Fontane: Ellernklipp.
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„Wo't ehr sitten deiht? In de Ogen sitt et ehr."
„Gott," entgegnete Joost, der wohl wußte, was Griffel gern hörte, „se hett joa goar keen' un pliert man ümmer. Un ick weet nich, hett se se upp oder hett se se to."
„Dat is et joa groad'. Un all sünn', wo keen' een weten deiht, wo se hier sinn un wo nich, de sinn so un behexen dat Mannstüg. Un vunn't Mannstüg is een as de anner is, un jungsch o'r olsch is goar keen Unuerschied. Un uns' Martin is närrsch, un uns Oll' is närrsch, un Sörgel is ook närrsch. Un jed een kuckt ehr nah de Ogen, un jed een glöwt, he wihrd wat finn'n. Awers he finndt nix. Un du kuckst ook ümmer."
„Ick?" sagte Joost etwas verlegen. „I, nei. Glöwst du? Doh ick?"
„Joa, du deihst," wiederholte Griffel. „Un nu hür', wat mi mien Oll-Großmutter all ümmer Vorseggen deih:
Plieroog un Junfernkinn,
Alle bccd vun'u Düwel sinn ..."
„Düwel sinn," wiederholte Joost.
„Un moakens ook de Oogen to,
De sloapen nich, de dohn man so."
„Joa, joa," lachte Joost. „Ick hebb ook all so wat hürt." Und setzte dann mit aller ihm möglichen Pfiffigkeit hinzu: „Na, denn möt ick man uppassen."
„I, du nich," sagte Griffel. „Du bist man simplig, un di dohn se nich veel. Awers anner Lüd. Un dat segg ick di: et is nich richtig mit ein."
„Mit uns' Martin?"
„Mit ein ook nich ..."
Und Joost spitzte Mund und Ohren, um noch mehr zu hören. Aber in eben diesem Augenblicke kam Melcher Harms den diesseitigen Thalweg heraus, und Hilde, die schon von weit her das Läuten gehört hatte, sprang rascher, als ihr sonst eigen war, in den Hof und riß die Stallthür auf, aus der nun die Kühe herans-
traten und sich ohne Weiteres der vorüberziehenden Heerde anschlossen.
„Ich seh' Euch noch, Vater Melcher!" rief sie dem Alten zu.
Der aber wandte sich und grüßte mit seinem Dreiniaster. Und als er den Hut abnahm, sah man wieder den hohen Kamm, der das Haar nach hinten zu zusammen- steckte.
Griffel sah es auch und brummte vor sich hin: „Oll Kamm-Melcher! He denkt ook, he is so wat as uns' Herrgott. Un wat is he? ... He is ook man behext."
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Um Mittag aber schürzte sich Hilde, nahm eine der großen, zugeschrägten Milchkufen und schritt über ein in den steilen Rasen eingeschnittenes Gartentreppchen erst auf das Feld und dann aus die Sieben-Morgen zu, wo, wie sie wußte, Melcher Harms seine Heerde weidete.
Der Alte, den seine siebzig Jahre mehr erhoben als niedergedrückt hatten, war — das Los aller Conventikler — ebenso sehr der Spott wie der Neid des Dorfes. Und ein Räthsel dazu. Selbst über seine Zugehörigkeit zu dieser oder jener Secte wußte Niemand Bestimmtes, und wenn er einerseits unzweifelhaft unter dein Einfluß einer herrnhutischen und dann wieder einer geisterseherischen Strömung war, so war es doch ebenso sicher, daß er sich unter Umständen von jedem derartigen Einflüsse frei zu machen und seinen eigenen Eingebungen zu folgen liebte. Widersprüche, die dadurch in sein Leben und sein Bekenntniß kamen, kümmerten ihn wenig, am wenigsten aber die Gräfin oben, die gerade um dieser seiner Freiheit und anscheinenden Willkürlichkeit willen an sein Erleuchtet- und Erwecktsein glaubte.
Was Hildens Schritt in diesem Augenblicke beflügelte, war freilich ein Anderes und wurzelte neben einem immer wach-