Bluntschli: Joh
sehr nahe gekommen. Aber Gierte hat gezeigt, daß er noch nicht die Höhe dieses Standpunktes erreicht habe. Er saßt die Gesammtheit, die er Volk heißt, noch nicht auf als eine orgamsirte Nation, auch nicht als eine lebendige Gesammt- person, in welcher der König die Stellung des Hauptes einnimmt, sondern als eine Gesammtheit der Reichsstände und sogar im Gegensätze zu dem König und schreibt derselben nur eine römisch-rechtliche Universitas, das heißt eine fingirte, im Grunde nur künstliche Persönlichkeit zu. Hat er aber noch nicht den Gipfel erstiegen, so hat er doch den Weg dazu gezeigt und grvßtentheils schon zurückgelegt.
Die Mehrdeutigkeit des Wortes Volk in der deutschen Sprache hat in die Staatswissenschaft Verwirrung gebracht und manche Jrrthümer veranlaßt. Ehe man sich's versieht, wechselt der Sinn, während das Wort dasselbe bleibt. Insbesondere bedeutet das Wort Volk von jeher die Gesammtheit aller derer, die möglicher Weise in sehr verschiedenen Stellungen zu demselben Staate verbunden sind, so daß dann auch der deutsche König zum Volke gehört, dessen Haupt er ist, und ebenso die Könige von Frankreich und England als Franzosen und Engländer gelten. Bald aber bedeutet das Wort nur die Gesammtheit der Unterthanen im Gegensätze zu dem König als der Obrigkeit, wie in dem oft gebrauchten Ausdruck: „Fürst und Volk". Dort bedeutet Volk das staatlich orgamsirte Ganze, den Staat als Person; hier nur einen Theil des Ganzen, nur die Unterlage, nicht die Eigenschaft des Staates. Dort erscheint das Volk als eine Person, hier ist der Staat gespalten in die beiden Urbestandtheile.
Wenn man dem Volke im ersten Sinne, das Haupt als Haupt inbegriffen, die höchste Macht und Majestät, die volle Souveränetät, zuschreibt, wie dies im Völkerrecht immer geschieht und im Grunde selbstverständlich ist, so folgt daraus gar nicht, daß diese Souveränetät auch dem Volke im zweiten Sinne zukomme. Aber eben zu diesem irrigen Schlüsse verleitet das Wort.
Althus ist nicht frei zu sprechen von diesem Versehen. Er läßt sich verleiten, wozu freilich seine republikanische Erziehung mitgewirkt haben mag, dem Volke auch im zweiten Sinne die Majestät zü
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zuschreiben, freilich nicht der bloßen Menge der Unterthanen, aber doch der Gesammtheit der Glieder des Reiches, den Reichsständen und beziehungsweise den Landständen. Seine Volkssouveränetät ist daher doch etwas Anderes als die Rousseau'sche.
Es ist das Verdienst von Hugo Grotius, daß er die Einseitigkeit der Bodin'schen Königssouveränetät und die der Althus- schen Volkssouveränetät erkannt und durch die Annahme einer doppelten Souveräne- tüt, zuerst des Staates als des Ganzen, sodann des Hauptes im Staate als des obersten und leitenden Organs im Ganzen, das heißt der Staatssouveränetät und der Fürstensouveränetät, zu berichtigen gesucht hat.
Althus denkt sich das Berhältniß des Königs zu dem Volke als ein Vertrags- verhältniß, nicht anders als das zwischen einem republikanischen Magistrate und dem Volke. Der Regent wird nach ihm immer von dem Volke beauftragt und ermächtigt, den Staat zu verwalten. Jener hat seine Gewalt nur von dem Volke, das sie nicht an ihn abgetreten, nicht veräußert, sondern nur überlassen und anvertraut hat („Imperium oonoassiim"). Er führt zahlreiche Beispiele solcher Verträge an aus alter und neuer Zeit. Der König gelobt, der Verfassung gemäß zu regieren, und das Volk verspricht hinwieder dem König Gehorsam und huldigt ihm. Die Gegenseitigkeit der beiden Gelöbnisse spricht sich in den Formeln deutlich aus.
Alles Recht, was dem König nicht zur Ausübung überlassen ist, bleibt nach Althus selbstverständlich bei dem Volke. Nie ist es einem Volke eingefallen, alle seine Rechte und für immer an einen Fürsten abzutreten und sich selber in ewige Knechtschaft zu stürzen. Nur um seines Friedens und seiner Sicherheit willen hat es Könige erwählt und nur in der Absicht ihnen das Scepter anvertraut, daß sie die Rechtsordnung schützen und die gemeine Wohlfahrt fördern.
Hier kommt er nun ans die theokratische Vorstellung zu sprechen, daß Gott die Gewalt dem König verliehen habe. Es ist merkwürdig, wie er seine republikanische Grundansicht und sein Freiheitsgesühl mit der biblischen Ueberlieferung, die ihm heilig ist, zu versöhnen sucht. Er ist der ! Meinung, daß sich göttliches Recht und