Geuse: Hans Sachs.
Lebensfülle noch sehr wohl vergegenwärtigen können. So viel man aber auch von dem „schönen" alten Nürnberg con- servirt hat — von dem Haus, in welchem Hans Sachs geboren ward und lebte, ist nichts mehr vorhanden. Das „Licht der Welt" wird in der engen Gasse das neugeborene Knäblein des wackeren Jörg Sachs nicht sehr geblendet haben. Das in der Nähe des Spitalplatzes in der schmalen, nunmehr nach dem Dichter benannten Gasse gelegene Haus, auf welchem eine Tafel anzeigt: „Hier wohnte Hans Sachs", zeigt ebenfalls nur die Stelle an, wo das frühere Haus gestanden. Wenigstens aber hat sich eine alte hübsche Zeichnung von dem wirklichen Wohnhause erhalten (s. Jllustr. S. 193), welches mit seiner schweren Steinbank vor dem breiten Fenster des Erdgeschosses, mit den aus der Mauerfläche heraustretenden Fenstern der oberen Etage und mit dem in die Straße ragenden Gasthausschild „ZnM güldenen Bären" eher dem Charakter jener Zeit entspricht als das jetzige nüchterne Hans.
Nach seinem eigenen Berichte ist Hans Sachs mit fünfzehn Jahren, nachdem er die „Lateinische Schule" besucht, in die Lehre gekommen, um das Schusterhandwerk zu erlernen. Als nach zwei Jahren seine Lehrzeit vollendet war, ging er auf die Wanderschaft, was ihm gewiß von großem Nutzen gewesen. Denn seine Wanderungen beschränkten sich nicht auf Franken, sondern führten ihn auch nach München, Regensburg, Salzburg u. s. w., und selbst vom Rhein weiß er eine ganze Reihe von Städten zu nennen, die er besucht hat.
So kehrte er nach einigen Jahren als solider Handwerker, ausgerüstet mit mancherlei Weltkenntniß, in seine Vaterstadt zurück. Und das war gerade in den Jahren, da „die Wittenbergisch Nachtigall", die er später in seinem großen Gedichte verherrlichte, ihr Lied bereits angestimmt hatte, aber nicht in Flötentönen, sondern in Sturmesbrausen und Donnerton!
In der (wie mir scheint, oft unterschätzten) Schule der Meistersänger hatte der Jünger seine ihm angeborene Gewandtheit in der Behandlung der poetischen Sprache offenbar in vortheilbringender Weise ausgebildet. Und so wie schon die
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Wanderjahre seinen Gesichtskreis erweitern mußten, wies nun der Geist der Reformation dem Dichter einen Wirkungskreis an, der sich naturgemäß über die Begrenzung seines localen Bodens weit hinaus erstreckte. Dieser Reformationsgeist war es, welcher bereits in der Schweiz, namentlich in Basel und in Bern, vor Allem zur dramatischen Form der Dichtung gedrängt hatte. Denn in der Dialogform und der-daraus sich entwickelnden plastischen Darstellung konnte die Tendenz sich nachdrücklicher und überzeugender Geltung verschaffen als in den allgemein poetischen Formen oder in Streitschriften. So sehen wir denn auch in den frühesten dramatischen Producten der deutschen Schweiz, in den Fastnachtsspielen und Komödien der Nicolaus Manuel, Kolroß u. s. w., die antipäpstliche dramatische Dichtung ganz und gar in der Tendenz stecken bleiben. Das dramatische Spiel war nur die willkürlich gewählte Form für die wüthendste Polemik und — namentlich auch fpäter noch in Sachsen — für theologische Disputationen.*
Ganz anders bei unserem Hans Sachs, bei welchem stets sein dichterisches Empfinden und sein allgemein sittliches Gefühl die Herrschaft behielten. Bei seinem unvergleichlich gesunden Verstand und bei seinem Scharfblick für die großen Verhältnisse der Kirchenreform verwies er die Aeuße- rungen seiner rein religiösen Anschauung und seine das theologische Gebiet berührenden Schriften an einen besonderen, von seinen poetischen Werken durchaus getrennten Platz.
Auch Hans Sachs begann seine dramatischen Dichtungen mit dem Fastnachtsspiel (oder wie es bei ihm und bei seinen Zeitgenossen stets heißt: „Faßnachtspiel"), mit jener volksthümlichen Gattung des Schauspiels, welche schon neben den mittelalterlichen Passionsspielen bestand und welche aus dem fünfzehnten Jahrhundert in die neue Zeit als der Keim zu einer neuen Epoche des Schauspiels übergegangen war. Auch Nürnberg hatte auf diesem
* Eine eingehende Schilderung des Schauspiel- weseus dieser Epoche wird man in meinem Buche erhalten, welches im Herbst dieses Jahres im Verlage von A. Hosmann L Co. unter dem Titel: „Lehr- und Wanderjahre des deutschen Theaters" erscheinen soll.