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Fenster, um zu öffnen. Und dabei wurde er auf dem Fensterbrett und fast zu Häupten der Todten eines zierlichen und mit Silber eingelegten Ebenholzkästchens ansichtig, das an dieser ärmlichen Stelle beinahe mehr noch überraschen mußte als der Schmuck, den die Holzschlägerswittwe trug. In dem Kästchen aber lag Alles, was diese hinterließ: ein Goldgulden, ein Species, ein paar kleinere Münzen und daneben zwei silberne Trauringe, die sie bei Lebzeiten getragen, aber in ihrer Sterbestunde von sich gethan hatte.
„Das ist ihr Trauring," sagte Sörgel und legte den kleineren auf seine flache Hand. „Und das hier ist der von dem Rochussen. Und sind nun elf Jahre, daß sie mit ihm unten vorm Altar stand. Ihr wißt ja, wie's kam und was es war; und sollte was zugedeckt werden. Aber sie hat nicht mit den beiden Ringen wie mit einer Lüge vor ihren Gott hintreten wollen, und ist mir, als ob's eine Beichte wär' und ein Bekenntniß. Und nur hof- fährtig ist sie geblieben bis an ihr Ende. Denn seht nur, von dem Schlangenringe hat sie nicht lassen wollen, den trägt sie noch, auf daß Jeder ihn sehe. Ja, Haidereiter, irr und verworren sind unseres Herzens Wege."
Der schwieg und sah vor sich hin. Sörgel aber fuhr fort:
„Und auch das hier — und er wies auf die Münzen -— erzählt mir nur, was ich schon weiß. Sie hat nie gedarbt, arm, wie sie war. Es geschah eben, was geschehen mußte, so lange noch wer da war, der den Finger aufheben und sagen konnte: So und nicht anders. Aber das ist nun vorbei seit heute Nacht, und sie wird sich drüben nicht aus freien Stücken zu dem Enkelkinde bekennen wollen. Es war ihr immer ein Stachel im Fleisch. Und so haben wir von Stund' an eine Waise mehr in der Gemeinde."
„Nicht doch," sagte Baltzer. „Ich
che Monatshefte.
nehme das Kind, und es soll mit meinem Martin Zusammengehen. Ja, Pastor, ich will ein Gespann haben, damit führt sich's besser, und ist dem Jungen gut. Und lieben wird er sie schon, denn 's ist ein feines Kind und hat die langen Wimpern und das Helle Rothhaar — dasselbe, das die drüben haben. Und wer den Todten Blumen streut, der streut sie, denk' ich, auch wohl den Lebenden."
„Ich hoff' es," antwortete Sörgel.
Und danach riefen sie Hilden und sagten ihr, daß sie nun Abschied nehmen müsse. Die war denn auch bereit und stutzte nicht, und nur auf der Schwelle wandte sie sich noch einmal und lies zurück, um der Todten die Hand zu streicheln. Und nun erst folgte sie den beiden Männern und trat auch ihrerseits und ohne Zeichen tieferer Bewegung ins Freie.
Der Pastor gedachte seinen Weg wieder über Kunerts-Kamp und die Sieben- Morgen zu nehmen, genau so, wie sie gekommen waren; als ihn aber der Haidereiter bedeutet hatte, es sei näher über Diegel's Mühle, schleuderten sie gemeinschaftlich an einer tiefen Grenzfurche hin, die von dem kleinen weißen Haus ans bis an den Abfall des Berges führte. Hilde ging vor ihnen her und stemmte, wie sie zu thun liebte, den rechten Arm in die Seite. Das gab ihr einen geraden Gang und machte, daß sie größer aussah, als sie war. Die beiden Männer aber folgten ihr mit den Augen, und Baltzer sagte lächelnd: „Ich werde sie zu hüten haben."
Eine kurze Strecke noch und die Grenzfurche bog nach links hin um eine kahle Felswand herum, in deren Front sie sich als mannsbreite Straße fortsetzte. Die Felswand selbst aber hieß Ellernklipp. Ein mittelhoher Brombeerbusch wuchs hier als einzige Schutzlehne hart am Abgrund hin, und der alte Sörgel, indem er sich an dem Gezweige sesthielt, sah in