Hans Sachs.
Von
Rudolf Gen6e.
ehr als hundert Jahre sind verflossen, seit Goethe den vergessenen und verkannten Hans Sachs dem deutschen Volke in Erinnerung brachte; mit jenem Gedicht, das mit den Versen schließt:
In Froschpfuhl all das Volk verbannt,
Das seinen Meister je verkannt!
Goethe war zwar nicht der Erste, der mit solcher Mahnung anstrat, denn die sorgfältige und liebevolle Monographie von Ramsch war schon 1765 voransge- gangen. Aber Goethe's Autorität fiel hier natürlich schwerer ins Gewicht.
„Verkannt" ist der liebenswürdigste, gesundeste und fruchtbarste aller Volksdichter heute wohl nicht mehr. Aber wir müssen auch zugleich eingestehen, daß er nicht einmal „gekannt" ist. Selbst in den literarisch gebildeten Kreisen des lesenden Publikums kennt man heute von Hans Sachs nicht viel mehr als einige seiner heiteren erzählenden Gedichte und Schwänke und ein paar seiner Fastnachtsspiele. Seit einer Reihe von Jahren ist der Literarische Verein in Stuttgart damit beschäftigt, den Inhalt der fünf Foliobände der alten
Nürnberger Ausgabe in einem neuen sorgfältigen Druck zu ediren. Da aber seit dem Erscheinen des ersten Bandes bereits zehn Jahre verflossen sind und mit dem jüngst erschienenen dreizehnten Bande das Werk erst bis zur Hälfte vorgeschritten ist, so werden vielleicht noch weitere zehn Jahre bis zum Abschlüsse des dankenswerthen Unternehmens hingehen. Die alte Nürnberger Ausgabe seiner gesammelten (keineswegs gesummten) poetischen Werke ist wohl auf großen öffentlichen Bibliotheken dem Publikum zugänglich; aber solche Stätten werden doch nur von denen ausgesucht, die sich dem Studium des betreffenden Dichters widmen.
Und wir können's nicht in Abrede stellen: Hans Sachs muß studirt werden, wenn man ihn wirklich kennen lernen will. Die veraltete und oft schwer verständliche Sprache ist es nicht allein, welche der Lectüre große Hemmnisse bereitet. Ein Dichter, der wie Hans Sachs so ganz und gar auf dem Boden seiner Zeit stand, dem der Stempel dieser Zeit überall aufgedrückt ist, mußte auch in seinem Wesen um so leichter veralten.