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jeden Schritt zu dämpfen, auch den schwersten, selbst wenn der alte Sörgel nicht kniehohe Sammetstiefel und bei rechter Kälte sogar noch ein Paar Filzschuhe darüber getragen hätte. Das erste Mal, als er so kam, waren Martin und Hilde dicht am Lachen gewesen, aber der alte Herr, der wohl wußte, wie Kinder sind, hatte nur mit- gelächelt und im selben Augenblicke gefragt: „Nun, Hilde, sage mir, wie hießen die zwölf Söhne Jakob's? ... Richtig... Und nun sage mir, wie hieß sein Schwiegervater? ... Richtig... Und nun sage mir, wie hieß seine Stiefgroßmutter?" ... Auf diese letztere Frage war er nun, wie sich denken läßt, einer Antwort nicht gewärtig gewesen; als aber Hilde mit aller Promptheit und Sicherheit ihm „Hagar" geantwortet und noch hinzugesetzt hatte: „Die meint Ihr, Pastor Sörgel; es ist aber eigentlich nicht richtig," — da war er schmunzelnd an einen nnßbaumenen Eckschrank herangetreten und hatte von dem obersten Brett eine Meißener Suppenterrine herabgenommen, darin er seine Biscnits aufzubewahren liebte. „Da, Hilde, das hast du dir ehrlich verdient... Und das hier, Martin, ist für dich, damit dir das Herz nicht blutet."
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So ging es geraume Zeit, es war schon der zweite Winter, und da Sörgel eine Vorliebe für das alte Testament hatte — eine Vorliebe, die nur noch von seiner Abneigung gegen die Offenbarung Johannis übertroffen wurde —, so konnte es Keinen verwundern, die Kinder fest in der alten biblischen Geschichte zu sehen, und zwar um so fester, als sie nicht bloß zu-
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leicht verwerfliche Neigung verfiel, sie, wie damals mit der Hagarfrage, durch allerlei Doctorsragen in Verlegenheit zu bringen.
„Sage, Hilde," so hieß es eines Tages, „du kennst so viele Frauen von Eva bis Esther. Nun sage mir, welche gefällt dir am besten und welche am zweit- und drittbesten? Und welche gefällt dir am schlechtesten? Gefällt dir Miriam? Oder gefällt dir Jephta's Tochter? Oder gefällt dir Bathseba? Du schüttelst den Kopf und willst von des Uria Weib nichts wissen. Aber du darfst es ihr nicht anrechnen, daß der König ihren Mann an die gefährliche Stelle schickte. Das that eben der König. Und sie könnt' es nicht ändern... Oder gefällt dir Judith?"
„Auch die nicht. Judith am wenigsten."
„Warum?"
„Weil sie den Holofernes mordete, listig und grausam, und seinen Kopf in einen Sack steckte. Nein, ich mag kein Blut sehen, an mir nicht und an Anderen nicht."
„Ich will es gelten lassen. Aber wer soll es dann sein, Hilde? Wer gefällt dir?"
„Ruth."
„Ruth," wiederholte Sörgel. „Eine gute Wahl. Aber du weißt doch, sie war eine Wittwe."
So plauderte der Alte mit seinen Con- firmanden, und wenn dann die Stunde vorüber war, schleuderten Martin und Hilde wieder heim, im Winter an dem Stachelginster vorbei, der neben der Kirchhofsmauer hinlief, im Sommer über den Kirchhof selbst, wo sie hinter den Büschen Verstecken spielten. Oft aber wollte Hilde nicht, sondern blieb allein und setzte sich abwärts auf eine Steinbank, wo der Quell aus dem Berge kam und wo Gartengeräthe standen
hören, sondern auch alles frisch Gehörte sofort wieder erzählen mußten.
In ihrem Wissen waren sie gleich, aber und große Gießkannen, um die Gräber dain Auffassung und Urtheil zeigte sich Hilde mit zu begießen. Und von dieser Bank aus mehr und mehr überlegen, so sehr, daß i sah sie, wie die Lichter einfielen und vor der alte Pastor immer wieder in die viel- ihr tanzten und wie die Hummeln von