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Bluntschli: Johl
Hülfsbedürftigkeit willen in der Verein- § zelung nicht bestehen können und ein heiliges, gerechtes, zweckmäßiges und glückliches Leben nur in der Gemeinschaft zu erreichen ist. Aber diese Form der Einigung nennt er „eonsoowtio".
Von der späteren Naturrechtslehre, welche den Staat aus einem oder mehreren Gesellschaftsverträgen der Einzelmenschen unmittelbar hervorgehen läßt, ähnlich wie eine Actiengesellschaft, ist aber die Grnnd- ansicht von Althus sehr verschieden. Nicht sprungweise gelangen die Einzelmenschen zum Staate, sondern stufenweise, auf Uebergängen und durch Zwischenbildungen hindurch. Es giebt unter den Menschen mancherlei Verbände und Einigungen, die Althus alle „60N806ioti'0N63" nennt und ursprünglich auf Gesellschafts- oder Gemeinschaftsverträge zurückführt.
Schon der erste Verband der Familie setzt die Ehe als ursprüngliche Vertragsgemeinschaft voraus. Die Ehe erweitert sich aber nicht durch Vertrag, sondern durch Abstammung der Kinder von den Eltern zu der Familie im engeren Sinne und wieder in der Folge durch Vermehrung und durch neue Ehen zu der Verwandtschaft. Althus macht ausdrücklich darauf aufmerksam, daß der Ehemann naturgemäß übergeordnet der Frau sei und ebenso der Vater den Kindern und der Patriarch dem Geschlecht. Er weist auf die innerliche Zusammengehörigkeit und das gemeinsame Blut wie auf das wechselseitige Ergänzungs- und Hülfs- bedürfniß und daher die ökonomische Genossenschaft hin und erkennt im Grunde die organische Natur der Familie an, deren Glieder keineswegs auf dem Fuße gleichberechtigter und nach Belieben bald sich vereinbarender, bald wieder sich trennender Gesellschaften zu einander stehen.
Nicht ebenso natnrnothwendig und nicht ebenso dauernd sind dann die mancherlei genossenschaftlichen Verbände der Menschen zu bestimmten gemeinsamen, meistens ökonomischen und Berufszwecken, welche Althus (üollegw nennt. Er denkt dabei voraus an die Innungen und Zünfte der Handwerker und Gewerbslente, welche auch ihre Vorsteher und allgemeine Versammlungen haben. Obwohl auch hier anfangs Verträge unter den Betheiligten abgeschlossen werden, liegt das Wesen doch !
annes Althusins.
! wieder in der gegliederten Genossenschaft, die freilich auflösbar ist.
Von dieser Stufe steigt Althus nun zu der einheitlichen Institution einer „Oni- vsrsitas" empor, welche nicht mehr eine privatrechtliche, sondern schon eine öffentlich-rechtliche Gemeinschaft ist. Die erste derartige Gemeinschaft ist die Gemeinde, welche die Familien und Collegien eines Ortes znsammenfaßt, zu einem gemeinsamen Körper einigt und dadurch zu einer repräsentativen Person wird. Er sagt, nicht die einzelnen Bewohner sind die Glieder der Gemeinde, sondern die Familien und Collegien. Die einzelnen Bürger haben öffentliche Rechte und Pflichten in der Gemeinde, welche als einheitliches Ganzes organisirt ist. Je nachdem der Ort ein Dorf, ein Flecken oder eine Stadt ist, wird auch seine Verfassung verschieden sein. Die öffentlichen Bedürfnisse sind ebenso verschieden wie die Aemter der Vorsteher (Schulzen, Bürgermeister), der Räthe (Senat) u. s. f. Die wichtigsten Gemeinden sind die Städte (mvitaws). Die einen sind Landstädte und daher einem Landesherrn untergeordnet, die anderen sind Reichsstädte und daher selber im Besitz der obrigkeitlichen Gewalt und Reichsstände.
Ist der Verband der Gemeinde noch örtlich begrenzt, so werden wiederum mehrere Städte und Landgemeinden zu größeren Bezirken oder Provinzen, beziehungsweise Landschaften (wi-ritorw) verbunden, und es entsteht unter ihnen eine Rechtsgemeinschaft mit gemeinsamer Verwaltung. Hier ist die Grundlage der geistlichen und weltlichen Landstände und der Landesverfassung. Da zeigt sich bei ihm bereits die Eintheilung in den Lehrstand (Geistlichkeit), Wehrstand (Ritterschaft), Bürgerstand und Bauernstand. Haupt der Provinz oder der Landschaft ist je nach Umständen ein Fürst oder Herr (Herzog, Markgraf, Landgraf, Freiherr) oder ein ernannter oder gewählter Statthalter oder Landvogt, Landammann (krg.6- llreius).
Erst auf dieser Grundlage gelangt Althus endlich zum Staat oder Reiche. Die früheren Verbände hatten nur einen particularen Charakter. Der Staat ist universal, als ein ganz und gar öffentliches Gemeinwesen und als höchste Rechtsperson. Nicht die einzelnen Bürger sind die un-