Heft 
(1881) 296
Seite
158
Einzelbild herunterladen

158 Jllustrirte Deutsche Monatshefte.

es verboten, da lief sie fort, wie sie ging und stand. Und da mußt' ich ihr Alles versprechen. Und ein wahres Gluck noch, daß ich sie wieder ins Haus brachte; sie hätte ja den Tod gehabt ohne Mantel und dicke Schuhe. Und im Ostwind und durch den Schnee."

So, so," sagte Baltzer und trommelte an die Scheiben.Sie kann also auch ungehorsam sein. Sieh, Griffel, das ge­fällt mir. Der Mensch muß gehorchen, das ist das Erste, sonst taugt er nichts. Aber das Zweite ist, er muß nicht ge­horchen, sonst taugt er auch nichts. Wer immer gehorcht, das ist ein fauler Knecht, und ist ohne Lust und Liebe und ohne Kraft und Muth. Aber wer eine rechte Lust und Liebe hat, der hat auch einen Willen. Und wer einen Willen hat, der will auch mal anders, als Andere wollen."

So verging der Tag, ohne daß von dem Feuer gesprochen worden wäre, und erst am Abend, als Griffel und Hilde wieder auf ihrer Giebelstube waren, sagte Erstere:Bist du traurig, Hilde?"

Nein."

Aber du sprichst nicht. Und es war doch euer Haus, und du wolltest hin und es sehen."

Ja, ich wollt' es, als ich den rothen Himmel sah."

Und hast auch keine Sehnsucht? Ich meine nach deiner Mutter. Oder hattest du sie nicht lieb?"

O ja, ich hatte sie lieb. Aber ich bin doch nicht traurig."

Und warum nicht?"

Ich weiß es nicht. Aber mir ist, als wäre sie nicht todt. Ich seh' sie noch und höre sie noch. Und dann Hab' ich ja euch. Es ist besser hier und nicht so still und so kalt. Und du bist so gut, und Martin..."

Und der Vater . .."

Ja, der auch."

rjr H

-i-

Ohne weitere Zwischenfälle verlief der Winter, und als Ostern, das in diesem Jahre früh fiel, um eine Woche vorüber war, packte Martin nicht bloß seine Mappe, sondern auch Hildens, und mit erwartungsvoller und beinahe feierlicher Miene gingen Beide neben dem Bach hin ans das mitten im Dorf gelegene Schul- hans zu, das schwarze Balken und weiß­getünchte Lehmfelder und oben auf dem Dach eine kleine Glocke hatte. Die läu­tete eben, als sie eintraten.

Hilde kam nach unten, denn sie wußte nichts, und selbst die Kleinen lachten mit­unter. Auch schien es nicht, als ob sie die lange Versäumniß im Fluge nachholen werde, denn sie war oft träge und abge­spannt und machte Krikelkrakel im Rech­nen und Schreiben, nnd nur im Lesen und Auswendiglernen war sie gut. Und siehe da, das half ihr, und als kurz vor­der Erntezeit eine Schnlinspection ange­meldet wurde, mußte sie die Fabel von der Grille und der Ameise vorlesen, was ihr neben der Zufriedenheit des Lehrers auch eine besondere Belobigung des alten Sörgel eintrng.

Und was diesen anging, so sollte sich's überhaupt jetzt zeigen, daß er des Kindes und seiner Zusage nicht vergessen habe, denn er schrieb denselben Tag noch ein Zettelchen, worin er dem Haidereiter vor­schlug, ihm jeden Dienstag und Freitag die Hilde herüberzuschicken, und natürlich auch den Martin, damit er ihnen etwas aus der Bibel erzählen könne. Das ge­schah denn auch, und die zwei Stunden beim alten Sörgel waren bald das, wo­rauf sich die Kinder am meisten freuten. Es war Alles nach wie vor so still und behaglich drüben, und der kleine Zeisig, der in seinem Bauer zirpte, schien nur dazu da, zu zeigen, wie still es war. Dazu lagen über die ganze Stube hin lange, von Tucheggen geflochtene Streifen, sogenannte Läufer, alle weich genug, einen