und wenn nicht, so seid Ihr der Mann, der mit einem Blick besser erzieht als drei Frauen... Aber seht nur," und er wies auf das Kind, das draußen zwischen den schon hoch in Samen geschossenen Spargelbeeten stand und dem Spiel zweier Schmetterlinge mit den Augen folgte.
Der Haidereiter freute sich ersichtlich des Anblicks und sagte nach- einer Weile: „Gut. Ich will es bedenken."
„lind was Ihr beschließt, das soll mir gelten; denn ich kenn' Euch und weiß, es wird das Rechte sein. — Aber nun kommt, daß wir nach der Muthe sehen."
Und er klatschte zweimal in die Hand und rief dem Kinde vom Fenster aus zu: „Wir wollen gehen, Hilde! Nimm dein Tnch!"
Und gleich danach schritten alle Drei quer über das Thal ans einen langen und ziemlich hohen Heckenzaun zu, der, neben dem Gehöfte des Haidereiters ansteigend, erst aus den Wiesen- und Weidegrund der „Sieben Morgen" und dann immer höher hinauf auf eine weitgestreckte, mit Ginster und Haidekraut bestandene Hochfläche führte, die „Knnerts-Kamp" hieß und nach hinten zu mit einem anscheinend endlosen Tannenwalde schloß. An dem Punkte aber, wo Kamp und Wald sich in einander schoben und ein Eck bildeten, stand das kleine weißgetünchte Haus der Mnthe Rochussen, einer armen Holzschlägerswittwe.
Hilde war eine gute Strecke zurückgeblieben, um Gräser und Blumen zu pflücken, und erst als Sörgel und der Haidereiter bis dicht an den Zaun heran waren, der das weiße Häuschen von drei Seiten her einfaßte, beeilte sie sich, wieder in die Nähe Beider zu kommen. Und nun schob sie, die kleine Hand durch das Gitter zwängend, einen Holzriegel von innen her zurück und lief über den Hof hin ans die mit Tannenzweigen bestreute
und zugleich als Küche dienende Diele zu, daran die beiden einzigen Stuben des Hauses gelegen waren. Und nun öffnete sie die vorderste derselben und trat zurück, um die beiden Männer eintreten zu lassen.
Diese blieben jedoch, einen Augenblick wenigstens, wie betroffen stehen, denn was sie sahen, war mehr ein Begräbniß- als ein Sterbezimmer. Alles Unschöne war wie vorweg aus dem Wege geräumt. Unter einer aus bunten Zeugstücken sauber zusammengesteppten Decke lag die Todte, das dunkle Haar gescheitelt und eine Kette von Bernsteinkugeln um den Hals, daran ein flammendes Herz hing. Ihre Linke hielt die gesteppte Decke fest und ließ für Jeden, der eintrat, gleich auf den ersten Blick einen Schlangenring am vierten Finger erkennen. Es war ersichtlich, daß sie das Herannahen ihrer letzten Stunde gefühlt und das eitle Verlangen gehabt hatte, nach ihrem Tode noch eine Verwunderung und das Gerede der Leute zu wecken. Und so hatte sie denn das Haus bestellt, sich gekleidet und geschmückt und sich dann niedergelegt und war gestorben. Und ohne Kampf schien sie hinübergegangen zu sein, denn so herb ihre Züge waren, aus jedem sprach es doch wie das Glück einer endlichen Erlösung.
Und nun war auch Hilde herangetreten und hatte die Blumen, die sie draußen auf der Haide gepflückt, über die Mutter ausgestreut. Und sie kniete nieder und küßte die herabhängende Hand. Aber sie weinte nicht und gab kein Zeichen tiefen Schmerzes. Es war vielmehr, als wisst sie nichts Deutliches von Tod und Sterben, und als beide Männer immer noch schwiegen, erhob sie sich und ging auf den Platz hinaus, wo der Brunnen stand und ein paar Leinenstücke zum Bleichen ausgespannt lagen.
Es war stickig in dem Zimmer, und Sörgel, den es von Anfang an nach frischer Luft verlangt hatte, trat ans
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